Israel und Libanon: Hoffen und Bangen
30. Januar 2015"Der sonnige Morgen hatte eigentlich einen schönen Tag versprochen...“, schrieb der libanesische Journalist Habib Battah am Mittwoch auf seinem Blog, während die ersten israelischen Granaten im Südlibanon einschlugen. Das war die Antwort Israels auf den Beschuss eines seiner Militärkonvois durch die libanesische Hisbollah-Miliz auf den israelisch besetzten Golan-Höhen. Zwei israelische Soldaten und ein UN-Blauhelm waren dabei ums Leben gekommen. Es folgten bange Stunden des Wartens, in denen auf den Straßen des Libanons genauso wie in den sozialen Medien nur eine Frage dominierte: Ist wieder Krieg? Tatsächlich erinnerte die Situation stark an den israelisch-libanesischen Krieg von 2006: Der hatte damit begonnen, dass die Hisbollah zwei israelische Soldaten entführte.
Angst vor Krieg
Einige Libanesen sind deshalb am Tag nach dem Beschuss gar nicht gut auf die Schiitenmiliz zu sprechen: "Die Hisbollah hat kein Recht, das Schicksal des Libanons aufs Spiel zu setzen“, sagt der 27-jährige Ibrahim. Er sitzt mit Freunden in einem Café in Beiruts Innenstadt. "Dieser Angriff gefährdet alle Menschen im Libanon. Haben wir nicht schon genug Probleme: Über eine Million syrische Flüchtlinge und die Kämpfe mit Islamisten an der syrischen Grenze?“, fragt sein Freund Jamil. Die jungen Libanesen kennen die Geschichte der Kriege mit Israel nur allzu gut - und wissen, wie man sich verhalten muss. Doch heute ist die Lage in der Region bedeutend schlechter als 2006. "Gestern rief mich meine Mutter aus Kuwait an und bat mich, so schnell wie möglich ein Flugticket zu buchen. Denn der Flughafen wird im Krieg immer bombardiert und der Seeweg ist dann auch dicht. Der einzige Ausweg wäre Syrien. Aber der ist schon lange keine Option mehr,“ meldet sich Rawand als letzter in der Runde zu Wort.
Lob und Kritik nach Hisbollah-Angriff
Nach der Eskalation an der Grenze waren die libanesischen Politiker geteilter Meinung über die Provokation der Hisbollah. Es gab viel Kritik, aber auch Lob: Faisal Karami, der ehemalige Minister für Jugend und Sport, bezeichnete den Angriff als "entschiedene Antwort zur richtigen Zeit“. Der Beschuss des Konvois sei ein Vergeltungsschlag für einen israelischen Luftangriff vor gut anderthalb Wochen auf der syrischen Seite der Golanhöhen. Dabei waren mindestens fünf Hisbollah-Kämpfer ums Leben gekommen. In Dahiyeh, einem schiitischen Vorort von Beirut, feierte man den Schlag gegen Israel mit Freudenschüssen. Auch auf Twitter gab es Glückwünsche für die Miliz: "Heute bin ich stolz, Libanesin zu sein. Danke Hisbollah!“, jubelte eine Userin. Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, erklärte in einer Fernsehansprache am Freitag: "Wir wollen keinen Krieg, aber wir haben auch keine Angst davor.“ Angesichts der angespannten Stimmung im Land nahmen die Libanesen seine Worte mit gemischten Gefühlen auf.
Gemischte Stimmung in Israel
Auch in Israel dürfte man genau hingehört haben bei Nasrallahs Ansprache. Die israelischen Medien berichteten am Donnerstag, die schiitische Miliz habe über die im Südlibanon stationierte UN-Friedenstruppe eine Botschaft an Israel geschickt. Der Kern: Man strebe keine weitere Verschärfung der Situation an. Der israelische Verteidigungsminister Moshe Yaalon bestätigte dies im israelischen Rundfunk. Seit dem Angriff am Mittwoch herrscht weitgehend Ruhe im Grenzgebiet. Die dort stationierten Armee-Einheiten bleiben aber weiterhin in höchster Alarmbereitschaft.
Israel trauert unterdessen um die zwei Soldaten, die bei dem Beschuss mit Panzerabwehrraketen auf den offenbar schlecht gesicherten Militärkonvoi nahe der libanesischen Grenze getötet worden waren. Sie wurden am Donnerstag beigesetzt. In Jerusalem, rund zweieinhalb Autostunden vom Ort des Geschehens entfernt, rufen die neusten Entwicklungen zwiespältige Gefühle hervor – und auch hier zieht man Parallelen zur jüngeren Geschichte: "Wenn man sich anschaut, wie 2006 der zweite Libanon-Krieg anfing, dann war das auch durch einen relativ kleinen Zwischenfall“, sagt Cain, Student der Politikwissenschaft. Resigniert fügt er hinzu: "Und wenn vielleicht nicht dieser Zwischenfall der Auslöser für einen neuen Krieg wird, dann wird es vielleicht der nächste sein.“ Moshe Hendel, gerade mit seiner Familie aus Australien nach Nord-Israel eingewandert, macht sich dagegen keine großen Sorgen: "Die Leute hier lassen sich generell in ihrem Alltag nicht allzu sehr von solchen Dingen beeinträchtigen. Wir müssen Stärke zeigen und ich denke, es wird schon in Ordnung sein.“ Sein Freund Salman Werdicker äußert sich vorsichtiger: "Es ist schon schlimm genug, dass zwei Soldaten ihr Leben verloren haben. Israel muss Stärke zeigen, um seine Grenzen zu schützen - aber es muss ja nicht gleich einen Krieg wie in Gaza geben.“
Weitere Eskalation nicht ausgeschlossen
Ähnlich sehen dies auch israelische Militärexperten und politische Beobachter. Die meisten gehen davon aus, dass weder Israel noch Hisbollah ein Interesse daran haben, den Konflikt weiter zu eskalieren. Dennoch könne man nicht ausschließen, dass die Situation im Norden Israels auf lange Sicht in einen neuen Krieg münden könnte. Dabei kam die Verschärfung der Lage keineswegs unerwartet. Hisbollah und Iran hatten mit Vergeltung gedroht, nachdem am 18. Januar bei einem Israel zugeschriebenen Luftangriff mehrere hochrangige Hisbollah-Milizionäre und ein iranischer General getötet wurden. Deren Konvoi war auf der syrischen Seite der Golanhöhen nahe Kuneitra unterwegs gewesen. Seit Tagen bereits war in der israelischen Presse darüber spekuliert worden, wie diese Vergeltung aussehen könnte. Und tatsächlich bezeichnete die Hisbollah den Angriff auf die israelische Armeepatrouille am Mittwoch als Antwort auf Kuneitra.
Premierminister Benjamin Netanjahu hatte in einer ersten Reaktion mit harten militärischen Maßnahmen gedroht. Israel werde sich an allen Fronten verteidigen, sagte er. Am Donnerstag machte er deutlich, wen er als eigentlichen Drahtzieher hinter der Hisbollah sieht: "Es ist Iran, der für diesen Angriff von libanesischem Boden aus verantwortlich ist“, sagt eder Premier bei einer Gedenkfeier für den ehemaligen Premierminister Ariel Scharon. "Es ist derselbe Iran, der nun eine Vereinbarung erzielen will, die es ermöglichen würde, nukleare Waffen zu entwickeln.“ In nicht einmal zwei Monaten wird Mitte März in Israel eine neue Regierung gewählt. In der Zwischenzeit könnten unruhige Zeiten auf das Land zukommen.