Israel: "Taktische Pausen" im Süden des Gazastreifens
16. Juni 2024Das israelische Militär hat eine täglich elfstündige "taktische Pause" seiner Aktivitäten im südlichen Teil des Gazastreifens verkündet. Die Unterbrechung gelte bis auf Weiteres jeweils für die Zeit von 8 bis 19 Uhr (7 bis 18 Uhr MESZ) und solle mehr Hilfslieferungen ermöglichen, teilten die Streitkräfte am Sonntagmorgen über die Online-Plattformen X und Telegram mit. Sie betreffe die Straße, die vom Grenzübergang Kerem Schalom Richtung Norden führe. Die Entscheidung sei nach Beratungen mit den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen getroffen worden. Die Kämpfe in Rafah, wo
die israelische Militär gegen die radikal-islamische Hamas vorgeht, würden allerdings fortgesetzt, hieß es weiter.
WFP: "Situation verschlechtert sich rasch"
Das Welternährungsprogramm (WFP) hatte zuvor davor gewarnt, dass die Menschen im südlichen Teil des Gazastreifens schon bald unter der gleichen katastrophalen Hunger-Lage leiden könnten wie zuvor jene in den nördlichen Gebieten. "Die Situation im südlichen Gaza verschlechtert sich rasch", sagte der stellvertretende WFP-Direktor Carl Skau nach einem zweitägigen Besuch der Region. Eine Million Menschen seien aus der Region Rafah vertrieben worden und bei brütender Sommerhitze in einem überfüllten Gebiet entlang des Strandes eingepfercht. Im nördlichen Teil des Gazastreifens habe sich die Versorgung mit Hilfsgütern zwar etwas verbessert, sagte Skau. Nachhaltig abgesichert sei die Verteilung von Nahrungsmitteln aber dort auch nicht.
Das Palästinenserhilfswerk UNRWA teilte ergänzend mit, mehr als 50.000 Kinder im Gazastreifen müssten wegen akuter Mangelernährung behandelt werden. Angesichts der nach wie vor bestehenden Beschränkungen für humanitäre Hilfe seien die Menschen "weiter von einem verzweifelten Ausmaß des Hungers betroffen".
Größter Protest seit Beginn des Israel-Hamas-Kriegs?
Bei Massenkundgebungen in Israel demonstrierten am Samstagabend einmal mehr zehntausende Menschen für die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen und gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. In Tel Aviv und anderen Städten verlangten die Demonstranten von Netanjahu, einem Ende der Kämpfe mit der Hamas als Teil eines Abkommens zuzustimmen, das die von den Islamisten verschleppten Geiseln wieder zu ihren Familien bringt. Nach Darstellung des Forums der Geisel-Familien handelte es sich um den größten Protest seit Beginn des Israel-Hamas-Kriegs im Oktober vergangenen Jahres.
In einer auf Video aufgezeichneten Rede sagte Andrey Kozlov, den die israelische Armee zusammen mit drei weiteren Geiseln vor einer Woche bei einem Großeinsatz aus der Gefangenschaft der palästinensischen Terrororganisation befreit hatte: "Für die Geiseln, die noch in Gaza sind, gibt es nur eine einzige Lösung: einen Deal zwischen Israel und der Hamas." In der Gefangenschaft hätten die Hamas-Kämpfer ihn und seine Mitgefangenen die Fernsehberichte von den wöchentlichen Demonstrationen in Israel ansehen lassen. Das habe ihnen Mut und Zuversicht gegeben. "Ihr seid Helden!", sagte Kozlov an die Demonstranten gerichtet. Vermutet wird, dass sich noch rund 120 Geiseln im Gazastreifen befinden.
In Tel Aviv wurden laut der Zeitung "Times of Israel" zwölf Menschen festgenommen. Die Polizei wirft ihnen demnach Verstöße gegen die öffentliche Ordnung vor. Sie hätten unter anderem Straßen blockiert.
Acht israelische Soldaten in Rafah getötet
Überschattet wurden die Proteste vom Tod acht israelischer Soldaten bei Kämpfen in Rafah im südlichen Gazastreifen. Die Soldaten starben Militärangaben zufolge bei der Explosion ihres in einem Konvoi fahrenden gepanzerten Personentransporters. Noch sei unklar, ob die Detonation von einer Panzerabwehrrakete oder einer Sprengfalle ausgelöst wurde, sagte Armee-Sprecher Daniel Hagari. "Heute wurden wir ein weiteres Mal schmerzlich an den Preis des Krieges erinnert."
Wer für den Angriff auf den Konvoi verantwortlich ist, teilten die Streitkräfte nicht mit. Über Telegram erklärten die Kassam-Brigade, der bewaffnete Arm der Hamas, sie hätten "Fahrzeuge des Feindes" in Tal al-Sultan aus dem Hinterhalt überfallen. Bei Kämpfen in der Nacht zu Freitag hatten israelische Einheiten nach Armeeangaben 50 Milizionäre der Hamas getötet.
Am 7. Oktober 2023 hatten Kämpfer der Hamas und anderer radikalislamischer Palästinensergruppen den Süden Israels überfallen, rund 1200 Menschen ermordet und weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Im Zuge des dadurch ausgelösten Krieges wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörden mehr als 37.000 Palästinenser getötet. Rund vier Fünftel der Bevölkerung sind innerhalb des abgeriegelten Küstenstreifens auf der Flucht. Die Hamas wird außer von Israel auch von den USA, der EU, Deutschland und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft.
sti/haz/ack (afp, dpa, rtr)