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KonflikteIsrael

Israel und die Hisbollah: Chronik einer Eskalation

24. September 2024

Nach dem beispiellosen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 griff auch die Hisbollah das Land mit Raketen an. Seitdem hat sich die Lage an der israelisch-libanesischen Grenze dramatisch verschärft.

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Dichte Rauchwolken steigen über einer Stadt im Südlibanon auf.
Israelischer Luftangriff auf Nabatija im SüdlibanonBild: Hussein Malla/AP/picture alliance

Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur, nicht nur für das Verhältnis zwischen Israel und der Hamas. Auch zwischen Israel und der proiranischen Schiiten-Miliz Hisbollah im Nachbarland Libanon spitzte sich die Lage seitdem immer weiter zu.

Oktober 2023: Raketenbeschuss "aus Solidarität"

An diesem 7. Oktober griffen Kämpfer der Hamas und des Islamischen Dschihad den Süden Israels an, töteten rund 1200 Menschen und verschleppten 251 weitere als Geiseln. In Jerusalem war man auf diesen Angriff nicht gefasst. Während Israel noch in Schockstarre verharrte, entschied die libanesische Hisbollah, der Hamas "aus Solidarität" zur Seite zu springen. Nur einen Tag später, am frühen Morgen des 8. Oktober, feuerte die proiranische Miliz, die unter anderem von den USA und Deutschland als Terrorgruppe eingestuft wird, die ersten Raketen Richtung Nordisrael ab.

Das israelische Raketenabwehrsystem fängt über Haifa feindliche Raketen ab
Der Himmel über Haifa: Die meisten der bislang abgefeuerten Hisbollah-Raketen konnte das israelische Abwehrsystem abfangenBild: Baz Ratner/AP/picture alliance

Seitdem liefern sich Israels Armee und Hisbollah einen täglichen Schlagabtausch: Immer wieder fliegen Granaten, Drohnen und Raketen in Richtung Israel, während Israels Armee mit Bombenangriffen auf mutmaßliche Hisbollah-Stellungen im Südlibanon reagiert. 

Flucht und Evakuierung auf beiden Seiten

Der anhaltende Raketenbeschuss aus dem Libanon veranlasste Israel bereits nach wenigen Tagen dazu, eine vier Kilometer breite, für Zivilisten gesperrte Pufferzone an der Grenze zum Libanon zu errichten. Die Ortschaften und Kibbuzim innerhalb dieses Gebietes wurden evakuiert, am 20. Oktober wurde auch die 22.000-Einwohner-Stadt Kirjat Schmona geräumt. Aber auch im Süden Libanons ergriffen seit dem erneuten Aufflammen des Konfliktes zahlreiche Zivilisten die Flucht nach Beirut oder in nördlichere Regionen des Libanon. Auf beiden Seiten der Grenze sollen vor der jetzigen jüngsten Eskalation des Konfliktes bereits zehntausende Menschen gezwungen gewesen sein, ihre Häuser zu verlassen.

Leere Straßen in Kirjat Schmona
Kirjat Schmona gleicht einer Geisterstadt. Nur 2000 der ursprünglich 22.000 Einwohner sind gebliebenBild: Tania Krämer/DW

Die UN-Beobachtermission im Libanon (UNIFIL) registrierte allein zwischen dem 21. Oktober 2023 und dem 20. Februar 2024 rund 1000 Raketenabschüsse durch die Hisbollah und knapp 8000 Fälle von Artilleriebeschuss durch Israel. Dabei soll die israelische Armee in einigen Fällen auch Artilleriegranaten mit weißem Phosphor eingesetzt haben, berichtet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Gezielte Tötungen und Raketenangriff auf Madschdal Schams

Am 2. Januar trafen sich Vertreter der Hamas und der islamistischen libanesischen Gruppierung Dschamaa al-Islamija in einem Vorort von Beirut, als ein israelischer Luftschlag das Haus vollkommen zerstörte. Sieben Menschen wurden getötet, darunter auch Saleh al-Aruri, Gründer der Kassam-Brigaden, des militärischen Teils der Hamas. Es war die erste gezielte Tötung eines hochrangigen islamistischen Befehlshabers außerhalb der Palästinensergebiete seit Beginn des Konfliktes am 7. Oktober. Weitere sollten bald folgen.

Am 1. April zerstörte ein israelischer Luftangriff in der syrischen Hauptstadt Damaskus ein Nebengebäude der iranischen Botschaft. Unter den Toten war auch Mohammed Resa Sahedi, ein ranghohes Mitglied der iranischen Revolutionsgarden. Er spielte eine wichtige Rolle bei der militärischen Unterstützung der Hisbollah durch Teheran.

Am 30. Juli wurde auch Fuad Schukr durch einen israelischen Luftangriff in einem Vorort von Beirut getötet. Schukr galt als militärischer Berater und rechte Hand von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.

Hisbollah-Chef Nasrallah hält per Videoschalte eine Rede für den getöteten Hisbollah-Kommandeur Fuad Shukr
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah kündigte mehrfach Vergeltung an - doch wie stark ist die Terrormiliz tatsächlich?Bild: Hussein Malla/dpa/picture alliance

Seine Tötung erfolgte nur drei Tage nach einem mutmaßlichen Hisbollah-Raketenangriff auf das drusische Dorf Madschdal Schams im Norden Israels, bei dem zwölf Kinder und Jugendliche auf einem Fußballfeld getötet worden waren. Israel beschuldigte die Hisbollah eines Kriegsverbrechens und drohte mit Vergeltung, Hisbollah-Chef Nasrallah wies die Verantwortung für den Beschuss zurück. Möglicherweise hatte es sich um eine fehlgeleitete Rakete der libanesischen Terrormiliz gehandelt, aufgeklärt ist der Vorfall bis heute nicht.

Nur einen Tag später, am 31. Juli, wurde Ismail Hanija, der Auslandschef der Hamas, durch eine Explosion in einem Gästehaus der Islamischen Revolutionsgarden in Teheran getötet. Ob die Detonation durch einen Luftangriff oder einen im Voraus platzierten Sprengsatz erfolgte, ist bis heute unklar.

Jeweils in Folge all dieser gezielten Tötungen kündigte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah Vergeltungsschläge an. Tatsächlich verstärkte sich danach jeweils kurzzeitig auch der Raketenbeschuss aus dem Libanon in Richtung Israel - der ganz große Gegenangriff blieb jedoch bislang aus.

Explodierende Pager und Funkgeräte

Neben diesen gezielten Tötungen ranghoher Kommandeure waren bei israelischen Angriffen auch zahlreiche rangniedrigere Hisbollah-Kämpfer ums Leben gekommen. Als Konsequenz erging auf Seiten der Hisbollah der Befehl, auf Mobiltelefone zu verzichten, weil diese geortet werden können. Stattdessen sollte fortan über nicht lokalisierbare Pager kommuniziert werden. Doch am 17. September wurden tausende dieser Pager im Libanon und in Syrien nahezu gleichzeitig zur Detonation gebracht. Nur einen Tag später explodierten in einer zweiten Welle Walkie-Talkies und andere funkgesteuerte Geräte von Hisbollah-Mitgliedern. Libanesischen Angaben zufolge wurden bei diesem Doppelschlag mindestens 39 Menschen getötet und rund 3000 weitere verletzt.

Rettungswagen bahnen sich ihren Weg durch eine Menschenmenge in Beirut
Durch die Pager-Explosionen im Libanon wurden tausende Menschen verletzt, Rettungskräfte waren im DauereinsatzBild: Anwar Amro/AFP/Getty Images

Die Geräte sollen vor ihrer Lieferung an die Hisbollah vom israelischen Geheimdienst abgefangen oder gar in dessen Auftrag von einer Tarnfirma produziert und mit kleinen Sprengsätzen präpariert worden sein. Kurz zuvor hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen "radikalen Wandel" an der Grenze zu Libanon gefordert, außerdem hatte Israel die Rückkehr der evakuierten Israelis in die Ortschaften im Norden zu einem Kriegsziel erklärt.    

Massive Luftangriffe im Libanon

Wie sehr die Kommandostrukturen der Hisbollah durch die beiden Explosionswellen tatsächlich geschwächt sind, ist noch unklar. Israel weitet jedoch seine militärischen Aktionen seitdem massiv aus und fliegt immer wieder Luftangriffe auf Ziele in Beirut und dem Süden des Libanon. Dabei wurden libanesischen Angaben zufolge mehr als 550 Menschen getötet.

Benjamin Netanjahu spricht, im Hintergrund ist eine Israel-Flagge zu sehen
Welche Ziele verfolgt er im Libanon? Israels Premier Benjamin NetanjahuBild: Ohad Zwigenberg/AP/picture alliance

Aber auch die Hisbollah hat ihren Beschuss ausgeweitet. So wurden alleine am Dienstagmorgen binnen weniger Minuten mehr als 50 Raketen auf den Norden Israels abgefeuert. Insgesamt wurden seit dem 7. Oktober mehr als 50 Menschen in Israel durch Raketenbeschuss der Hisbollah getötet.

Thomas Latschan Bonn 9558
Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik