Iran - das Land am Scheideweg
10. Februar 2005Die USA bringen ihre Pläne für die Möglichkeit eines Militärschlags gegen den Iran derzeit routinemäßig auf den neuesten Stand. Es gebe aber keine verstärkten Planungen wegen des vermuteten Atomwaffenprogramms des Golfstaates, sagte US-Luftwaffen-General Lance Smith am Mittwoch (9.2.2005) in Washington. "Was unsere Planungen betrifft, befinden wir uns in einer gewöhnlichen Aktualisierungsphase aller Militärpläne in all unseren Regionen." Smith ist stellvertretender Kommandeur des Central Command, das die US-Truppen im Nahen Osten sowie Teilen Asiens und Afrikas befehligt.
US-Präsident George W. Bush hatte kürzlich einen Militärschlag nicht ausgeschlossen, um den Iran an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern. Die US-Regierung betonte aber später, ein Angriff stehe nicht auf der Tagesordnung. Sie setze eher auf eine diplomatische Lösung des Streits. Am Mittwoch forderte Bush Europa auf, zusammen mit den USA "mit einer Stimme" gegenüber dem Iran zu sprechen. Er hoffe, dass es bei seinen Gesprächen in Europa im Februar gelinge, Teheran eine klare Botschaft zu schicken, sagte Bush nach einem Gespräch mit Polens Präsidenten Aleksander Kwasniewski in Washington. Nuklearwaffen i, Iran bedeuteten eine Destabilisierung der ganzen Region.
Kommt es doch zu einem Militärschlag gegen den Iran, falls die Diplomatie scheitert? Und wie hoch sind die Chancen, dass die Mullahs sich mit den westlichen Diplomaten einigen? DW-WORLD gibt auf den folgenden Seiten Antworten auf sieben wichtige Fragen zum Iran.
Lesen Sie weiter: 1. Wie viel Macht haben die Mullahs?
1. Wieviel Macht haben die Mullahs?
Am 1. April 1979 wurde die Islamische Republik Iran ausgerufen, Ajatollah Khomeini übernahm die Macht, das Schah-Regime wurde gestürzt. Laut Verfassung ist der Islam schiitischer Richtung Staatsreligion und die religiösen Führer (Mullahs) haben weit reichende Macht. Sie kontrollieren die Justiz und das Militär und stellen religiös legitimierte Staatsorgane wie den Wächterrat.
Johannes Reissner von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) warnt jedoch davor, die Mullahs als homogene Gruppe anzusehen. "Im Iran gibt es multiple Machtzentren", so der Iran-Experte. Er kritisiert dabei die "Propaganda" der USA, die den Eindruck erwecke, es gebe auf der einen Seite das "böse Regime" und auf der anderen das "gute Volk", das befreit werden müsse. "Das ist ein Denkmuster aus den Zeiten des Kalten Krieges". Es gebe im Iran zwar Unterdrückung und schlimmste Menschenrechts-Verletztungen. Doch hätten sich viele Menschen, wie beispielsweise die Handels-Bourgeoisie, mit den Herrschenden arrangiert.
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2. Wie ist die Bilanz von Staatspräsident Mohammed Chatami?
Die Amtszeit des jetzigen Präsidenten Mohammed Chatami endet am 1. August 2005. Der Reformer hat den Posten 1997 in einem erdrutschartigen Sieg erobert und ist 2001 wiedergewählt worden. Er kann laut Verfassung nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. Für den Iran-Experten Reissner sind unter Chatami wichtige Fortschritte (auch wenn die Weichen bereits unter Rafsandschanis Amtzeit gestellt wurden) erzielt worden. So sei man bei der Privatisierung vorangekommen. Außerdem kam es zur wichtigen Aussöhnung mit Saudi Arabien (1999) und zu einer Öffnung zum Westen, vor allem nach Europa.
Bei aller Kritik hat der Iran unter Chatami im Ausland ein freundlicheres Gesicht bekommen", sagt Reissner. Dennoch: Innenpolitisch hat Chatami viele Iraner enttäuscht. Für sie hat er seine Versprechen einer politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Öffnung des Landes nicht genügend gegen die konservativen Kräfte im Land durchsetzen können.
Lesen Sie weiter: Wie steht es um die Reformbemühungen?3. Wie steht es um die Reformbemühungen?
Die Wahlen im Februar 2004 bedeuteten einen herben Rückschlag für die Reformkräfte. Der Wächterrat, das oberste Verfassungsgremium der Islamischen Republik, hatte mehr als 2000 reformorientierte Bewerber von den Wahlen ausgeschlossen und verhalf damit den Konservativen zum Sieg. Diese erreichten dann über zwei Drittel aller Sitze. Damit hatte Präsident Chatami seine Fähigkeit, die iranische Politik zu bestimmen, weitgehend eingebüßt. Religiöse Traditionalisten und Nationalisten besetzen wieder die wichtigsten Machthebel.
Dennoch könne nicht von einem Ende des Demokratisierungsprozesses gesprochen werden, sagt Reissner. "Die Reformbewegung insgesamt ist ja nicht mit dem Schicksal einzelner Reformpolitiker verknüpft." Viele Beobachter sehen den Wandel der Gesellschaft schon zu weit fortgeschritten, als dass ihn Fundamentalisten noch stoppen könnten.
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4. Welche Ziele verfolgt der Iran mit dem Atomprogramm?
Trotz wachsenden Drucks der USA beharrt die iranische Regierung auf der Entwicklung eines eigenen Atomprogramms. "Hier geht es um eine Frage der nationalen Ehre", sagt Reissner. Man wolle sich nicht vom Westen gängeln lassen und besteht auf dem Recht, als souveräner Staat ein Atomprogramm durchzuführen.
"Ich glaube, es gibt im Iran noch keine endgültige Entscheidung darüber, ob man die Atombombe bauen will oder nicht", räumt Reissner jedoch ein. Gewissheit in dieser Frage gibt es nicht. Israel und die USA warnen schon seit Jahren vor der angeblichen Absicht Teherans, eine Atommacht zu werden. Der Verdacht ist nicht ganz unbegründet. Im Jahr 2002 wurde eine Anlage zur Anreicherung von Uran in Natanz entdeckt, die der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) nicht gemeldet worden war.
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5. Welche Folgen hätte ein Angriff der USA gegen den Iran?
In Israel und in den USA wird über einen möglichen Präventivschlag gegen die iranischen Nuklearanlagen nach dem Beispiel des israelischen Angriffs auf den irakischen Forschungsreaktor Osirak im Jahr 1981 spekuliert. Eine solche Attacke hätte unabsehbare Folgen für die Region. Der Iran hätte durchaus Möglichkeiten zur Vergeltung. Seine Schahab-3-Raketen, die eine Reichweite von 2000 Kilometern haben sollen, könnten auf amerikanische Stützpunkte am Golf oder auf Israel gefeuert werden. Auch indirekt könnte der Iran den USA Schwierigkeiten bereiten, indem er zum Beispiel militante Schiiten im Irak im Kampf gegen die Besatzung unterstützt.Lesen Sie weiter: Am 17. Juni 2005 sollen Präsidentschaftswahlen stattfinden: Wer hat die besten Chancen?
6. Am 17. Juni 2005 sollen Präsidentschaftswahlen stattfinden: Wer hat die besten Chancen?
Die meisten Experten wollen sich noch nicht auf einen Kandidaten festlegen. Klar ist, dass sich die Iraner einen starken Präsidenten wünschen, der vor allem die wirtschaftiche Situation der Iraner verbessern soll. Der Wunsch nach mehr politischer Freiheit kommt erst an zweiter Stelle. Gute Chancen hat der frühere iranische Präsident Ali Akbar Haschemi-Rafsandschani, wenn er tatsächlich zu den Wahlen antritt. Der 70-Jährige gilt als gemäßigter konservativer Politiker. Er hatte den Posten des Präsidenten bereits von 1989 bis 1997 inne und leitete damals in bescheidenem Umfang soziale Reformen ein.
Rafsandschani, dem während seiner Amtszeit immer wieder eine Verwicklung in internationale Terroraktionen nachgesagt wurde, kann dem Lager der "pragmatischen Konservativen" zugeordnet werden, die sich für ein positives außenpolitisches Engagement, Markwirtschaft und eine milde Auslegung der Moralvorschriften einsetzen. Diese Gruppe stellt jedoch das Prinzip der religiösen Herrschaftslegitimation nicht in Frage.
Zu den pragmatischen Konservativen gehören auch Hassan Rowhani, der derzeitige Verhandlungsführer in Atomfragen oder der frühere Revolutionsgardenchef Mohsen Rezaei. Gute Aussichten im konservativen Lager könnte der frühere Außenminister Ali-Akbar Velayati haben, der zurzeit Ajatollah Ali Chamenei als außenpolitischer Berater dient. Sein Nachteil ist, dass er als Drahtzieher am Mord oppositioneller Kurden im Berliner Lokal Mykonos im Jahr 1992 gilt.
Der Sieg der Konservativen wäre ein weiterer Rückschlag für die Reformbewegung. Als Bewerber aus diesem Lager wird der frühere Erziehungsminister Mostafa Moin von der größten Reformpartei, der Islamisch-Iranischen Beteiligungsfront, genannt. Moin hatte sich 2003 aus der Regierung Chatami zurückgezogen. Er protestierte damit gegen die Massenverhaftungen unter Studenten, die für weitere Reformen auf die Straße gegangen waren. Auch wenn Moin unter jungen Akademikern Rückhalt genießt, werden ihm im Reformlager weniger Chancen eingeräumt als dem ehemaligen Parlamentspräsident Mehdi Karrubi. Der hat jedoch noch keine endgültige Entscheidung getroffen, ob er kandidieren will.
Lesen Sie weiter: Welches sind die wichtigsten Staatsorgane?
7. Welches sind die wichtigsten Staatsorgane?
- Der Oberste Geistliche Führer (Wilayat-e Fakih) ist seit Chomeinis Tod im Juni 1989 der ultrakonservative Ajatollah Ali Chamenei. Er ist die nominell höchste Autorität des Landes. Der Geistliche Führer vertritt den Imam Mehdi ("verborgener" zwölfter Imam). Er steht über der Legislative, Exekutive und Judikative, ist zudem Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er wird vom so genannten Expertenrat (Majlis-e Khobregan) bestimmt, ein seit 1982 existierendes Gremium von 86 Mitglieder, ausschließlich Geistliche.
- Die Islamische Beratende Versammlung ist das Einkammer-Parlament (Majlis-e-Shura e Islami) - es wird alle vier Jahre gewählt. Es gibt 290 direkt gewählte Abgeordnete. 5 Mandate sind für Angehörige religiöser Minderheiten reserviert. Allen vom Parlament verabschiedeten Gesetzen und Verordnungen muss der Wächterrat zustimmen.
- Der Wächterrat (Shura-e-Nigahban) besteht aus sechs vom Geistlichen Führer ernannten islamischen Rechtsgelehrten und sechs vom Parlament gewählten Juristen. Er wurde 1980 gegründet und prüft, ob die Gesetze und Verordnungen mit den Prinzipien des Islam vereinbar sind. Zudem entscheidet der Rat über die Zulassung der Kandidaten zu Parlaments-, Kommunal- und Expertenratswahlen. Die Prüfung der "spirituellen Eignung" der Kandidaten, dient laut Kritikern vor allem der Ausschaltung politischen Rivalen.
- Der Staatspräsident hat seit den Verfassungsänderungen nach Chomeinis Tod als Vorsitzender der Exekutive eine deutlich stärkere Position als zuvor (das Amt des Premierministers wurde abgeschafft). Er wird für vier Jahre direkt vom Volk gewählt, ernennt die Vizepräsidenten und schlägt dem Parlament sein Kabinett zur Bestätigung vor.
- Dem Staatspräsidenten untersteht der 1989 gegründete Oberste Nationale Sicherheitsrat (Shura-ye Ali-ye Amniyyat-e Melli). Ihm gehören unter anderem zwei Vertreter des Geistlichen Führers, der Vorsitzende der Judikative, der Parlamentssprecher, der Generalstabschef der Streitkräfte sowie der Außen-, Innen- und Sicherheitsminister an. Er besitzt weitreichende Funktionen: hinsichtlich der Abstimmung der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik mit den ökonomischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen im Land.
- Der 34-köpfige Schlichtungsrat (Shura-ye Tashkhis-e Maslahat-e Nezam) wurde 1988 als Schlichtungsgremium zwischen Parlament und Wächterrat eingerichtet. Ständige Mitglieder sind die Führer von Legislative, Exekutive und Judikative, die Mitglieder des Wächterrates und die Minister oder Organisationsleiter aus dem Sachgebiet der jeweils behandelten Angelegenheit.