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Russlands Internetfreiheit in Gefahr

Roman Goncharenko13. November 2012

Im Internet ist Russlands Opposition noch präsent. Doch ein neues Jugendschutzgesetz ermöglicht Sperren, die auch Kreml-kritische Seiten treffen könnten. Ein Thema auch für den "Petersburger Dialog" in Moskau.

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Russische Oppositionelle wählen einen Koordinierungsrat (Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin)
Russlands Oppositionelle verschaffen sich über das Internet GehörBild: Reuters

Keine Bilder, nur trockene Gesetzestexte. Die Internet-Seite "zapret-info.gov.ru" der staatlichen IT-Kontrollbehörde Roskomnadzor sieht unspektakulär aus. Seit dem 1. November kann dort jeder in einer Datenbank überprüfen, welche Webseiten russische Behörden gesperrt haben. Manche Beobachter sprechen von der Datenbank bereits als "Schwarzer Liste". Zeitweilig wurde die beliebte Seite "lurkmore.to" blockiert, die sich selbst als eine humoristische Enzyklopädie der modernen Kultur, Folklore und Subkultur beschreibt. Als Grund gaben die Behörden an, die Seite würde Drogenkonsum verherrlichen. Nach heftigen Protesten wurde die Sperrung aufgehoben.

Die "Schwarze Liste" soll eigentlich nur Internetseiten mit jugendgefährdenden Inhalten nennen - ganz im Sinne des neuen Jugendschutzgesetzes, das Präsident Wladimir Putin im Sommer dieses Jahres unterzeichnet hatte. Das Gesetz soll helfen, Kinderpornographie, Drogenhandel oder Anleitungen zum Selbstmord aus dem Netz zu verbannen. "Wir haben das Recht, unsere Kinder zu schützen", sagte Putin in einem Fernsehinterview.

Wladimir Putin ist auf vielen Fernsehbildschirmen zu sehen (Foto: AP Photo/Misha Japaridze)
Russlands Fernsehen ist längst unter Wladimir Putins KontrolleBild: AP

Jugendschutz nur als Deckmantel?

Doch das neue Jugendschutzgesetz ist umstritten. Auch der deutsche Bundestag äußerte sich besorgt. Mit der Einführung einer "Schwarzen Liste" drohe ein "Instrument zur Beschränkung der Meinungsfreiheit und einer weitgehenden Zensur im Internet zu entstehen", heißt es in einem Antrag der Regierungskoalition, der am vergangenen Freitag (09.11.2012) mit Stimmen der Grünen verabschiedet wurde. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird von den Abgeordneten aufgefordert, sich bei den deutsch-russischen Konsultationen mit Präsident Wladimir Putin für mehr Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und für die Einhaltung der Menschenrechte in Russland einzusetzen. Dies dürfte auch beim 12. deutsch-russischen zivilgesellschaftlichen Forum "Petersburger Dialog" für Diskussionen sorgen, der am Mittwoch (14.11.2012) in Moskau beginnt. Denn die Informationsfreiheit im Internet ist eines der Gesprächsthemen.

Das Jugendschutzgesetz sieht Internetsperren vor. Auch oppositionelle Seiten könnten blockiert werden, wenn ihre IP-Adressen mit als gefährlich eingestuften Webseiten in Verbindung gebracht werden. So ist es beispielsweise dem bekannten Blogger und Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ergangen. Der Zugang zu seiner Internet-Seite, auf der er Machtmissbrauch der Behörden anprangert, war im Juli 2012 stundenlang gesperrt. Die Begründung des Internetproviders: Nawalnys Seite habe dieselbe IP-Adresse gehabt wie eine extremistische Seite.

Antwort auf die Protestbewegung

"Im Grunde wird ein Mechanismus für Zensur im Internet geschaffen", meint Pawel Rassudow, der Vorsitzende der russischen Piratenpartei. Für ihn ist die "Schwarze Liste" die Antwort der Regierung auf die Kreml-kritische Protestbewegung. Ähnlich sehen das westliche Experten wie Florian Töpfl, der an der London School of Economics an einem Projekt über Internet in Russland forscht. "Ich halte das Gesetz für ein sehr kleines Mosaiksteinchen im Prozess der Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte und der Handlungsfreiheit der oppositionellen Gruppen in Russland", sagt Töpfl. Die Regierung in Moskau habe seit der Parlamentswahl im Dezember 2011 "die Zügel angezogen", so der Experte.

Pawel Rassudow, Vorsitzende der Piratenpartei Russlands (Foto: DW)
Piraten-Chef Rassudow fürchtet staatliche Zensur auch im InternetBild: DW

Die Wahl zur russischen Staatsduma war von Fälschungsvorwürfen überschattet und hatte eine Protestwelle gegen Putin ausgelöst. Nach der Präsidentenwahl im März und Putins Rückkehr in den Kreml wurde in Russland die Versammlungsfreiheit eingeschränkt und die Vorschriften für Nichtregierungsorganisationen verschärft. Gegen mehrere Oppositionsaktivisten laufen Ermittlungen der Behörden.

Mit Facebook gegen Putin

Das Internet ist für die russischen Oppositionellen von besonderer Bedeutung. Denn anders als das staatlich kontrollierte Fernsehen sei das Netz in Russland "relativ frei", stellt die US-Organisation Freedom House in einem aktuellen Bericht fest. Deutliche politische Zensur gebe es nicht.

Menschen stehen SChlange bei der Wahl zum Koordinierungsrat der Opposition in Russland (Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin)
Die persönliche Stimmabgabe bei der Wahl zum Koordinierungsrat der Opposition war auch möglichBild: Reuters

Deswegen gelingt es, Proteste gegen Putin vor allem über soziale Netzwerke wie Facebook zu organisieren. So nutzte beispielsweise im Oktober die Oppositionsbewegung das Internet, um einen Koordinationsrat zu wählen. Rund 70.000 Nutzer machten bei der Onlineabstimmung mit. "Ich glaube, dass das Internet sehr gefährlich für Putin und sein Regime ist, weil es der Kommunikationsraum der Opposition ist", sagt Florian Töpfl.

Immer mehr Russen online

Putin verspricht, die Internetfreiheit in Russland werde nicht angetastet. Dabei gibt der 60-jährige Präsident zu, er selbst nutze das Internet nur selten. Die Russen dagegen tun es immer häufiger. Nach Angaben der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) hatte im Jahr 2011 schon jeder Zweite in Russland Zugang zum Internet. Mehr als 90 Prozent der jungen Russen sind Umfragen zufolge regelmäßig online.

Ob Raubkopien von Filmen, extremistische Propaganda oder Pornographie - all das lässt sich im russischen Internet mit wenigen Klicks finden. "Diese Freiheit wird in einer gewissen Weise eingeschränkt werden müssen in den nächsten Jahren", sagt Töpfl. Die Frage sei nur, wie weit das Web als politische Meinungsplattform betroffen sein werde. "Dieses ganze Verfahren der 'Schwarzen Liste', diese Abstimmung zwischen Staat und Providern, all das könnte man später auch leicht auf politische Inhalte anwenden, weil die Infrastruktur vorhanden wäre", warnt der Experte.