Iraks Ministerpräsident will Rücktritt einreichen
29. November 2019Nach wachsender Kritik will der irakische Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi zurücktreten. Mahdi teilte mit, als Reaktion auf einen Aufruf des geistlichen Oberhaupts der Schiiten im Land werde er das Parlament auffordern, seinen Rücktritt zu akzeptieren.Unter den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Bagdad brach angesichts der Rücktrittsankündigung Jubel aus.
Zuvor hatte der irakische Großajathollah Ali al-Sistani das Parlament angesichts der Eskalation der Gewalt aufgerufen, der Regierung das Vertrauen zu entziehen. Der einflussreiche schiitische Geistliche appellierte in seiner Freitagspredigt an die Abgeordneten, ihre Entscheidung zur Einsetzung der Regierung zu revidieren. Er reagierte damit auf die Eskalation der Gewalt bei den Protesten am Donnerstag, als mehr als 40 Demonstranten getötet worden waren.
Die Abgeordneten sollten "im Interesse des Irak handeln, um das Blut seiner Kinder zu bewahren und zu verhindern, dass er in Gewalt, Chaos und Zerstörung abgleitet", forderte Al-Sistani in der Predigt, die in der Pilgerstadt Kerbela von seinem Stellvertreter Ahmed al-Safi verlesen wurde. Er verurteilte das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten, das schon in einem Regierungsbericht als übermäßig kritisiert worden war. Zugleich forderte er die Demonstranten auf, friedlich zu bleiben. Al-Sistani genießt großes Ansehen unter den Gläubigen im Irak und verfügt über erheblichen Einfluss auf die politischen Parteien des Landes.
Am Donnerstag hatte bereits der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr den Rücktritt der von ihm mitgewählten Regierung gefordert. Sein Block hatte bei der Wahl des Parlaments im Mai 2018 die meisten Sitze gewonnen.
Der bekannte irakische Politik- und Sicherheitsexperte Hisham al-Hashimi sprach in einem Interview mit der DW von einem "schwarzen Freitag für den Iran". Teheran verliere mit ihm einen wichtigen Verbündeten in seinem Nachbarland. Mahdi gilt als Iran-nah. Im Irak selbst werde der Rücktritt zwar keine endgültige Beruhigung der Lage bringen, so Hashimis Einschätzung, aber er werde sicherlich ein wenig zur Eindämmung der Proteste beitragen. "Eine endgültige Beruhigung wird aber erst kommen, wenn die Hauptforderungen der Protestierenden erfüllt sind: eine Übergangsregierung und vorgezogene Neuwahlen auf Basis eines veränderten Wahlgesetzes und entstanden aus einer neuen Wahlkommission."
Die oberste Justizbehörde des Landes, der Hohe Justizrat, ordnete derweil die Bildung einer Kommission aus drei Richtern an. Sie sollten eine "dringende Untersuchung" zum Tod der Demonstranten in Al-Nasirija einleiten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur INA. Bei der Räumung von zwei besetzten Brücken in der südirakischen Stadt hatten die Sicherheitskräfte mindestens 26 Demonstranten erschossen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach von einem "Blutbad".
Die Regierung verschärfte die Sicherheitsmaßnahmen. In der Hauptstadt Bagdad und den Provinzen im Süden des Landes waren seit Freitag früh zusätzliche Sicherheitskräfte im Einsatz, wie Augenzeugen berichteten. Ihnen zufolge sind seit Mittwochabend bei schweren Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten mindestens 47 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 500 wurden demnach verletzt. In der Al-Nasirija seien insgesamt 32 Menschen getötet worden. In der Stadt Naschaf starben demnach 15 Menschen. Dort hatten Demonstranten das iranische Konsulat angegriffen und in Brand gesetzt. Bei den allermeisten Todesopfern handelt es sich um Demonstranten.
Die seit Anfang Oktober anhaltenden Demonstrationen richten sich gegen die von Schiiten dominierte politische Elite, Misswirtschaft, Korruption und hohe Arbeitslosigkeit. Es handelt sich um die größte Protestwelle seit dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein im Jahr 2003. Bei den Protesten wurden bereits knapp 400 Menschen getötet und mehr als 15.000 verletzt. Trotz der Gewalt ist es der Regierung nicht gelungen, wieder Herr der Lage zu werden. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der Regierung und ein neues politisches System.
stu/jj (afp, dpa)