Iran: Mit Angst vor Gewalt ins neue Jahr
"Wir stolpern von einer Krise in die nächste, ohne dass es besser wird." Ghasem Shole Sadi klingt resigniert. Das ehemalige Mitglied des iranischen Parlaments spart im Gespräch mit der Deutschen Welle aus Teheran nicht an Kritik: "Das politische System steckt in einer Sackgasse. Die demokratische Kräfte sind nicht in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen und uns aus der Krise zu führen."
Wie viele andere ist Shole Sadi enttäuscht von den sogenannten "Reformern" und "Moderaten", die bei der Parlamentswahl 2016 die Mehrheit gewonnen haben. "Sie haben uns gezeigt, dass sie nichts zu sagen haben. Zentrale Entscheidungen wie die Erhöhung des Benzinpreises wurden über ihre Köpfe hinweg getroffen. Und sie haben nicht einmal den Mut, diese umstrittene Entscheidung in Frage zu stellen." Das Fazit des Ex-Parlamentariers: "Der geistliche Führer regiert dieses Land alleine."
Position Chameneis gestärkt
Der US-Strategie des "maximalen Drucks", die verschärften US-Sanktionen haben im Iran die Position des geistlichen und politischen Führers Ajatollah Ali Chamenei gestärkt. Er und die von ihm angeführten mächtigen Revolutionsgarden bestehen nun mehr dann je auf der Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Iran gegen die USA. Und Widerspruch dulden sie weniger denn je. Die USA waren im Mai 2018 einseitig aus dem internationalen Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen. Mit "maximalem Druck" will Washington den Iran zu einem neuen, umfassenden Abkommen zwingen. Das soll auch die iranische Regionalpolitik und sein Raketenprogramm einbeziehen.
Zwar steckt die islamische Republik in der Folge in schwerste Krise ihrer 40-jährigen Geschichte. Zugeständnisse aber sind nicht in Sicht. Der geistliche Führer lehnt unter Sanktionsdruck jede Verhandlung mit den USA ab. Statt dessen hat Chamenei einen Rat ernannt, der eine Politik des "maximalen Widerstands" gegen die USA entwickeln und durchsetzen soll. Chameneis Gegner in Washington ist das "Office of Foreign Assets Control", das "Amt zur Kontrolle von Auslandsvermögen". Diese Behörde des US-Finanzministeriums ist auch zuständig für die US-Sanktionen gegen den Iran. Sie hat die bislang härtesten Sanktionen gegen den Iran verhängt. Besonders betroffen ist die iranische Ölindustrie, die größte Einnahmequelle des Landes.
Eskalation am Golf
Als Antwort darauf hatte der Iran von Mai 2019 an mit einem schrittweisen Ausstieg aus dem Atomabkommen begonnen. Zudem hat Teheran gedroht, die Straße von Hormus zu blockieren. Durch diese Meerenge werden knapp ein Drittel des globalen Ölexports transportiert. "Entweder alle können ihr Öl verkaufen, oder keiner", hatte der iranische Präsident Hassan Rouhani schon vor Monaten erklärt. Im Sommer eskalierten die Spannungen: Eine Reihe von Attacken auf Öltanker – bei denen der Iran jede Urheberschaft bestritt - und der Abschuss einer US-Drohne brachten die Kontrahenten an den Rand des Krieges. Die Nerven lagen blank als US-Präsident Donald Trump am 21. Juni einen Vergeltungsangriff auf den Iran in letzter Sekunde absagte. Unbeeindruckt wiederholte Ayatollah Chamenei in einer Rede: "Wir werden nicht verhandeln und ein Krieg wird nicht ausbrechen."
Der geistliche Führer und die Hardliner im Iran spekulieren darauf, dass die US-Regierung unter Donald Trump anderthalb Jahre vor der Wahl keinen neuen Krieg im Mittleren Osten beginnen will, meinte damals Kamran Matin. Der Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität von Sussex in England analysierte im Gespräch mit der DW im Juni: "(Chamenei und die Hardliner) wollen den USA, ihren Verbündeten und den Menschen im Iran ihre Widerstandsfähigkeit präsentieren."
Im September stiegen die Spannungen weiter: Mehrere Drohnen zerstörten bei einem Angriff große Teile der wichtigsten Ölverarbeitungsanlage in Saudi-Arabien. Riad ist der wichtigste US-Verbündete am Persischen Golf und Irans Erzrivale in der Region. Zwar bekannten sich Huthi-Rebellen aus dem Jemen zu dem Angriff, aber der Iran wird als Verantwortlicher verdächtigt.
Benzinpreiserhöhung und die Folgen
Auch im Iran verschärft sich die Lage. Der vom religiösen Führer gebildete Widerstandsrat – verfassungswidrig, wie der Jurist Ghasem Shole Sadi betont - muss eine harte Sparpolitik durchführen und Subventionen kürzen. Es fehlt an Geld. Wegen der US-Sanktionen sind Irans Ölexporte bis Anfang Oktober um mehr als 80 Prozent eingebrochen im Vergleich zu 2017. Der Rat besteht aus Präsident Hassan Rohani, Parlamentspräsident Ali Laridschani und Justizminister Ebrahim Raisi.
Wegen knapper Finanzen entschied der Rat Mitte November, Benzin zu rationieren und zugleich die Preise für den stark subventionierten Treibstoff erhöht. Wohlwissend, dass die Erhöhung der Benzinpreise für Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen schwere Folgen hat. Über die unmittelbare Wirkung an der Zapfsäule hinaus werden durch den Dominoeffekt mitten in der Wirtschaftskrise viele weitere alltägliche Waren und Dienstleistungen noch teurer. Damit war auch absehbar, dass die Erhöhung der Kraftstoffpreise Proteste hervorrufen würde. Die Sicherheitskräfte waren bereit, jede Art von Protest sofort und brutal zu unterdrücken.
Nicht nur wurde erstmals das ganze Land vom Internet abgekoppelt. "Es wurde mit scharfer Munition oft auf den Oberkörper geschossen um gezielt zu töten", sagt der Menschenrechtsaktivist Reza Khandan im Gespräch mit der Deutschen Welle. Wie viele Menschen getötet wurden, weiß keiner genau. Amnesty International nennt im jüngsten Bericht der NGO zu den Unruhen die Zahl 304.
Vergleich mit der Situation 1979
Der brutale Umgang mit den verzweifelten Menschen, die gegen die Erhöhung der Preise protestierten, hat viele Menschen im Iran tief schockiert. Auch den einstigen Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Mussawi. In seinem ersten offenen Brief seit neun Jahren verglich die Integrationsfigur der "Grünen Bewegung" von 2009 die heutige Situation im Iran mit jener, die zur islamischen Revolution von 1979 führte. Vor der Revolution seien die Mörder Vertreter eines nicht-religiösen Regimes gewesen, heute seien sie Vertreter einer religiösen Regierung, so Mussawi in dem Brief.
Düster blickt auch Aktivist Khandan in die Zukunft: "Keiner will Verantwortung übernehmen und keiner hat eine Lösung. Es ist eine Frage der Zeit, wann die Menschen wieder auf der Straße gehen. Was auf uns zukommt, ist eine Zeit des Terrors und der Gewalt" prophezeit er. Mit Blick auf die Parlamentswahlen im März sagt der ehemalige Abgeordnete Ghasem Shole Sadi eine geringe Beteiligung voraus. Zu enttäuscht seien die Menschen von Rohani und den Reformpolitikern. Davon profitierten die Konservativen und Hardliner, die über eine treue Wählerschaft verfügten. Aber Sadi sagt auch: "Es ist egal, wer die Wahlen gewinnt, am Ende entscheidet ohnehin nur eine Person über alles."
Diese Person ist der 80-jährige Ajatollah Ali Chamenei. Er ist krank und das Ende seiner Amtszeit ist absehbar. Was nach ihm auf das Land zukommt, aber nicht. Nur dies, dass die Konservativen gegenüber den Moderaten in einer noch besseren Ausgangsposition für den Kampf um die Nachfolge sind.