Iran: Frauen wehren sich gegen staatliche Gewalt
24. November 2023Am 25. November jeden Jahres wird der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen begangen. Im Iran wird aber offiziell wenig über diesen Tag gesprochen. Dieser Tag wurde erstmals 1981 von feministischen Aktivistinnen ausgerufen, um auf die weitverbreitete Gewalt an Frauen aufmerksam zu machen. Dieser Tag soll ein Bewusstsein für die verschiedenen Formen der Gewalt zu schaffen, mit denen Frauen konfrontiert sind.
Wenn Medien im Iran das Thema "Gewalt an Frauen" aufgreifen, konzentrieren sie sich meist auf Gewalt an Frauen in westlichen Ländern, wo die Menschen angeblich ohne den Schutz der Religion leben. Sie beziehen sich auf Statistiken, die vermeintlich viel höher als im Iran ausfallen. Statistiken über Gewalt an Frauen im Iran sind jedoch schwer zu finden und oft unvollständig. Viele Formen von Gewalt an Frauen werden gar nicht erfasst, zum Beispiel die tägliche staatliche Gewalt.
Der Machtapparat als größte Gefahr für Frauen
"Die größte Gefahr für Frauen im Iran geht vom Staat aus", sagt die iranische Rechts- und Religionswissenschaftlerin Sedigheh Vasmaghi im Gespräch mit der DW. Die 62-jährige Juristin aus Teheran zählt zu den prominentesten Kritikerinnen der islamischen Republik im Iran. Sie unterrichtete lange als einzige Frau an der theologischen Fakultät der Teheraner Universität. Ihre kritische Denkweise und Haltung sind den Machthabern in Teheran ein Dorn im Auge.
Vasmaghi kritisiert insbesondere Gesetze, die auf einer strengen Auslegung der Scharia basieren. "Diese Gesetze legitimieren die Anwendung von Gewalt an Frauen und geben ihr dadurch eine rechtliche Grundlage." Ein Beispiel dafür sieht die Juristin in dem neuen Gesetzentwurf zum Kopftuchzwang sowie in allen anderen verschärften Maßnahmen bezüglich der Kleiderordnung für Frauen, "die mit nackter Gewalt in großem Maßstab in der Öffentlichkeit durchgesetzt werden."
Vasmaghi, die zwischen 2011 und 2017 in Deutschland lebte und als Gastprofessorin an der Universität Göttingen arbeitete, schrieb im April 2023 einem offenen Brief an den Obersten Führer der Islamischen Republik, Ali Khamenei. Darin stellt sie den Hijab aus theologischer Sicht in Frage. Die Hijab-Gesetze der Islamischen Republik besäßen keine Grundlage im Koran. Die Bestrafung von Frauen, die gegen diese Regeln verstoßen, warnte Vasmaghi, würde gesellschaftliche, politische und psychische Konsequenzen haben. Solcherlei Strafen verletzten die Würde der Frauen und verschärften die gesellschaftliche Polarisierung.
Ende September verabschiedete das iranische Parlament eine kontroverse Reform des Kleidungsgesetzes, die bei Verstößen, insbesondere gegen die Kopftuchpflicht, drastische Strafen vorsieht. Bei wiederholten Verstößen können sogar Haftstrafen von bis zu 15 Jahren verhängt werden. Zudem wird die Veröffentlichung von Fotos von Frauen ohne Kopftuch im Internet unter Strafe gestellt, begleitet von möglichen Ausreisesperren. Die Justiz droht bei Verstößen mit der Schließung von Einkaufspassagen, Restaurants oder Museen.
Diskriminierung durch Gesetze
Für viele Frauen, die es satt haben, sich anzupassen und ständig das Kopftuch zu tragen, bedeutet dies im täglichen Leben, dass sie permanent in Angst leben, angegriffen oder sogar totgeprügelt zu werden. Seit dem tragischen Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam im September 2022 und den darauf folgenden landesweiten Protesten, weigern sich dennoch viele Frauen in der Öffentlichkeit, das Kopftuch zu tragen. Das Kopftuch als "Flagge der Islamischen Republik", wie das Mitglied im parlamentarischen Kulturausschuss Hossein Jalali betont, symbolisiert für Frauen die staatliche Diskriminierung der Frauen, die sich auch in den Gesetzen und der Rechtsprechung, im Erbrecht, im Vertragsrecht, bei der Reisefreiheit und vielem mehr wiederfindet.
"Im Iran stellt die Gewalt gegen Frauen ein Kontinuum dar", erklärt die iranische Soziologin Azadeh Kian. Kian lebt in Paris und ist Direktorin des Zentrums für Gender- und feministische Studien an der Universität Paris. Sie recherchiert seit langem über die Frauenbewegung im Iran. "Die staatliche Gewalt in der Öffentlichkeit findet eine Fortsetzung in häuslicher Gewalt", sagt Kian und betont: "Wenn eine Frau in Deutschland oder Frankreich zu Hause Opfer von Gewalt wird, wendet sie sich an die Polizei. Im Iran übt die Polizei die Gewalt gegen Frauen aus."
Frauen, die sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zeigen, berichten in vertraulichen Gesprächen mit der DW von dem Stress, dem sie ausgesetzt sind. Eine 50-jährige Frau aus der Hauptstadt Teheran schildert ihre Erfahrung: "In meinem Auto hatte ich mein Kopftuch fallen gelassen. Die Überwachungskameras haben mich erwischt, und mein Auto wurde beschlagnahmt und mitgenommen. Das Schlimmste jedoch war, wie unfreundlich die Sittenpolizisten mit mir reden und sich erlaubten mich anzuschreien." Andere Frauen erzählen von ähnlichen Erfahrungen. Sie betonnen, dass die Sittenpolizei häufig unerwartet auftaucht und versucht, Frauen durch Anwendung von Gewalt und Brutalität einzuschüchtern.
Die Gesellschaft schafft neue Fakten
"Diese Gewalt wird die Frauen nicht einschüchtern" sagt die iranische Rechts- und Religionswissenschaftlerin Sedigheh Vasmaghi und fügt hinzu: "Als Mitglied dieser Gesellschaft beobachte ich einen tiefgreifenden Wandel. Der Glaube an den Hijab und das Kopftuch schwindet sogar bei vielen religiösen Menschen, sowohl Frauen als auch Männer. Ich sehe immer mehr religiöse Frauen, die in ihren eigenen Kreisen kein Kopftuch mehr tragen und dabei von ihren Männern unterstützt werden."
Für die Soziologin Kian geht diese Entwicklung sogar noch weiter. "Wenn Frauen auf der Straße Gewalt erfahren, treten manchmal fremde Männer jetzt vor sie und schützen sie." Bemerkenswert findet sie, dass dies nicht nur in der traditionell liberaleren Hauptstadt Teheran, sondern im ganzen Land geschehe. Mittlerweile gebe es auch Restaurant- und Ladenbesitzer, die lieber ihre Geschäfte schließen als das Verbot unverschleierte Frauen zu bedienen umzusetzen. "Diese Männer und Frauen sind Teil eines Widerstands, der die Frauenrechte nicht in den Gesetzen, sondern im öffentlichen Raum schafft." Die iranische Theokratie hält also an ihrem rückwärtsgewandten Frauenbild fest, während die iranische Gesellschaft zunehmen Fakten schafft.