Informationsgipfel im Land der eingeschränkten Meinungsfreiheit
13. November 2005Die Hälfte der Menschheit, also drei Milliarden Menschen, soll bis 2015 online sein. Dieses ehrgeizige Ziel war beim ersten Teil des Weltinformationsgipfel 2003 in Genf festgezurrt worden. Damit zeigten sich die Teilnehmer damals weitgehend zufrieden. Hier scheint man auf einem guten Weg: Die Zahl der weltweiten Internetnutzer steigt, pro Jahr um 20 Prozent. Im Jahr 2000 waren etwa 380 Millionen Menschen online, 2004 bereits rund 800.000.
Dennoch ist die digitalen Kluft längst nicht überwunden. Die Segnungen der Informationsgesellschaft sind für viele Menschen in Entwicklungsländern nach wie vor purer Luxus. Es gibt also genug Gesprächsstoff auch für den zweiten Teil des Weltinformationsgipfels in Tunis, zu dem mehr als 10.000 Vertreter von Regierungen, Internationalen Organisationen, NGOs sowie Unternehmen erwartet werden.
Wer soll Internet managen?
Allerdings ist das Thema Digitale Spaltung in den Hintergrund getreten, sagt Wolfgang Kleinwächter, Kommunikationswissenschaftler an der dänischen Universität Aarhus. "Vielmehr wird das Thema Internet Governance wohl der Casus Belli bei diesem Gipfel werden. Hier geht es seit Jahren darum, wie denn das Internet weltweit gemanagt werden soll."
Diese ausgesprochen technische Frage wird nun auf höchster politischer Ebene diskutiert. Es geht darum, wer darf im Internet Adressen vergeben und wer kontrolliert die so genannten Root-Server im Netz. Diese Computer, von denen es weltweit nur 13 gibt, sind von zentraler Bedeutung für die weltweite Kommunikation. Ohne sie würden Anfragen im Netz schlicht nicht weitergeleitet. Zuständig für diese Aufgaben ist derzeit die Organisation ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) mit Sitz in Kalifornien. ICANN ist zwar gemeinnützig, sie untersteht jedoch dem US-Handelsministerium. Im Klartext: die US-Regierung kann bei allen Entscheidungen von ICANN ihr Veto einlegen.
Furcht vor "regulativer Haube"
Hier entzündet sich auch der Streit. Manch einer fürchtet die USA könnten ihre Macht nutzen und die Adressen unliebsamer Länder sperren lassen. Die Regierungen von Staaten wie China, Brasilien, Indien oder der Iran empfinden diese technische Vormachtstellung der USA im Internet als Bevormundung. Sie fordern die Ablösung von ICANN durch ein multinationales Gremium unter Aufsicht der UNO. Die US-Regierung lehnt das kategorisch ab, auch Kleinwächter ist skeptisch: Solch ein Gremium könnte nämlich eine Art "regulative Haube" über das Internet setzen. "Das bremst alle Innovation bremst und schränkt auch Freiheiten ein."
Der Zensur sei Tür und Tor geöffnet. Unliebsame Seiten könnten wesentlich einfacher verbannt werden, sollten nun die Regierungen bei der Verwaltung des Netzes mitmischen. Dass auch die US-Regierung selbst dieses Argument nutzt, stößt bei Kritikern auf Unverständnis. Warum darf sie und nicht andere Regierungen Einfluss auf das Internet nehmen? Hier verweist die US-Administration auf ihre "historische Rolle" als Mutterland des Internet. Und bislang funktioniere doch alles perfekt. In dieser Frage sind die Fronten festgefahren, die Sensibilitäten groß.
Die Frage nach Internet-Governance belastet auch das Verhältnis der EU zu den USA. Wenige Tage vor dem Gipfel sagte die für Medien zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding, es dürfe nicht sein, dass ein einzelner Staat das Internet kontrollieren könne, sagte die EU-Kommissarin dem Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Die EU hatte zuvor einen Vorschlag gemacht, der als Kompromiss zwischen den Positionen dienen sollte.
Finanzierung der digitalen Zukunft
Der sehr vage EU-Vorschlag sieht vor, die technische Verwaltung solle weiterhin vor allem in den Händen Privater liegen, den Regierungen solle aber eine Art Oberaufsicht für all jene Fragen eingeräumt werden, die eine politische Komponente haben. Der Beifall kam dann auch noch von der falschen Seite: Es applaudierten etwa der Iran, China oder Saudi Arabien. Die USA waren empört. Noch ist offen, ob der Konflikt auf dem Gipfel gelöst werden kann.
Grundsätzliche Einigkeit erreichte man zumindest in einer anderen bislang umstrittenen Frage, nämlich der nach der Finanzierung der digitalen Zukunft. Die Entwicklungsländer hatten die Einrichtung eines digitalen "Digitalen Solidaritätsfonds" (DSF) gefordert. Der war zunächst von den reichen Ländern abgelehnt worden. "Am Ende hat man sich doch darauf verständigt den Solidaritätsfonds nun doch zu gründen, aber eingezahlt wird auf freiwilliger Basis."
Tunesien am Pranger
Ein harmonischer Gipfel wird es sicher nicht werden: Heikel ist das Thema Menschenrechte. Nichtregierungs-Organisationen wie Reporter ohne Grenzen (ROG) sind empört darüber, dass Länder, die weder Meinungsfreiheit noch Grundrechte respektieren, über die Zukunft des Internet mitentscheiden sollen. Julien Pain bei ROG zuständig für Internetfreiheit übt auch scharfe Kritik am Veranstaltungsort Tunis.
Die tunesischen Behörden erschwerten die Arbeit von Menschenrechtsgruppen. Bislang war es für die Organisation nicht möglich, einen Raum für eine Pressekonferenz zu mieten. "Wir wissen genau, dass die tunesische Regierung Meinungsfreiheit in keiner Weise respektiert. Sie zensiert das Internet. So ist zum Beispiel die Internetseite von Reporter ohne Grenzen nicht zugänglich in Tunesien", sagt Pain. Acht Oppositionellen sind derzeit in Tunesien im Hungerstreik, protestieren gegen die Verletzung von Grundrechten. Annan persönlich mahnte die Einhaltung von Grundrechten im Vorfeld des Gipfels. Davon hat sich jedoch Präsident Ben Ali kaum beeindrucken lassen. Die repressiven Maßnahmen halten an.