Gotteskrieger und ihre "Gazellen"
24. Juli 2017Was treibt ein junges Mädchen wie Linda W. in die Arme des "Islamischen Staates"? Viele scheinen daran zu glauben, dass ihnen in der Welt der Gotteskrieger eine Rolle als heroische Kämpferinnen oder als Ehefrau und Mutter zukommt, die die islamistische Ideologie an die nächste Generation weitergibt. Klingt nicht besonders verlockend? Es kommt ganz auf die Verpackung an.
IS-Lovestories und Kätzchen
"Es gibt eine Kampagne, die nur auf Frauen und junge Mädchen zugeschnitten ist", sagt Susanne Schröter, die als Ethnologin an der Universität Frankfurt islamische Gesellschaften erforscht. Bei der Anwerbung weiblicher Mitglieder zeige sich die Terrororganisation von ihrer romantischen Seite.
Der IS betreibt Blogs, die Liebesgeschichten von ins "Kalifat" gereisten Mädchen und heldenhaften Gotteskriegern erzählen. "Besonders erfolgreich waren Videos, auf denen sich IS-Kämpfer mit kleinen Kätzchen zeigten", sagt Schröter. Die Botschaft: Der Dschihadist ist nicht nur stark und mutig, er ist auch ein liebevoller Beschützer. Gut möglich, dass der IS auch Linda bei ihren Sehnsüchten packte.
"Der IS hat eine riesige und fantastisch funktionierende Social-Media-Abteilung", erläutert die IS-Expertin Susanne Schröter. "Fantastisch" funktionierend deshalb, weil der IS nicht nur auf allen Kanälen wie Facebook, Twitter, Youtube und auch Instagram und Snapchat aktiv ist, sondern auch, weil die Dschihadisten ihre Zielgruppen spezifisch ansprechen.
Die 16-jährige Schülerin Linda W. aus der sächsischen Kleinstadt Pulsnitz entspricht genau dem Klientel, für das der IS die niedlichen und romantischen Social-Media-Inhalte produziert. "Ein Kontrastprogramm zu den grausamen Videos, mit denen eher junge Männer angeworben werden sollen", erklärt Schröter.
Die Köder lauern überall im Netz
Doch auch die Frage nach dem Sinn des Lebens kann im Netz auf die Seiten des IS führen. "Es kann auch mit einfachem Interesse am Islam beginnen, weil sich hier jemand Antworten auf die Sinnfrage erhofft", sagt der Soziologe Stephan Humer, der Terrorismus und Extremismus im Internet erforscht.
In der Anfangszeit des IS, als die Präsenz der Terrororganisation im Internet noch weitgehend unerforscht war, stellten Humer und seine Kollegen fest, dass die Suche nach bestimmten Begriffen, wie "Dschihad" oder "Scharia" ganz schnell auf Seiten führte, die Verbindungen zum IS hatten. "Hier ist die zufällige Suche die Absicht", sagt Humer. So habe der IS die Interessierten schon früh abgefangen und mit islamistisch gefärbten Informationen gefüttert. "Wer dann noch mehr wissen wollte, wurde in Foren weitergeleitet und traf hier erstmals auf Menschen", sagt Humer.
Gemeinschaft, Halt, Familie
"Es ist klassische Psychologie", ergänzt der Soziologe Humer: Ob im Supermarkt, in der Moschee oder in Online-Foren, wer gefragt werde, ob er Hilfe brauche, etwas suche oder wissen möchte, der sei eher geneigt, das ihm Angebotene zu kaufen.
"Was der IS anbietet, ist Gemeinschaft und Halt, nach dem sich gerade Jugendliche besonders oft sehnen", sagt Humer. Das Versprechen lautet: Komm zu uns, unsere Gemeinschaft lässt keine Wünsche offen.
Glauben die jungen Leute erstmal an dieses Angebot ist der Weg in die Kriegsgebiete des selbsternannten "Kalifats" nicht mehr weit. "Jugendliche im Radikalisierungsprozess sind sehr schwer zu erreichen", sagt Ethnologin Schröter. Ob Lindas IS-Traumwelt durch die Erfahrungen, die sie in Mossul gemacht hat, zerbrochen ist, sei alles andere als sicher.