Israel sorgt sich um Ägypten
5. Juli 2013Die israelische Regierung übt sich im Schweigen: Premierminister Benjamin Netanjahu hat laut Presseberichten seinen Ministern nahegelegt, zunächst keine Interviews zur Krise in Ägypten zu geben. Israel beobachte die Situation sehr genau, wird ein Regierungssprecher zitiert. Aber es soll nicht der Eindruck entstehen, dass man sich in die komplizierten Angelegenheiten des Nachbarn einmischen wolle. Dafür wird die Lage in Ägypten in den Medien umso mehr diskutiert. Seit Tagen haben die Nachrichten aus Kairo in der Presse innenpolitische Themen auf die hinteren Plätze verdrängt.
Die Sorge dominiert, dass Ägypten für längere Zeit nicht zur Ruhe kommen wird und die Situation auf der Sinai-Halbinsel an der ägyptisch-israelischen Grenze außer Kontrolle gerät. "Ein weiterer unkalkulierbarer Nachbar ist genau das Gegenteil von dem, was Israel langfristig braucht", sagt Herb Kainon, Politikredakteur der konservativen Tageszeitung Jerusalem Post. "Im Moment allerdings kann es nur zuschauen." Grundsätzlich würde wohl kaum einer in Israel den islamistischen Muslimbrüdern eine Träne nachweinen, so der allgemeine Tenor. Das Eingreifen des Militärs wird hier gemischt bewertet. Mit dem Umsturz in Kairo hatten aber nur die wenigsten der vielen israelischen Sicherheits- und Militärexperten gerechnet, die den arabischen Frühling bislang gerne als "islamischen Winter" beschreiben.
Sorge um die Sicherheit an Israels Südgrenze
Der Sturz Husni Mubaraks und die Machtübernahme des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi hatten schlimmste Befürchtungen in Israel wachgerufen. Nach über 30 Jahren Ruhe an der südlichen Grenze Israels schien es plötzlich mit der Stabilität vorbei. Doch im Rückblick sieht man die Situation heute etwas gelassener: Die links-liberale Tageszeitung Ha'aretz schrieb am Donnerstag (04.07.2013), dass Mursis Präsidentschaft den ägyptisch-israelischen Beziehungen nicht so stark geschadet habe wie befürchtet. "Die Beziehungen zur Regierung Mursi kann man als relativ vernünftig beschreiben", sagt auch Islamwissenschaftler Elie Podeh von der Hebräischen Universität Jerusalem. "Die Muslimbrüder haben weder sofort den ägyptisch-israelischen Friedensvertrag aufgekündigt noch die Beziehungen ganz abgebrochen", obwohl einige Beobachter in Israel genau das befürchtet hätten. Allerdings seien die politischen Kontakte deutlich abgekühlt - auf der Ebene des Präsidialamts habe es unter Mursi gar keine direkten Kontakte mehr gegeben.
Doch die militärische Zusammenarbeit in Sachen Sicherheit sei sogar verstärkt worden, sagt Elie Podeh. Das gilt vor allem für die Sinai-Halbinsel, wo die ägyptische Armee den Kampf gegen Terrorgruppen und Schmugglerbanden intensiviert hat. Für Israel ist die Situation auf dem Sinai eine der größten Sorgen: Schon mehrmals haben es Terrorgruppen von dort aus angegriffen.
Einfluss im Gazastreifen
Aus israelischer Sicht ist eines der wenigen positiven Elemente der Präsidentschaft Mursis der Einfluss seiner Regierung auf die im Gazastreifen regierende Palästinenserorganisation Hamas. Da die Muslimbruderschaft der Hamas ideologisch nahe stehe, sei sie in einer besseren Position als andere ägyptische Parteien, um mit der Hamas zu verhandeln, erklärt Islamwissenschaftler Elie Podeh: "Zuletzt haben wir das bei den indirekten Verhandlungen zwischen Hamas und Israel über den Waffenstillstand nach dem Konflikt in Gaza [Anm. d. Red.: im November 2012] gesehen, wo Ägypten die Vermittlerrolle übernommen hat."
In Israel stellt man sich jetzt die Frage, wie sich die Hamas künftig positionieren wird. Bislang hat sich die Hamas-Führung mit offiziellen Kommentaren zum Machtwechsel in Ägypten zurückgehalten. Für die Regierenden des Gazastreifens steht viel auf dem Spiel: Denn Ägypten und der Grenzübergang Rafah gelten für Gaza als Nadelöhr und Lebensader zugleich. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas im Westjordanland dagegen reagierte schnell und wünschte dem ägyptischen Übergangspräsidenten Adli Mansour Erfolg bei seinen Bemühungen.
Israel hofft auf die Armee
Israelische Experten gehen davon aus, dass die Muslimbrüder den Verlust der Macht nicht einfach so hinnehmen. Andere warnen bereits vor einem "failed state", einem gescheiterten Staat, wenn das Land nicht zur Ruhe kommen sollte. Israels Hoffnungen richten sich deshalb auf das ägyptische Militär. Die Kontakte sind seit vielen Jahren eng und erprobt, die Absprachen in Sachen Sicherheit haben auch in schwierigen Zeiten keinen Schaden genommen. Erst vor kurzem hat Israel zugestimmt, dass Ägypten weitere Truppen auf den Sinai verlegt. Dafür sind laut Friedensvertrag jedes Mal neue Absprachen nötig. Doch die Bedrohungslage für Israel wird in der Region nach der Machtübernahme des Militärs in Ägypten nicht einfacher. "Im Norden ist es Syrien, im Süden nun wieder Ägypten. Dieses Chaos kann Israel gar nicht gebrauchen", sagt Politikredakteur Herb Kainon. Man hofft, dass die neuen Machthaber in Ägypten trotz der innenpolitischen Auseinandersetzungen weiterhin auf dem Sinai für Ordnung sorgen.