Initialzündung für den Welthandel
10. September 2003Gelingt den Wirtschafts- und Entwicklungsministern aus den 146 Mitgliedsländern der Welthandelsorganisation (WTO) diese Woche im mexikanischen Badeort Cancun (10. bis 14. September 2003) ein Durchbruch bei den festgefahrenen Verhandlungen über eine weitere Liberalisierung des grenzüberschreitenden Handels? Dies könnte die Initialzündung für den Aufschwung der Weltwirtschaft sein.
Denn unbestritten ist, dass ein Abbau der offiziellen und der versteckten Handelsschranken sowie der Subventionen sich für alle beteiligten Länder auszahlt, wenn es denn beim Welthandel fair zugeht. Das ist bislang nicht der Fall. Die Industriestaaten sowie die dynamischen, marktwirtschaftlich orientierten Schwellenländer in der so genannten Dritten Welt ziehen weitaus größeren Nutzen aus dem Welthandel als die ärmeren Entwicklungsländer.
Ärmere Länder strukturell benachteiligt
Weil die Entwicklungsländer strukturell benachteiligt sind, ist ihnen beim Start der laufenden Liberalisierungsrunde vor anderthalb Jahren in Doha am Persischen Golf zugesagt worden, es werde sich diesmal um eine ausgesprochene "Entwicklungsrunde" handeln. Dieses Versprechen muss bei der nun anstehenden Halbzeitkonferenz konkretisiert werden, sonst drohen die armen Länder mit Blockade.
Da in der WTO das Prinzip der Einstimmigkeit gilt, kommt es auf jede Stimme an, eben auch auf die der armen und schwachen Länder. Ihnen haben sich die großen Industriestaaten schon vor Beginn der Halbzeitkonferenz in Cancun entgegenkommend gezeigt. Im Medikamentenstreit ist ein Kompromiß erzielt worden, der den Opfern von AIDS, Malaria und Tuberkulose erleichterten Zugang zu billigen Nachahmermedikamenten verschafft.
Protektionismus der Industrieländer ist schädlich
Doch mehr ist beim großen Geben und Nehmen nötig. Die Industriestaaten müssen ihre Grenzen für die Agrarprodukte der Entwicklungsländer öffnen und damit aufhören, erst über Subventionen eine gewaltige Überproduktion anzufachen und dann die nicht selbst benötigten Nahrungsmittel nochmals mit Subventionen versehen auf den Märkten der Entwicklungsländer abzuladen. Denn kein Bauer in Afrika, Asien oder Lateinamerika kann gegen Geschenke konkurrieren, zudem werden traditionelle Produktionsstrukturen in der Dritten Welt zerstört.
Mit ihrem Agrarprotektionismus schädigen die Industriestaaten aber nicht nur die Entwicklungsländer, sondern sie schaden sich auch selbst - ihre Verbraucher und Steuerzahler sowie die Industrie und die Dienstleistungsbranchen, die einen großen Vorteil von einer weltweiten Marktöffnung hätten.
Scheitern der Gespräche hätte fatale Folgen
Da für die Weltwirtschaft nichts dringlicher ist, als die Initialzündung für den nächsten Aufschwung des internationalen Handels, ist die Ministertagung in Cancun zum Erfolg verdammt. Von einem Scheitern hätten alle erhebliche Nachteile. Um den Erfolg zu sichern, muss es in Cancun darum gehen, die Vorteile einer weiteren Liberalisierung des Welthandels allen zugänglich zu machen.
Dabei zeichet sich bereits ganz grob eine Kompromisslinie ab. Die großen Industrieblöcke EU und USA bauen ihren Agrarprotektionismus ab, dafür öffnen die Entwicklungsländer ihre Märkte stärker für ausländische Anbieter von Dienstleistungen, also für Banken, Versicherungen, Tourismusunternehmen. Das wäre für beide Seiten von Vorteil. Die Entwicklungsländer könnten ihre Agrarexporte, bei denen sie natürliche Kostenvorteile haben, in die Industriestaaten um viele Milliarden Dollar, Euro und Yen steigern, während die Unternehmen der Industriestaaten sich vor allem mit Finanzdienstleistungen und dem Tourismus neue Märkte in der Dritten Welt erschließen könnten.
Keiner verhandelt selbstlos
Je nach Grad der Marktöffnung halten die Weltbank und der Internationale Währungsfonds einen Zuwachs der weltweiten Wirtschaftsleistung zwischen 250 und 620 Milliarden Dollar pro Jahr für erreichbar. Das sind rosige Aussichten. Doch erst einmal muss in Cancun neuer Schwung in die Verhandlungen kommen. Das ist nur machbar, wenn alle über ihren protektionistischen Schatten springen. Denn nur im Prinzip sind alle für den freien Welthandel; im konkreten Fall sucht jeder seinen Vorteil.