Integration der zwei Geschwindigkeiten?
21. September 2017Als Flüchtling in Deutschland ist man mit großer Wahrscheinlichkeit männlich, jünger als 30 Jahre und alleinreisend. Eine gute Bleibeperspektive vorausgesetzt, kann ein solcher junger Flüchtling einen Integrationskurs besuchen, wo er an die deutsche Sprache und Lebensweise herangeführt wird. Er lernt dort, wie er eine Bewerbung schreiben muss, bekommt Tipps zur Ausbildung oder Wohnungssuche. Er ist flexibel und er hat viel Zeit.
Für geflüchtete Frauen ergibt sich indes ein völlig anderes Bild: Ein Großteil von ihnen hat Kinder, viele sind über den Familiennachzug nach Deutschland gekommen. Neben Krieg und Terror fliehen sie häufig auch vor sexualisierter Gewalt, Zwangsverheiratung oder Ehrenmord. Der Anteil dieser Frauen wird jedes Jahr größer: Gingen 2015 noch rund 30 Prozent der Asylanträge auf sie zurück, waren es dieses Jahr laut einer Analyse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bereits fast 40 Prozent.
Sichere Unterbringung, Bildungsangebote und soziale Einbindung sind für diese Frauen allerdings oft schwer zu finden. Dabei weist die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung die Förderung "besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge" als einen der Projektschwerpunkte aus - allein für das Empowerment, also die Stärkung der Selbstbestimmung geflüchteter Frauen, stehen im Jahr 2017 über fünf Millionen Euro zur Verfügung.
Mangelnde Sicherheit in Unterkünften
Und dennoch mangelt es laut Frauenrechtsorganisationen bereits an der Unterbringung. Jessica Mosbahi, Referentin für Menschenrechte und Politik bei medica mondiale e.V, kritisiert im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass Frauen und Männer in den Unterkünften gemeinsam auf engem Raum lebten - selten gebe es getrennte Schlaf- oder Sanitärbereiche. "Viele geflüchtete Frauen sehen sich einer dauerhaften Bedrohung durch sexualisierte Gewalt ausgesetzt, beispielsweise durch Mitgeflüchtete, aber auch durch Mitarbeiter in den Unterkünften", berichtet sie.
Diese würden ohne Gewaltschutz leicht zu einem "rechtsfreien Raum". Frauen trauten sich in dieser Umgebung nicht, über schambesetzte Themem wie sexualisierte Gewalt zu sprechen - zumal sie Angst hätten, ihren Schutzstatus zu riskieren. Angesichts dieses Missstandes fordert Mosbahi Gewaltschutzkonzepte: Beschwerdestellen, geschulte Mitarbeiter, Rückzugsorte. Vereinzelt gebe es diese zwar - eine bundesgesetzliche Regelung, die sowohl Länder als auch Kommunen in die Pflicht nehme, jedoch nicht.
Für einen Neustart in Deutschland sind dies denkbar schlechte Voraussetzungen. Dabei wäre ein sicheres und stärkendes Umfeld wichtig für die weitere Integration. Behshid Najafi von der Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen agisra e.V. hält sichere Unterbringung nach Klärung der Bleiberechtsfrage für den Grundstein erfolgreicher Integration. An zweiter Stelle stehe die Gesundheitsversorgung. Eine Studie der Charité von März hatte gezeigt, dass geflüchtete Frauen gerade im Bereich Traumatherapie nicht ausreichend versorgt seien. Oft scheitere es schon an der Verständigung. Najafi sieht in diesem Bereich noch keine Verbesserung.
Ohne Kinderbetreuung kein Integrationskurs
Ein weiterer Schritt ist die Kinderbetreuung. Ohne diese Hilfestellung rückt der Besuch eines Integrationskurses und damit auch der Spracherwerb in weite Ferne. Erst seit März diesen Jahres bietet das BAMF wieder Kinderbetreuung an - möglicherweise ein Grund dafür, dass Frauen bisher nur rund ein Drittel der Teilnehmenden in den allgemeinen Integrationskursen ausmachen.
Dabei mangele es Frauen im Vergleich zu Männern weder an Motivation noch an Qualifikation, meint Zerrin Salikutluk, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität zu Berlin. Beispiel Schulbildung: Da gebe es im Vergleich gar nicht so große Unterschiede, wie man meine. Das etwas niedrigere Bildungsniveau von Frauen sollte zumindest nicht ausschlaggebend für beispielsweise fehlende Arbeitsmarktbeteiligung sein.
Zudem seien Frauen überaus motiviert: Nach einer repräsentativen Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des BAMF und des Sozio-oekonimischen Panels (SOEP) planen 85 Prozent der zwischen 2013 und 2016 eingereisten Frauen, in Zukunft berufstätig zu sein. "Diese Motivation sollte unbedingt genutzt werden", fordert Salikutluk. Dazu sei es aber nötig, den Frauen den Weg zu ebnen: Medizinische Versorgung im Hinblick auf Traumatisierung, geschützter Wohnraum und Kinderbetreuung seien grundlegende Bedürfnisse, bevor man sie an Sprachkurse und Arbeitsmarkt heranführen könne.
Maßnahmen des BAMF wie die Integrationskurse speziell für Frauen oder kursbegleitende Kinderbetreuung zeigen, dass auf einige dieser Bedürfnisse reagiert wird. Nach Meinung der Migrationsforscherin hätte dies jedoch schon früher passieren können. Schuld an der Verzögerung seien auch die fehlenden Zahlen zu geflüchteten Frauen - man wisse einfach zu wenig über sie. Mosbahi von medica mondiale e.V. sieht darin eine verpasste Gelegenheit. Nicht nur die Probleme dieser Frauen verdienten Aufmerksamkeit, auch ihre Fähigkeiten und Ressourcen. Denn diese seien gerade im Hinblick auf den Integrationsprozess von unschätzbarem Wert.