Weniger Bienen und Schmetterlinge
14. Januar 2016"Unsere Beobachtungen sind hochgradig beängstigend", sagt Josef Tumbrinck vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Er warnt vor einem neuartigen Insektensterben mit unbekannten Folgen für Deutschland.
Nach einer aktuellen Untersuchung ging im Bundesland Nordrhein-Westfalen in den vergangenen 15 Jahren die Masse an Insekten um 80 Prozent zurück. Eine ähnliche Entwicklung wird auch in anderen Regionen befürchtet. "Wenn uns die Fluginsekten fehlen, gerät die gesamte Nahrungskette in Gefahr: Blumen und Bäume werden nicht mehr bestäubt, und den Vögeln fehlt die Nahrungsgrundlage", sagt Tumbrinck, Vorsitzender vom Nabu in NRW.
Der Umweltverband hatte zusammen mit Insektenkundlern zwischen 1989 und 2014 an 88 Standorten Insekten gesammelt, ihre Arten bestimmt und sie gewogen. "Während wir 1995 noch 1,6 Kilogramm aus den Untersuchungsfallen sammelten, sind wir heute froh, wenn es 300 Gramm sind", sagt Tumbrinck. Der Rückgang von bis zu 80 Prozent betreffe unter anderem Schmetterlinge, Bienen und Schwebfliegen.
Die Ursachen dieses Schwunds seien bislang nicht ausreichend geklärt. "Den Klimawandel oder besonders kalte oder warme Winter können wir ausschließen", sagt Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. "Vieles deutet darauf hin, dass wir es mit einer weitreichenden Vergiftung der Insekten in unserer Umwelt zu tun haben."
Pestizide unter Beobachtung
Besonders Neonicotinoide stehen im Verdacht, für das massenhafte Sterben von Insekten verantwortlich zu sein. Die hochwirksamen Insekten-Nervengifte werden seit Mitte der 1990er Jahre in der Landwirtschaft eingesetzt.
Immer mehr Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Mittel weit über ihr Einsatzgebiet hinaus Schäden unter Honigbienen, aber auch in der gesamten Insektenfauna auslösen. Die EU hat deshalb den Einsatz seit 2014 weitgehend verboten, die Hersteller der Pestizide haben jedoch dagegen geklagt. Sie halten den Einsatz der Nervengifte für unbedenklich und fordern die weitere Zulassung. In den nächsten Monaten will die EU-Kommission darüber entscheiden.
Industrielle Landwirtschaft in der Kritik
Neben Insekten sind auch andere Tiere, Pflanzen und Pilze in ihrer Vielfalt bedroht: Nach Angaben der Bundesregierung sind in Deutschland ein Drittel aller Arten im Bestand gefährdet und vier Prozent bereits ausgestorben. Zwar sind die Probleme bekannt, aber eine Trendwende ist nicht in Sicht. "Ohne besondere zusätzliche Anstrengungen werden wir die nationalen Ziele zur biologischen Vielfalt aller Voraussicht nach nicht erreichen", mahnte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bei der Vorstellung des Berichts zum Erhalt der biologischen Vielfalt im letzen Jahr.
Als Hauptursache für den Schwund der Artenvielfalt gilt vor allem die intensive, industrielle Landwirtschaft. Wichtige Lebensräume für Tiere und Pflanzen gehen durch Ackergifte, Überdüngung, Monokulturen, intensive Landnutzung und fehlende Wildnis verloren. "Es führt kein Weg daran vorbei, dass hier umgesteuert werden muss", betont Martin Häusling von den Grünen im Europaparlament. Zum Artenschwund durch die Landwirtschaft veröffentlichte der Agrarexperte jetzt einen umfangreichen Bericht.
Häusling fordert eine schnellstmögliche Verringerung von Pestiziden und eine Neuausrichtung der Agrarpolitik in Europa, die die Artenvielfalt erhält. Als Vorbild für den Umstieg sieht er die ökologische Landwirtschaft.
Druck auf die Politik
Für ein Umsteuern im Agrarsektor werben vor allem Naturschutzverbände und Landwirte, die ökologisch und in kleineren Betrieben produzieren. Sie kritisieren die Industrialisierung der Landwirtschaft, den Konzentrationsprozess mit wenigen Großbetrieben und riesigen Tierfabriken und die so entstehenden Folgen für die Umwelt. "Die Bundesregierung muss hier endlich gegensteuern und den Irrsinn von Massenproduktion, Export und der Maximierung von Profiten beenden", fordert Hubert Weiger vom Bund für Umwelt. "Nur dann lässt sich der Schutz von Tieren und Natur besser gewährleisten."
Die Umweltschützer haben bei dem Anliegen die Bevölkerung hinter sich: Laut einer repräsentativen Umfrage des Landwirtschaftsministeriums will eine Mehrheit eine umweltfreundliche Landwirtschaft und mehr Tierschutz. Rund 80 Prozent der Bürger sind bereit, dann auch mehr für ihre Lebensmittel zu zahlen.