Iran will Millionen Afghanen abschieben
12. September 2024"Im kommenden halben Jahr sollen rund zwei Millionen Ausländer ohne gültigen Aufenthaltsstatus den Iran verlassen", kündigte der iranische Landespolizeichef Ahmad-Resa Radan am Dienstag, den 10. September, in einem Interview mit dem Nachrichtenportal "Young Journalists Club" an. Die Sicherheitsbehörden und das Innenministerium würden laut seiner Aussage an Maßnahmen arbeiten, die es langfristig ermöglichten, "eine beträchtliche Zahl illegaler ausländischer Staatsangehöriger" auszuweisen.
Wenn die iranischen Behörden von illegalen Einwanderern sprechen, meinen sie afghanische Migranten. Die beiden Nachbarländer teilen eine mehr als 900 Kilometer lange Grenze, die teils über schwer zugängliche, hohe Berge verläuft. Seit über 40 Jahren fliehen Afghanen vor Bürgerkrieg, Armut und jetzt auch vor den Taliban in den Iran.
"Afghanen sind kultivierte Menschen, aber unser Land kann nicht so viele Migranten aufnehmen", sagte Irans Innenminister in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen am 9. September. Er betonte das große Leid der Afghanen und die kulturellen Gemeinsamkeiten mit den Iranern: "Wir haben einen Plan, um diese Angelegenheit geordnet und ohne Aufregung zu behandeln. Die Priorität liegt bei den illegalen Migranten." Bereits im Mai 2024 teilte das Innenministerium mit, dass innerhalb von zwölf Monaten 1,3 Millionen illegal Eingewanderte nach Afghanistan abgeschoben worden seien.
UNHCR: Über vier Millionen Afghanen im Iran
Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks leben fast 4,5 Millionen Afghanen im Iran. Laut iranischen Medienberichten könnte die tatsächliche Zahl jedoch weitaus höher sein. Einige Schätzungen gehen von sechs, andere von bis zu acht Millionen Migranten aus. Viele von ihnen haben keinen legalen Aufenthaltsstatus. Aus Angst vor Abschiebung lassen sie sich nicht registrieren. Viele von ihnen träumen von einem besseren Leben in Europa und wollen weiter reisen.
Aufgrund von Gemeinsamkeiten in der Sprache können sie im Iran in der Gesellschaft untertauchen und sich mit der Unterstützung anderer illegaler Einwanderer über Wasser halten. Sie arbeiten als billige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft oder auf Baustellen, wo viele Iraner nicht arbeiten wollen.
Seit Monaten tobt eine hitzige Debatte über die hohe Zahl afghanischer Flüchtlinge im Iran. Sie würden Jobs wegnehmen und das Sozialsystem belasten, behaupten derzeit viele Iraner. Die Medien berichten fast täglich über steigende Kriminalität wie Vergewaltigungen oder Morde durch Geflüchtete, über die Knappheit von Grundnahrungsmitteln wie bei Mehl oder Eiern und über die Überlastung des Gesundheitssystems – unter anderem aufgrund ansteckender Krankheiten, die angeblich von illegalen Migranten eingeschleppt werden. Im Internet kursieren Petitionen, die die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge fordern, sowie zahlreiche Hasskommentare gegen sie.
Wer sich für die Afghanen einsetzt, wird zur Zielscheibe
Wer sich gegen diese Stimmung ausspricht, auf die Rechte der Migranten hinweist oder deren prekäre Lebensumstände thematisiert, wird schnell selbst zur Zielscheibe von Beschimpfungen und Hass. So auch die Journalistin und Afghanistan-Expertin Jila Baniyaghoob: "Ich bekomme ständig Hassnachrichten und sogar Morddrohungen. Sie wollen mich zum Schweigen bringen", sagte sie in einem Gespräch mit der DW. Baniyaghoob gehört zu den insgesamt 540 Medienschaffenden, Anwälten, Künstlern, Ärzten und Aktivisten, die letztes Jahr eine Petition zur Solidarität mit afghanischen Migranten unterzeichnet haben. Sie hinterfragten gezielt die organisierte Hasskampagne gegen die Migranten und warnten vor den unvorhersehbaren Folgen solcher populistischen Aktionen.
"Das Land leidet seit langem unter einer Wirtschaftskrise und chronischem Missmanagement. Seit letztem Jahr schieben die Behörden die Schuld an Problemen wie überteuerte Lebensmittel illegalen Migranten zu. Jetzt stehen sie unter Druck zu handeln und massenhaft abzuschieben. Aber die Grenze können sie kaum sichern. Viele Migranten werden zurückkehren. Mit Hass und Hetze kann man das Problem nicht lösen."
Proteste und Angriffe
In den letzten Monaten kam es in verschiedenen Städten des Landes immer wieder zu Massenprotesten und willkürlichen Angriffen auf afghanische Migranten. "Die Stimmung ist aufgeheizt", sagte Nazar Mohammad Nazari im Gespräch mit der DW. Der junge Mann aus Afghanistan hatte auf ein besseres Leben im Iran gehofft. "Vor ein paar Monaten wurde bei einem Streit nach einer Hochzeit zwischen Iranern und Afghanen ein Iraner getötet", berichtet er. "Danach gab es willkürliche Angriffe auf alle Afghanen. Ich fühlte mich nicht mehr sicher." Er selbst ist dann nach Afghanistan zurückgekehrt.
Neben den Angriffen droht den Migranten jederzeit die Verhaftung und Abschiebung in Lager. Laut Medienberichten wurden in den letzten Wochen auch Afghanen abgeschoben, die im Iran geboren wurden, iranische Ausweisdokumente besitzen und kaum oder gar nichts über Afghanistan wissen.
Der Iran errichtet gleichzeitig eine Mauer an der Grenze zu Afghanistan. Gebaut werden soll sie im Nordosten des Irans; dort, wo die Grenze zu Afghanistan besonders häufig illegal übertreten wird. Geplant ist vorerst eine 74 Kilometer lange Betonmauer, die vier Meter hoch ist und zusätzlich mit Stacheldraht verseht werden soll. Ob diese Mauer angesichts der fast tausend Kilometer langen Grenze tatsächlich die illegale Grenzübertritte signifikant reduzieren kann, wird von vielen bezweifelt.