Irans riskantes Spiel im Atompoker
6. September 2019Von diesem Freitag an will der Iran die "dritte Phase" seines Rückzugs aus dem internationalen Atomabkommen von 2015 einleiten. Anfang Juni hatte er bereits den erlaubten Vorrat (300 Kilogramm) an schwach angereichertem Uran sowie den erlaubten Anreicherungsgrad (3,67 Prozent) überschritten. "Die iranische Atomorganisation soll ohne Einschränkung alles in Angriff nehmen, was für den Ausbau der nationalen Atomtechnologie und für die Forschung notwendig ist", erklärte Präsident Rohani (Artikelbild). Außenminister Dschawad Sarif habe der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini brieflich mitgeteilt, dass der Iran alle Beschränkungen seiner atombezogenen Forschung und Entwicklung (R&D) aufgehoben hat, meldete am Freitag die iranische Nachrichtenagentur ISNA. Die EU forderte Teheran auf, seine jüngsten Schritte zurückzunehmen und sich an die Bestimmungen des Abkommens zu halten.
"Kein rascher Zugriff auf waffenfähiges Uran"
Gemäß dem internationalen Atomabkommen von 2015 darf der Iran für achteinhalb Jahre nur eng begrenzte Forschungen an seinen Zentrifugen zur Gewinnung von angereichertem Uran vornehmen. "Der Iran darf derzeit nur zwei Zentrifugen gleichzeitig in Betrieb haben. Und erst ab 2023 wäre der Einsatz von Hochleistungs-Zentrifugen erlaubt. Mit denen ließe sich der Anreicherungsgrad schnell erhöhen", erläutert der iranische Physiker Behrooz Bayat im DW-Interview. Für den Bau von Atomwaffen wird auf 90 Prozent angereichertes Uran benötigt. Für den Einsatz in Atomreaktoren wird Uran auf etwa fünf Prozent angereichert, für medizinische Zwecke auf bis zu 20 Prozent. Die benötigten schnelleren Zentrifugen muss das Land aber erst entwickeln. "Irans Ankündigung bedeutet nicht, dass das Land in kurzer Zeit Uran bis auf 4,5, zehn oder sogar 20 Prozent anreichern kann", sagt Physiker Behrooz Bayat. Er kennt das iranische Atomprogramms und war als Berater für die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO in Wien tätig.
Rohani stellt der EU neue Frist
Der iranische Präsident Ruhani hatte am Mittwoch zugleich die Rückkehr zum Atomabkommen in Aussicht gestellt. Die Bedingung: Europa müsse innerhalb der nächsten zwei Monate sicherstellen, dass Iran in den Genuss der im Atomabkommen versprochenen wirtschaftlichen Vorteile kommt. Seit die USA im Mai 2018 einseitig aus dem internationalen Atomabkommen ausgestiegen sind und neue Sanktionen gegen das Land verhängt haben, können auch die europäischen Vertragspartner Deutschland, Frankreich und Großbritannien nur noch sehr begrenzt Geschäfte mit dem Iran machen. Gleichwohl wollen die Europäer das Abkommen retten.
USA haben Interesse an iranischem Tanker
Der Iran leidet unter den US-Sanktionen. Mit ihrer Strategie des "maximalen Drucks" versuchen die USA unter anderem, die iranischen Ölexporte auf Null zu drücken. Der Verkauf von Öl ist die wichtigste Einnahmequelle des Landes. Tatsächlich sind die Energieexporte drastisch gesunken, weil die Vereinigten Staaten allen Handelspartnern des Irans Ländern mit empfindlichen Strafen drohen. Wie weit die US-Regierung bei ihrer Politik "maximalen Drucks" zu gehen bereit ist, zeigen die Vorgänge um den iranischen Tanker "Adrian Darya 1". Zunächst wurde der mit Öl im Wert von über 100 Millionen Euro beladene Tanker auf Betreiben Washingtons sechs Wochen lang in Gibraltar festgehalten. Jetzt hat der US-Sonderbeauftragte für den Iran, Brian Hook, dem indischen Kapitän laut "Financial Times" mehrere Millionen Dollar Belohnung in Aussicht gestellt, wenn er den Tanker in einen Hafen fahren würde, wo er auf US-Geheiß beschlagnahmt werden könnte. US-Außenminister Mark Esper erklärte unterdessen, "er habe derzeit keinen Plan in der Schublade, den Tanker zu beschlagnahmen."
EU und USA auf unterschiedlichen Wegen
Vor kurzem hatte der französische Präsident Emmanuel Macron eine Initiative gestartet, die dem Iran über den Ausfall von Einnahmen aus dem Ölgeschäft hinweg helfen soll. Der Iran würde demnach Kredite in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar (13,6 Milliarden Euro) erhalten, die mit künftigen Ölverkäufen zurückgezahlt werden sollen. Die Summe sollte dem Plan gemäß von Großbritannien, Frankreich und Deutschland in drei Zahlungen transferiert werden.
"Weder Großbritannien, noch Frankreich oder Deutschland brauchen Irans Öl", erläutert Mehran Barati. Der iranische Exilpolitiker fährt mit Blick auf den G7-Gipfel Ende August im französischen Biarritz fort: "Macron wollte den US-Präsidenten dazu bewegen, China, Indien und Japan wieder Ausnahmegenehmigungen für den Import von Öl aus dem Iran zu erteilen. Damit wollte er die notwendigen Bedingungen für eine Rückkehr des Irans zu den Regelungen des Atomabkommens schaffen. Gleichzeitig sollte Iran sollte seine bisherigen Ausstiegsschritte revidieren".
Dieser Plan ist offenbar am Widerstand der Amerikaner gescheitert. Der US-Diplomat Brian Hook schloss "jegliche Ausnahmen oder Befreiungen" von den Sanktionen aus. "Wir stehen hinter dieser Kampagne des maximalen Drucks", sagte Hook am Mittwoch vor Journalisten. Am Mittwoch verschärfte die US-Regierung sogar ihre Sanktionen gegen Öllieferungen aus dem Iran. Sie lobte außerdem eine Belohnung von bis zu 15 Millionen Dollar aus für Informationen und Hinweise auf illegale Ölverkäufe und Öllieferungen auf dem Schifffahrtsweg. Es war bereits die sechste Verschärfung von Sanktionen gegen den Iran innerhalb einer Woche.
"Gefährliches Spiel Irans"
Weder der Iran noch die USA seien derzeit bereit für Verhandlungen, befürchtet Barati. "Die USA wollten den Iran in die Knie zwingen und nur aus einer Position der Stärke verhandeln. Der Iran wiederum hat registriert, dass Donald Trump auf internationaler Bühne bislang kaum Erfolge vorweisen kann. Teheran spielt auf Zeit - in der Hoffnung, dass Donald Trump im nächsten Jahr nicht wiedergewählt wird". Das aber, so der Exiliraner Barati, sei ein gefährliches Spiel und könnte in einem Krieg enden.