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Tiger setzt zum Sprung an

Bernd Riegert1. Januar 2013

Das vor zwei Jahren fast bankrotte Irland ist in den kommenden sechs Monaten Ratspräsident der Europäischen Union. Der Krisenstaat arbeitet sich langsam aus dem Sumpf heraus. Ein Beispiel für andere?

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Ein Rettungsring in einem Plastikbehälter mit der Aufschrift 'A Stolen Ringbuoy - A Stolen Life' (Ein gestohlener Rettungsring - Ein gestohlenes Leben) (Foto: dpa)
Irland Rettungsring am StrandBild: picture-alliance/dpa

Vor zwei Jahren flüchtete Irland unter den Rettungsschirm. 85 Milliarden Euro an Finanzhilfen sagten die übrigen Staaten der Euro-Währungsgemeinschaft und der Internationale Währungsfonds (IWF) zu. Die irische Regierung hatte sämtliche Verbindlichkeiten der irischen Banken übernehmen müssen, um einen Kollaps der Wirtschaft zu verhindern. Die Banken saßen auf Bergen von faulen Immobilienkrediten, hatten sich heillos verspekuliert. Durch die Bankenrettung musste sich der irische Staat enorm verschulden. Das Haushaltsdefizit lag 2010 bei astronomisch hohen 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

"Ein verlorenes Jahrzehnt"

Seither hat die Regierung gewechselt, fünf Sparpakete wurden verabschiedet. Die Binnennachfrage brach ein und die Arbeitslosenquote schnellte auf 15 Prozent hoch. Tausende Iren wanderten aus, um in Australien, den USA oder Großbritannien ihr Glück zu suchen. Regierungschef ist inzwischen der Christdemokrat Enda Kenny, der das mit der Europäischen Union und dem IWF vereinbarte Spar- und Reformprogramm eisern umsetzt.

Enda Kenny (Foto: AP)
Irlands Premier Kenny übernimmt den EU-VorsitzBild: AP

"Wir haben nie gesagt, dass es einfach wird. Wir haben nie gesagt, das geschieht über Nacht", sagte Kenny beim letzten EU-Gipfel als Bilanz der letzten zwei Jahre. "Wir sind in einer sehr schwierigen Lage. Ich betone, angesichts der vielen Schwierigkeiten, die die Menschen und ganze Bereiche der irischen Gesellschaft erfahren, dass wir schwierige Entscheidungen treffen müssen, und zwar im Interesse des Volkes und des Landes. Wir versuchen, dies so fair wie möglich zu tun."

Inzwischen trägt das Sanierungsprogramm Früchte, bestätigt Philip Lane. Er leitet die Wirtschaftsfakultät am Trinity College in der irischen Hauptstadt Dublin. Die Wirtschaft Irlands sei in den letzten Monaten ganz leicht gewachsen. Im nächsten Jahr soll es ganz langsam aufwärts gehen. "Um das Bruttoinlandsprodukt wieder zu erreichen, das wir vor der Krise hatten, brauchen wir, glaube ich, noch einmal fünf Jahre. Die Rezession im Jahr 2009 war sehr tief", sagte Lane der Deutschen Welle. "Wir sind noch weit von dem alten Niveau entfernt. Wir werden einige Jahre Wirtschaftswachstum brauchen, und zwar bis 2017. Man kann also von einem verlorenen Jahrzehnt sprechen."

Der Tiger rappelt sich wieder auf

Der "keltische Tiger", so wurde Irland zu Zeiten des Wirtschaftsbooms vor zwölf Jahren genannt. Vom ärmsten EU-Mitgliedsland hatte sich Irland in die erste Reihe der Leistungsträger vorgearbeitet. Dann kam die Immobilien- und Finanzkrise und machte aus dem Tiger einen Bettvorleger. Enda Kenny, der irische Ministerpräsident, glaubt aber, dass der Tiger bald wieder zum Sprung ansetzen könnte. "Ich muss sagen, dass die Investitionen in Irland wieder sehr stark sind. Ich erinnere daran, dass wir vor der Regierungsübernahme in drei Jahren 250.000 Arbeitsplätze verloren haben. Im letzten Jahr sind 20.000 neue Jobs geschaffen worden", so der irische Regierungschef gegenüber Reportern vor einigen Tagen. "Es gibt Anzeichen für eine Besserung: Banken können ohne staatliche Hilfe wieder Geld besorgen und einige staatliche Agenturen können wieder Staatsanleihen verkaufen. Das sind Zeichen der Zuversicht." Allerdings lag das Haushaltdefizit auch 2012 noch bei 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Gesamtschulden werden 2013 etwa 121 Prozent des BIP erreichen.

Straße in Dublin mit Immobilienschildern vor den Häusern (Foto: Mary Phelan) Zulieferer: Dr. Irene Quaile-Kersken
Immobilien in Dublin: Mieter und Käufer gesuchtBild: Mary Phelan

Exportgeschäft ist der Schlüssel

Während der Bausektor und die immer noch verstaatlichten Banken kleine Brötchen backen, erholen sich andere Branchen zusehends, vor allem der Dienstleistungs- und der High-Tech-Sektor. Die Banken haben viele Angestellte entlassen. Der Staat hat ihnen die faulen Kredite abgenommen und in eine "Bad Bank" ausgelagert, die mit europäischen Hilfsgeldern finanziert wird. "Auf der anderen Seite steht eine sehr gut funktionierende Exportwirtschaft", beschreibt Holger Erdmann von der deutsch-irischen Handelskammer in Dublin die Lage. "Da fast jeder Produzent auch exportiert, weil der Binnenmarkt in Irland eben recht klein ist, geht es den Unternehmen und Beschäftigten in diesen Branchen eigentlich ganz gut."

Der Wirtschaftswissenschaftler Philip Lane glaubt, dass es der irischen Politik einigermaßen gelungen ist, die Sparmaßnahmen gerecht zu verteilen. Außerdem, so Lane, sei das Einkommensniveau in Irland im europäischen Vergleich sowieso sehr hoch gewesen. "Die meisten Einsparungen haben die Besserverdienenden getroffen. Die unteren Einkommensschichten waren einigermaßen geschützt. Der Schutz gegen echte Armut wurde aufrecht erhalten, was vielleicht in Griechenland oder Spanien nicht gelungen ist", sagt Lane. Holger Erdmann, der stellvertretende Leiter der deutsch-irischen Handelskammer, stimmt zu. Eine Verarmung breiter Bevölkerungskreise sei nicht festzustellen, Proteste hielten sich in Grenzen. "Hier in Dublin ist am Wochenende, schon am Donnerstag, in den Kneipen und Restaurants kaum ein Fuß auf den Boden zu bekommen. Man kann schon manchmal fragen: Welche Wirtschaftskrise?", so Erdmann im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er schränkt aber ein: "Auf der anderen Seite gibt es natürlich Bevölkerungsgruppen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Es gibt Haushalte, die haben auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms Häuser gekauft, die teilweise 50 Prozent an Wert verloren haben. Die sind jetzt nicht mehr in der Lage, ihre Finanzierung zu bedienen."

Proteste gegen ein neuerliches Sparpaket in Irland im November 2012 (Foto: dapd)
Vergleichsweise klein: Protest gegen Sparpläne in IrlandBild: dapd

Streit um alte Schulden der maroden Banken

Der irische Premierminister will die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union im ersten Halbjahr 2013 dazu nutzen, den strengen Konsolidierungskurs auch in anderen Krisenländern wie Spanien, Zypern oder Griechenland durchzusetzen und die Bankenunion in der EU voranzutreiben. Irland hat gerade bei der Bankenunion eigene Interessen. Der permanente Rettungsfonds (ESM) der Euro-Zone solle Altschulden der irischen Banken übernehmen und so den irischen Staatshaushalt entlasten, meint Enda Kenny. Was mit den Altschulden, genannt legacy assets, geschehen soll, ist unter den Finanzministern der Euro-Zone durchaus umstritten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble möchte eigentlich, dass jeder für seine Altschulden selbst geradestehen müsse, heißt es aus deutschen Regierungskreisen. Irland droht damit, Zinszahlungen an die Rettungsfonds zurückzuhalten, bis eine Lösung im Streit um die legacy assets gefunden ist.

Kneipenstraße Temple Bar in Dublin (Foto: Getty Images)
Temple Bar in Dublin: Die Pubs sind auch in der Krise vollBild: Getty Images

Premier Enda Kenny gibt sich offiziell zuversichtlich. Das Wiederauferstehen Irlands nach der Krise könne ein Vorbild sein, so Kenny. "Das wäre für jedermann ein Beispiel, wie ein kleines Land, dessen Volk sehr schwierige Entscheidungen gefällt hat, im Lauf des Jahres 2013 wieder ohne Hilfsprogramm auskommen kann." Ende 2013 möchte Irland wieder an die internationalen Finanzmärkte zurückkehren und dort ohne Schutz durch Rettungsschirme Staatsanleihen verkaufen.

Ob das alles gelingt, ist nach Auffassung des Ökonomen Philip Lane vor allem davon abhängig, wie sich die globale Konjunktur entwickelt, da Irland ganz auf Exporte setzen muss. Das Interesse deutscher Firmen, mit Irland in den Bereichen Wärmedämmung, Biogasanlagen und Nano-Technologie Geschäfte zu machen, sei auf jeden Fall wieder da, sagte Holger Erdmann von der deutsch-irischen Handelskammer. Entscheidend sei aber die Wirtschaftsentwicklung in den USA. "Etwa die Hälfte aller Auslandsinvestitionen kommen aus den USA. Die Amerikaner haben in Irland in den letzten Jahren mehr investiert als in den BRIC-Staaten, Brasilien, Russland, Indien und China, zusammen genommen", so Erdmann. Das zeige, wie wichtig Amerika für die Iren sei. "Die Amerikaner nutzen Irland einfach sehr gerne als Brückenkopf nach Europa hinein, weil Irland ja auch das einzige englischsprachige Land in der Euro-Zone ist."