Israel legt größten Hamas-Tunnel im Gazastreifen frei
18. Dezember 2023Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben das bislang größte Tunnelsystem der militant-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen freigelegt. Die Anlage befinde sich 400 Meter vom Erez-Grenzübergang entfernt, über den vor dem Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober der Personenverkehr zwischen Israel und Gaza erfolgte. Nach Militär-Angaben erstreckt sich die Tunnelanlage rund 50 Meter unter der Erde über mehr als vier Kilometer. Sie sei breit genug, dass Fahrzeuge sie passieren könnten.
Israelischen Medienberichten zufolge endet die rund drei Meter breite Tunnelroute in Dschabalia. Sie hat mehrere Abzweigungen, wie das Militär mitteilte. Das Flüchtlingsviertel im Norden des Gazastreifens gilt als Hochburg der islamistischen Hamas, die von Israel, der EU, den USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation gelistet ist.
Die Streitkräfte teilten weiter mit, die Tunnel verfügten über eine Abwasserentsorgung, Elektrizität, Belüftung, Kommunikationsnetz sowie Schienen. Der Boden bestehe aus festgestampfter Erde, die Wände seien aus Stahlbeton. Soldaten entdeckten nach eigenen Angaben zahlreiche Waffen in dem unterirdischen Netzwerk, die für einen Angriff einsatzbereit gewesen seien. Projektleiter sei Mohammed Sinwar gewesen, ein Bruder des Hamas-Anführers Jahja Sinwar, der als einer der Drahtzieher des Überfalls auf Israel gilt.
"Hamas-Angriffe haben Priorität vor Gaza-Bevölkerung"
Das Militär sprach von "Millionen Dollar", die in die "terroristische Stadt im Untergrund" in Nord-Gaza geflossen seien. Der Bau des Tunnels habe mehrere Jahre lang gedauert. Die Hamas habe dies nur "zu dem einen Zweck" getan, "den Staat Israel und seine Bewohner anzugreifen", sagte Armeesprecher Richard Hecht. Für die Hamas hätten Angriffe auf Israel weiter Priorität vor der Bevölkerung im Gazastreifen.
Schwere Vorwürfe der WHO
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat der israelischen Armee vorgeworfen, ein Krankenhaus im Norden des Gazastreifens zerstört zu haben. "Die WHO ist entsetzt über die De-facto-Zerstörung des Kamal-Adwan-Krankenhauses im Norden von Gaza in den letzten Tagen und über den Tod von mindestens acht Patienten", schrieb WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus im Kurznachrichtendienst X. Die Patienten, darunter ein neunjähriges Kind, seien wegen unzureichender medizinischer Versorgung gestorben.
Die Klinik sei nach dem israelischen Militäreinsatz nicht mehr funktionsfähig, so die WHO. Viele Mitarbeiter seien festgenommen worden. "Das Gesundheitssystem des Gazastreifens war bereits am Boden, und der Verlust eines weiteren, auch nur minimal funktionierenden Krankenhauses ist ein schwerer Schlag", schrieb Tedros weiter.
Israel weist auf Hamas-Infiltration hin - Waffen in Brutkästen
Israel wies die Kritik mit Nachdruck zurück. Die Ständige Vertretung Israels bei den Vereinten Nationen (UN) in Genf warf Tedros auf X vor, nicht zu erwähnen, dass sich die terroristische Hamas im Kamal-Adwan-Krankenhaus eingenistet habe. Bevor die israelische Armee das Gelände betreten habe, sei in Abstimmung mit den medizinischen Teams ein Dialog geführt worden. Die Armee habe ein humanitäres Zeitfenster zugelassen, und der größte Teil des Krankenhauses sei evakuiert worden. Einige Dutzend Zivilisten hätten sich trotz vorheriger Anfragen und Warnungen geweigert, das Areal zu verlassen.
Auf dem Krankenhausgelände seien 90 Terroristen festgenommen worden - so die Armee. "Israels Soldaten zerstörten auch die Infrastruktur der Terroristen und entdeckten zahlreiche Waffen und Geheimdienstdokumente, die unter anderem in der Säuglingsstation in den Brutkästen versteckt waren", hieß es von der Ständigen Vertretung Israels bei den UN weiter.
Der WHO zufolge sind derzeit nur elf von 36 Krankenhäusern im Gazastreifen teilweise in Betrieb.
Austin: Gazastreifen braucht mehr humanitäre Hilfe
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat bei einem Treffen mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu mehr humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen angemahnt. Es gehe darum, wie die USA Israel auf dem Weg zu dauerhafter Sicherheit am besten unterstützen könnten, wird Austin vom Presseamt der israelischen Regierung zitiert. "Wir müssen dringende Bedürfnisse angehen und den fast zwei Millionen Vertriebenen in Gaza mehr humanitäre Hilfe liefern und diese Hilfe besser verteilen", sagte Austin im Verteidigungsministerium in Tel Aviv. US-Präsident Joe Biden hatte angesichts der vielen im Gazastreifen getöteten Zivilisten und der immer dramatischeren humanitären Lage kürzlich gewarnt, Israel beginne, in der ganzen Welt an Unterstützung zu verlieren.
Austin sprach in Tel Aviv auch über einen Übergang zu weniger intensiven, "eher chirurgischen" Einsätzen des israelischen Militärs. In jedem Krieg gebe es verschiedene Phasen, sagte Austin vor der Presse. Benötigt werde eine detaillierte, durchdachte Planung. Zudem sei die weitere Entwicklung des Gazastreifens ohne die Hamas Thema seiner Gespräche gewesen. Die radikalen Islamisten sollten nie wieder in der Lage sein, von dem Palästinensergebiet aus Terror nach Israel hineinzutragen, betonte der Minister.
Papst nach Angriff auf katholische Pfarrei in Gaza entsetzt
Nach den tödlichen Schüssen auf zwei Mitglieder der katholischen Gemeinde im Gazastreifen hat Papst Franziskus von sehr "schwerwiegenden und schmerzlichen Nachrichten" gesprochen. Franziskus betonte, auf dem Gelände der Pfarrei befänden sich "keine Terroristen, sondern Familien, Kinder, Kranke, Behinderte und Ordensfrauen". Mit dem Seelsorgepersonal der einzigen katholischen Pfarrei in Gaza hatte der Papst in den vergangenen Wochen häufig telefoniert.
Am Samstag hatte ein israelischer Scharfschütze zwei Frauen - eine Tochter mit ihrer alten Mutter - auf dem Gelände der Pfarrei der "Heiligen Familie" in Gaza erschossen, sieben weitere Personen seien verletzt worden. Nach israelischen Angaben soll sich auf dem Grundstück ein Raketenwerfer befunden haben. Wie das Lateinische Patriarchat von Jerusalem in einer ungewohnt deutlichen Stellungnahme betonte, wurden die Schüsse ohne Vorwarnung und "kaltblütig" auf das Pfarreigelände abgegeben. Seit Beginn des Israel-Hamas-Kriegs sucht die Mehrheit der christlichen Familien Gazas im Pfarrbereich Zuflucht.
Bereits am Samstagvormittag hatte nach Angaben des Jerusalemer Patriarchats eine Rakete der israelischen Armee den Konvent der Mutter-Teresa-Schwestern in Gaza getroffen. In dem Konvent, der auf dem Gelände der katholischen Pfarrei liegt, werden 54 behinderte Personen betreut. Getroffen worden seien der einzige Stromgenerator und der Öltank. Das Haus sei bei der Explosion schwer beschädigt worden. Die Behinderten wurden demnach verlegt, ohne Zugang zu Atemgeräten, die manche benötigten.
se/gri/kle (dpa, afp, rtr, kna, epd)
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