Inés de Castro: "Große Detektivarbeit"
6. März 2017Die Ethnologin mit deutsch-argentinischen Wurzeln leitet seit 2010 das Linden-Museum. Das staatliche Museum für Völkerkunde in Stuttgart beherbergt eine der bedeutendsten ethnografischen Sammlungen Europas. Das Interesse sei sehr gestiegen, meint die Direktorin, genauso wie die Ansprüche, mit denen Völkerkunde-Museen heute konfrontiert seien. Um Antworten auf diese komplexen Fragen zu finden, hat das Linden-Museum gemeinsam mit der Universität Tübingen das als Exzellenzinitiative von Bund und Ländern finanzierte Forschungsprojekt "Schwieriges Erbe" ins Leben gerufen. Es untersucht den museologischen und wissenschaftlichen Umgang mit kolonialzeitlichen Objekten.
DW: Seit dem Gurlitt-Kunstfund wird international über NS-Raubkunst debattiert. Ist nun die Kolonialzeit dran?
Inés de Castro: Die Frage nach dem Erbe der Kolonialzeit ist zunehmend in den Mittelpunkt gerückt. Die Diskussionen um das Humboldt-Forum in Berlin haben diese Entwicklung vermutlich beschleunigt. Oft stehen dabei die Objekte, die während der Kolonialzeit in Museen und Sammlungen gelangten, unter Generalverdacht, gestohlen oder entwendet worden zu sein. Tatsache ist jedoch, dass sie auf sehr unterschiedliche Weise hierher gelangt sind. Auch wenn uns die Machtungleichheit während dieser Zeit sehr bewusst ist, gilt es, die Erwerbungskontexte zu untersuchen.
Zum Beispiel dank der Herkunftsforschung. Welche kolonialzeitlichen Objekte gelten überhaupt als problematisch?
Die Geschichte zahlreicher ethnologischer Museen ist in Deutschland mit der Besitznahme der Kolonien verbunden. Die Gründung der meisten Museen datiert zwischen Mitte des 19. und Beginn des 20 Jahrhunderts - eine Zeit, in der sich auch das Fach Ethnologie als Wissenschaft etablierte. Die Provenienzforschung soll zeigen, wie die Objekte in das Museum gelangt sind: durch Kauf oder Tausch, durch die Abgabe !gefährlicher" Objekte an Missionare, durch kriegerische Auseinandersetzungen oder sogenannte Befriedungsaktionen, durch Forschungsreisen oder durch die Herstellung von Objekten für den europäischen Markt. Problematisch ist dabei, dass der Erwerbungskontext vieler Objekte nicht richtig dokumentiert ist. Projekte zur Provenienzforschung kolonialzeitlicher Objekte sind daher dringend nötig. Wir freuen uns sehr darüber, dass wir innerhalb des Forschungsprojektes "Schwieriges Erbe" eine Stelle mit Pilotcharakter am Linden-Museum einrichten konnten. Ein verantwortungsvoller und transparenter Umgang mit den Sammlungen ist uns wichtig.
Wieso gibt es eine solche nicht schon längst?
Die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste fördert derzeit lediglich Provenienzforschung für die NS-Zeit. Ab 2018 soll sich das jedoch ändern. Eine wirklich gute Nachricht, für die die Museen lange gekämpft haben. Provenienzforschung ist nur mit zusätzlichem Personal zu schaffen, sie ist extrem aufwändig - es ist eine große Detektivarbeit. Um zusätzliche Stellen schaffen zu können, muss man momentan sehr kreativ sein.
Wie kann man sich eine solche Forschung konkret vorstellen?
Die Masse der Objekte stellt uns vor große Herausforderungen. Unsere Sammlungen beherbergen etwa 170.000 Objekte. Ziel ist es, möglichst viele Objekte auf den Prüfstand zu stellen und ihre Provenienz zu durchleuchten. Das ist ein Prozess, der viele Jahre andauern wird, falls wir auch weiterhin die Finanzierung für diese Stelle erhalten können. Wir konzentrieren uns zurzeit auf ausgesuchte Sammlungen aus Namibia, Kamerun und dem Bismarck-Archipel. Auch versuchen wir dabei erstmals eine Systematik der Provenienzforschung zur Kolonialzeit zu erarbeiten.
Ist es dafür zwingend, mit Wissenschaftlern aus den jeweiligen Ländern zusammen zu arbeiten?
Ethnologische Museen arbeiten schon seit vielen Jahren daran, ihre Sammlungen mit Beteiligung von Personen aus den Länder, aus denen die Objekte stammen, sowie mit Vertreten aus den Migranten-Communities vor Ort zu entschlüsseln. Es geht darum, bei Interpretation und Präsentation von Objekten auch andere Perspektiven zuzulassen. Dieser partizipative Ansatz sollte auch bei der Provenienzforschung zur Kolonialzeit angewendet werden. Neben der Suche nach dem Erwerbungskontext der Objekte können dabei Fragen nach der heutigen Bedeutung der Sammlungen für die Herkunftsgesellschaften und der Migrationsgesellschaft vor Ort sehr spannend werden. Sie unterstreichen die identitätsstiftende Rolle unserer Häuser.
Wie steht es mit Fragen der Rückerstattung? Sind Sie selbst mal mit derartigen Ansprüchen konfrontiert worden?
Nicht alle Restitutionsforderungen sind mit der Kolonialzeit verbunden. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Ich persönlich glaube, dass es nicht so viele Forderungen geben wird, wie allgemein diskutiert wird. Besucher des Depots sagen oft, dass sie die Objekte als Botschafter ihrer Länder sehen und froh sind, dass man sie hier bewahrt. Dennoch sollten natürlich Rückforderungsansprüche sehr ernst genommen und im Einzelfall geprüft werden. Mit dieser Form von Verhandlungen versuchen wir einen nachhaltigen Dialog mit den Ländern zu knüpfen.
Das Gespräch führte Julia Hitz.
Am 6. März findet im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine Podiumsdiskussion zum kolonialen Kulturerbe in Museen und Sammlungen statt. Zudem veranstaltet das Stuttgarter Linden-Museum am 24. April eine internationale und interdisziplinäre Tagung zum museologischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem kolonialen Erbe.