Empörung nach Hinrichtungswelle
2. Januar 2016Der Iran hatte die Führung in Saudi-Arabien nachdrücklich davor gewarnt, die Strafe an Sheikh Nimr al-Nimr zu vollstrecken - vergebens. Die Reaktionen aus Teheran fielen entsprechend scharf aus: Der Botschafter Saudi-Arabiens im Iran wurde einbestellt. Ajatollah Ahmad Chatami, der der iranischen Führung nahesteht, forderte einen "Aufschrei" in der islamischen Welt als Reaktion auf die Hinrichtung. Das "Verbrechen" an Scheich Nimr werde dazu führen, dass die sunnitische Herrscherfamilie Saudi-Arabiens aus den Geschichtsbüchern ausgelöscht werde, zitierte ihn die iranische Nachrichtenagentur Mehr.
Todestrafe wegen "Aufwiegelung und Ungehorsams"
Der 56-jährige al-Nimr war ein entschiedener Gegner des sunnitischen Königshauses in Riad. Er hatte während der Proteste 2011 die Abspaltung der östlichen Regionen Katif und Al-Ihsaa befürwortet, in denen die meisten der rund zwei Millionen Schiiten Saudi-Arabiens leben. Er war im Juli 2012 festgenommen und im Oktober 2014 wegen Aufwiegelung, Ungehorsams und Waffenbesitzes von einem Sondertribunal zum Tode verurteilt worden.
Zunächst nicht hingerichtet wurde am Samstag al-Nimrs ebenfalls zum Tode verurteilter Neffe, der zur Zeit seiner Festnahme 2011 erst 17 Jahre alt war. Al-Nimrs Bruder Mohammed al-Nimr warnte, die Hinrichtung des Geistlichen könnte "die Wut der Jugend" entfachen. Er rief die Schiiten auf, friedlich zu protestieren.
Kritik auch aus dem Irak
Das iranische Außenministerium warf Saudi-Arabien vor, Terroristen und sunnitische Extremisten zu unterstützen. Die politisch und religiös motivierte Tat zeige die irrationale und verantwortungslose Politik, die in Riad gemacht werde.
Der frühere irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki sagte den Sturz der Regierung in Saudi-Arabien wegen der Hinrichtung Nimrs voraus. So wie das Verbrechen der Exekution des schiitischen Geistlichen Mohammed Bakir al-Sadr das Ende von Saddam Hussein im Irak herbeigeführt habe, werde auch die Hinrichtung von Scheich Nimr den Sturz des Regimes in Saudi-Arabien zur Folge haben, sagte der Politiker mit engen Verbindungen zum Iran.
"Das Tor zur Hölle geöffnet"
Der Führer der schiitischen irakischen Badr-Miliz, Kassim al-Aradschi, sagte dem TV-Sender al-Sumaria, das Verbrechen an Scheich Nimr habe "das Tor zur Hölle" geöffnet. Die schiitische Hisbollah-Miliz aus dem Libanon sprach von einem schweren Fehler, den die Regierung in Riad mit der "Ermordung" Nimrs gemacht habe.
Im Bezirk Katif, wo Nimr herkommt, sowie in Bahrain und im iranischen Ghom gab es erste öffentliche Proteste gegen die Hinrichtung. In Bahrain setzte die Polizei Zeugen zufolge Tränengas gegen Demonstranten ein.
Deutschland zeigt sich besorgt
Deutsche Oppositionspolitiker warfen Saudi-Arabien vor, mit den Massenhinrichtungen nicht anders gegen Gegner vorzugehen wie der sogenannte "Islamische Staat". Die Bundesregierung müsse die Rüstungsexporte in das arabische Land und die "strategische Partnerschaft" mit dem Königreich beenden, forderten der Grünen-Politiker Omid Nouripur und die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen. Das Außenministerium zeigte sich besorgt, dass die Hinrichtung al-Nimrs die Spannungen in der Region verschärfen könnten.
Auch die EU protestierte gegen die Hinrichtung. Die Union sei gegen die Todesstrafe und besonders gegen Massenhinrichtungen, teilte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini mit. Es gebe ernste Bedenken, unter anderem wegen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, erklärte Mogherini mit Blick auf die Exekution al-Nimrs.
Größte Massenhinrichtung seit fast 40 Jahren
Die wegen Terrorismus oder Anstiftung zu Gewalt verhängten Todesurteile wurden in Gefängnissen in zwölf Städten vollstreckt. In vier Haftanstalten wurden die Delinquenten durch Erschießungskommandos getötet, in den anderen Gefängnissen wurden die Verurteilten gehängt. Ihre Leichen wurden dann öffentlich an Galgen zur Schau gestellt - die härteste Strafe, die die islamischen Scharia-Gesetze des Königreichs vorsehen. Die gleichzeitige Tötung von 47 Menschen war die größte Massenhinrichtung in Saudi-Arabien wegen Sicherheitsvergehen seit der Exekution von 63 Dschihadisten, die wegen der Erstürmung der Großen Moschee in Mekka im Jahr 1979 zum Tode verurteilt worden waren.
cw/gri (dpa, afp, rtr)