Fünf Milliarden Dollar verschwunden
30. April 2020Am 14. April trat Adel Azar, Direktor des Obersten Rechnungshofs des Iran (SAC), an die Öffentlichkeit. Fast fünf Milliarden Dollar aus dem Importbudget der Regierung seien verschwunden, erklärte er. Einen entsprechenden Bericht verschickte Azar an die Generalstaatsanwaltschaft.
Dem Bericht des Obersten Rechnungshofs zufolge hat die Regierung zur Finanzierung der Importe im Zeitraum zwischen März 2019 und März 2020 ein Budget von 31,4 Milliarden Dollar aufgebracht. Importiert wurden jedoch nur Waren im Wert von 26.6 Milliarden Dollar. Für die restliche Summe im Wert von 4,8 Milliarden Dollar fehlen bislang jegliche Belege.
Einen Tag später reagierte Irans Präsident Hassan Rohani auf die Meldung. "Nichts ist verschwunden", versuchte er die Öffentlichkeit zu beschwichtigen. "Die Regierung hat eine Liste von Geschäftsleuten, die für Importe von der Regierung subventionierte Dollar-Devisen erhalten haben."
Zudem warf Rohani Staatsanwalt Azar vor, irreführende Informationen zu verbreiten. Das Geld sei nicht verschwunden. Die Regierung habe weiterhin volles Vertrauen zu den Importeuren. Diejenigen Unternehmer, die in dem Geschäftsjahr keine Importe getätigt hatten, forderte er auf, sich mit dem Obersten Rechnungshof im Verbindungen zu setzen. Dort sollten sie den Verbleib des Geldes klären.
Doch die Justizbehörden gaben sich mit Rohanis Erklärung nicht zufrieden. Generalstaatsanwalt Ali Alghasi teilte am 27. April mit, seine Behörde ermittle gegen 25 Mitarbeiter der iranischen Zentralbank, darunter auch einige hochrangige Mitarbeiter. Diese hatten die bewilligten Summen an die Importeure ausgezahlt.
Zwei Umtauschkurse
Die Brisanz des Vorfalls liegt nicht zuletzt in dem komplizierten Wechselkurssystem Irans. Die Regierung finanziert ihr Budget bis zu 40 Prozent mit Deviseneinnahmen aus dem Ölexport, meist in Dollar. Sie tauscht ihre Einnahmen auf dem iranischen Markt und wechselt die Dollars in iranische Rial. Mit ihnen finanziert sie den iranischen Staatsapparat.
Innerhalb des Landes gibt es allerdings zwei Umtauschkurse: einen offiziellen, vom Staat subventionierten. Er bietet einen sehr günstigen Umtauschkurs: Ein Dollar ist dort für rund 42.000 Rial erhältlich. In den Genuss dieses Kurses kommen aber nur wenige Personen - so etwa Unternehmer, die im Auftrag der Regierung wichtige Produkte wie Rohmaterial für Industrie oder Medikamente importieren
Der zweite auf dem freien Markt übliche Wechselkurs ist für alle, die nur über die iranische Währung verfügen, erheblich ungünstiger. Dort ist für einen US-Dollar die mehr als dreifache Summe zu zahlen, nämlich rund 155.000 Rial.
Die an die Importeure ausgezahlten 4,8 Milliarden Dollar gehören zu den subventionierten Devisen. Die Empfänger sind systemtreue und bestens vernetzte Unternehmer, vom iranischen Präsidenten als "geschätzte Geschäftsleute" bezeichnet. Ihr Ansehen in Regierungskreisen gründet auf ihrer wichtigen Rolle bei der Umgehung der US-Sanktionen.
Denn Iran kann aufgrund der US-Finanzsanktionen über reguläre Handelskanäle kaum noch Importe tätigen. Selbst bei medizinischen und humanitären Gütern sind finanzielle Transaktionen schwierig. In dieser Situation besorgen die Importeure über ihre im Ausland gegründeten Firmen die benötigten Waren, um sie dann mit Sondergenehmigungen der Behörden in den Iran zu bringen.
Hohe Verluste für den Steuerzahler
Sollte der Verbleib der vermissten Gelder nicht aufgeklärt werden, käme das den Steuerzahler teuer zu stehen. Denn der dreifach günstigere subventionierte Kurs bedeutet für sie, dass sich auch die Höhe des Verlustes verdreifacht hat, sollte die vermissten Gelder nicht wieder auftauchen. Die Steuerzahler müssten die Ausfälle nämlich in Rial erstatten, und zwar auf Grundlage des freien , für sie dreimal teureren Wechselkurses.
Noch ist offen, ob das Geld versehentlich oder bewusst nicht zurückgezahlt wurde. Allerdings sind Importeure wiederholt der Korruption und Vetternwirtschaft bezichtigt worden. Einer der bekanntesten Fälle ist der von Shabnam Nematzadeh. Die bestens vernetzte Tochter eines ehemaligen Industrieministers wurde im letzten Dezember wegen Korruption und Manipulation des Medikamentenmarktes zur 20 Jahren Haft verurteilt. Ihre Firmen besaßen Sondergenehmigungen für den Import und die Verteilung von Medikamenten im Iran.
Schrumpfender Staatshaushalt
Der Iran steht momentan wegen massiver Sanktionen der USA gegen seinen Ölsektor unter finanziellem Druck. Denn um die iranischen Ölexporte auf Null zu reduzieren, drohen die USA jedem Abnehmer iranischen Öl mit Wirtschaftssanktionen. Die Folge: Vom Juni 2017 bis zum Januar 2020 schumpfte der Ölexport von 2,2 Million Barrel auf gerade 400.000 Barrel täglich. Entsprechend schrumpft auch der Staatshaushalt.
Hinzu kommt nun die Corona-Krise, die dem Land ökonomisch wie medizinisch auf das schwerste zusetzt. Zum ersten Mal seit über 50 Jahren beantragte die Regierung darum einen Kredit beim Internationalen Weltwährungsfond, IMF, und zwar in Höhe von rund fünf Milliarden Dollar zur Krisenbekämpfung. Einen laxen Umgang mit Steuermitteln kann sich das Land in der derzeitigen Situation nicht leisten.