Irans neue Schritte aus dem Atomdeal
1. April 2020Während das Coronavirus im Iran wütet und die iranischen Experten von bis zu 3,5 Millionen Toten infolge der Epidemie ausgehen, teilt die iranische Atomenergiebehörde mit, modernere und schnellere Zentrifugen entwickelt zu haben. Diese sollen bald vorgestellt und in Betrieb genommen werden, heißt es in einer am 27.März veröffentlichten Mitteilung. Der Iran sei nur an der zivilen Nutzung der Kernkraft interessiert, beteuert die Atomenergiebehörde in ihrer Mitteilung weiter.
"Grundsätzlich widersprechen noch schnellere Zentrifugen nicht der zivilen Nutzung, aber sie verstoßen gegen das internationale Atomabkommen, die sogenannte Wiener Nuklearvereinbarung", sagt der iranische Physiker Behrooz Bayat.
Atomabkommen am seidenen Faden
Das Abkommen wurde 2015 zwischen dem Iran und den fünf Vetomächten im UN-Sicherheitsrat plus Deutschland unterzeichnet. Damit sollte sichergestellt werden, dass das Land in absehbarer Zeit keine Atomwaffen entwickeln kann. Im Gegenzug sollten Sanktionserleichterungen dem Iran den Weg zurück in die Weltwirtschaft ebnen. Die USA hatten allerdings unter Präsident Donald Trump im Mai 2018 das Abkommen einseitig gekündigt und gegen den Iran und seine Handelspartner erneut Wirtschaftssanktionen verhängt. Ein Jahr danach, im Mai 2019 , kündigte Iran als Reaktion an, schrittweise aus dem Atomabkommen auszusteigen. Teheran will so den Druck auf die übrigen Vertragspartner erhöhen, dem Iran trotz der US-Sanktionen die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile zukommen zu lassen.
Indirekte Drohung mit der Atombombe
"Das iranische Atomprogramm war als Abschreckungsinstrument konzipiert. Dem Regime fehlen nun die Mittel, den Vertragsbruch der USA zu kontern", analysiert Bayat. Die Forcierung des Programms durch die Modernisierung der Zentrifugenanlagen, so vermutet der ehemalige Berater der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, könne als "verklausulierte Drohung verstanden werden, sich dem Besitz der Atombombe nähern zu wollen."
Modernere und schnellere Zentrifugen machen Irans Urananreicherung schneller und effektiver. Das würde auch die Zeit verkürzen, die der Iran braucht, um genug waffenfähiges Uran herzustellen. Das Land hat laut dem jüngsten Bericht der IAEA seinen Gesamtbestand an schwach angereichertem Uran bereits verdreifacht: Der belief sich am 19. Februar auf 1020,9 Kilogramm, gegenüber den 372,3 Kilogramm, die im IAEA-Bericht vom 3. November 2019 dokumentiert wurden.
Damit hat der Iran längst die im Atomabkommen festgelegte Obergrenze von 300 Kilogramm fast um das Vierfache überschritten. Dadurch ist das Land nach Ansicht von Experten in Reichweite derjenigen Menge an schwach angereichertem Uran gelangt, die als Ausgangsbasis für höhere Anreicherung und damit für die Herstellung einer Atomwaffe benötigt wird.
Dissens mit der IAEA
In dem jüngsten Bericht der IAEA vom 3. März heißt es, Teheran habe Experten der Organisation im Januar den Zugang zu zwei Anlagen verwehrt. IAEA-Chef Rafael Grossi forderte den Iran auf, die volle Kooperation mit der UN-Behörde wieder aufzunehmen.
Der Iran habe dagegen erklärt, man sehe keine Pflicht zu Informationen über Aktivitäten in der Vergangenheit. "Wir haben die Fragen der IAEA beantwortet", sagte der iranische IAEA-Botschafter am 20. März. Der Iran werde weiterhin intensiv mit der IAEA zusammenarbeiten. Forderungen, die im Zusammenhang mit Vorwürfen Israels und der USA gegen den Iran erhoben wurden, werde man aber nicht akzeptieren. Israel hatte nach Angaben von Ministerpräsident Netanjahu geheime Entwicklungsstätten für Atomwaffen im Iran entdeckt. Der Iran habe die Produktionsstätte allerdings zwischen Ende Juni und Ende Juli 2019 zerstört, weil klar geworden sei, dass Israel darüber Bescheid wisse, erklärte Israels Ministerpräsident im September.
Erstmals Transaktion über Instex abgewickelt
Wenn Europa seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt, werde auch der Iran zum Abkommen zurückkehren, hat Irans Präsident Rohani wiederholt betont. Der Iran steckt nun wegen der Corona-Pandemie in einer tiefen Krise. Washingtons Sanktionen erschweren die für den Import nötigen finanziellen Transaktionen, auch bei medizinischen und humanitären Gütern. Banken wollen aus Angst vor US-Strafen gar keine Handelsgeschäfte mit dem Iran finanzieren.
Immerhin hat die von Frankreich, Deutschland und Großbritannien geschaffene Handelsplattform Instex am Dienstag nach mehr als einem Jahr Vorbereitung ihre erste Transaktion durchgeführt. Die Ausfuhr medizinischer Güter nach Iran sei damit ermöglicht worden, teilte das Auswärtige Amt am Dienstag mit. Laut der Zeitschrift "The Economist" sind die Güter für die Bekämpfung von Covid-19 bestimmt.
Atomprogramm im Einsatz gegen Corona?
Aliakbar Salehi, Leiter der iranischen Atomenergiebehörde, nutzt unterdessen die Corona-Krise zur Rechtfertigung des Atomprogramms. Seine Behörde desinfiziere mit Gammastrahlen Masken, Handschuhe und andere meizinische Ausrüstung, so Salehi. Quellen für die Gammastrahlen können in Atomreaktoren gewonnen werden. "Es ist zwar richtig, dass die Bestrahlung mit Gammastrahlen zur Sterilisation von medizinischen Masken und Handschuhen usw. verwendet werden kann. Es ist allerdings fraglich, in wieweit ihr Einsatz für die direkte Bekämpfung von Covid-19 sinnvoll ist", sagt der Physiker Behrooz Bayat.
"Die Strategie von Herrn Salehi besteht darin, das Atomprogramm des Regimes in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Daher rückt er einen unumstrittenen Teil des Programms in einem für ihn günstigen Moment in den Vordergrund." Ali Akbar Salehi weiß auch: Das Interesse der Iraner an dem in den letzten zwei Jahrzehnten mit viel Ärger und Kosten verbundenen Atomprogramm schwindet.