Israel und die Hamas: Wo steht Indien?
27. Oktober 2023Der indische Premierministers Narendra Modi wählte deutliche Worte: "Wir sind zutiefst schockiert über die Terroranschläge in Israel. Unsere Gedanken und Gebete sind bei den unschuldigen Opfern und ihren Familien. Wir sind in dieser schweren Stunde solidarisch mit Israel". So schrieb er am 7. Oktober 2023, jenem Tag, an dem die radikalislamistische, in Deutschland, der Europäischen Union, den USA und einigen anderen Staaten, aber nicht in Indien als Terrororganisation eingestufte Hamas Israel attackierte, auf der Social-Media-Plattform X.
Die Erklärung des Premierministers zeigt, wie sehr Indien und Israel in den vergangenen Jahren aufeinander zugegangen sind. Mit Blick auf den Nahost-Konflikt setzt Indien auf eine ausgewogene Haltung und engagiert sich für eine friedliche Lösung.
Während Modi die Angriffe der Hamas verurteilte, plädierte das indische Außenministerium (MEA) einmal mehr für die Wiederaufnahme direkter Verhandlungen zwischen Israel und Palästina. Darüber hinaus rief es dazu auf, "einen souveränen, unabhängigen und lebensfähigen Staat Palästina zu errichten, der in sicheren und anerkannten Grenzen Seite an Seite mit Israel in Frieden lebt."
Dennoch sind Experten überrascht angesichts der indischen Reaktion auf den Überfall der Hamas. Er sehe in der indischen Reaktion "eine gewisse Diskrepanz zwischen den Impulsen der politischen und den Anliegen und der diplomatischen Führung", sagt Talmiz Ahmad, ehemaliger indischer Botschafter in Saudi-Arabien, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten, der DW,
"In der Vergangenheit hat Indien sich nie über die Hamas geäußert", so Ahmad. Doch Modis Antwort vom 7. Oktober "deutet auf eine Art persönliche Affinität hin, die auf seine tiefe Beziehung zu Premierminister Netanjahu und seine ideologische Nähe zum Zionismus weist."
Geschichte der indisch-israelischen Beziehungen
Die offiziellen Erklärungen unterstreichen die ebenso dynamische wie positive Entwicklung der indisch-israelischen Beziehungen. Nachdem man in Neu Delhi Israel zunächst nur anerkannt habe, akzeptiere man den Staat nun uneingeschränkt, so der Nahost-Spezialist P.R. Kumaraswamy von der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi.
Nach der Unabhängigkeit 1947 weigerte sich Indien zunächst, diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Auch stimmte Indien gegen den Teilungsplan der Vereinten Nationen für das britische Mandatsgebiet Palästina. Im Jahr 1948, dem Jahr der Staatsgründung Israels, sprach sich das Land dann gegen die Aufnahme Israels in die Generalversammlung der Vereinten Nationen aus.
Der damalige – erste – indischen Premierminister Jawaharlal Nehru fürchtete um die Unterstützung der Muslime im eigenen Land und wollte es sich nicht mit arabischen Golfstaaten verscherzen, in denen viele Inder arbeiteten und die Indien bei Devisenreserven unterstützten. Gleichzeitig sympathisierte Indien mit der Sache Palästinas. Zwar erkannte Indien die Gründung Israels 1950 an. Doch erst 1992 eröffnete Indien eine Botschaft in Tel Aviv und nahm damit auch formale diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Seit Modis Amtsantritt 2014 sind zudem die persönlichen Beziehungen zwischen ihm und Benjamin Netanjahu kontinuierlich gewachsen.
Ein Balanceakt
Indiens Politik gegenüber dem israelisch-palästinensischen Konflikt war stets ein Balanceakt. Selbst als sich die bilateralen Beziehungen zwischen Indien und Israel verbesserten, gab Indien seine ursprüngliche Haltung zu Palästina nicht auf. "Indiens Außenpolitik gegenüber Israel und Palästina ist pragmatisch und idealistisch zugleich", sagt Fazzur Rehman Siddiqui, Senior Research Fellow beim Indian Council of World Affairs in Neu Delhi.
"Indien war der erste und älteste Verfechter der palästinensischen Sache. In Neu Delhi sah man sich ideologisch und politisch verpflichtet, die palästinensische Bewegung zu unterstützen. Diese Unterstützung hält bis heute an", so Siddiqui zur DW.
Wenn Indien heute eine größere Nähe zu Israel hat, dann auch aus pragmatischen Gründen: Der Subkontinent ist ein bedeutender Kunde der israelischen Waffenindustrie. Dem im März 2023 veröffentlichten Bericht des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (SIPRI) zufolge gingen zwischen 2018 und 2022 rund 37 Prozent der israelischen Waffenexporte nach Indien.
"Sichtbare" Beziehungen
Nachdem Modi 2014 an die Macht gekommen war, nahmen die Beziehungen zwischen den beiden Ländern eine Wendung hin zu mehr Nähe. So enthielt sich Indien 2016 bei einer UN-Abstimmung zur Frage, ob Israel wegen angeblicher Kriegsverbrechen während der Gaza-Krise 2014 vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen sei. Die indische Zurückhaltung jedoch änderte nichts an seiner traditionellen Position zu Palästina und seinem Bekenntnis zur Zweistaatenlösung. Während des derzeitigen Krieges leistet Indien humanitäre Hilfe für den Gazastreifen.
Gleichzeitig war Modi das erste indische Staatsoberhaupt, das Israel besuchte. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern seien "sichtbarer" geworden, sagt Kumaraswamy.
"Indien zögert nicht mehr, diese Freundschaft öffentlich zu bekunden. Während der Herrschaft der Kongressregierung war Israel in indischen politischen Kreisen praktisch unsichtbar", sagte er.
Allerdings pflege Premierminister Modi eine freundschaftliche Haltung nicht nur gegenüber Israel, sagt Ex-Botschafter Talmiz "Er glaubt grundsätzlich an den Wert persönliche Diplomatie. So hat er auch persönliche Beziehungen zu anderen für Indien wichtigen Führern aufgebaut – so neben Benjamin Netanjahu auch zu Wladimir Putin, Mohammad bin Salman oder Mohammad bin Zayed", so Talmiz.
Der Wandel in der indischen Politik gegenüber Israel und die Kontinuität mit Palästina entspricht dem schwierigen politischen Klima im Nahen Osten, das aber auch positive Züge aufweist. Im Zuge der Normalisierung eröffneten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) 2021 ihre Botschaft in Tel Aviv. Damit sind sie nach Ägypten und Jordanien das dritte arabische Land, das volle diplomatische Beziehungen zu Israel aufnimmt.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.