Israel vertagt Ausweitung Jerusalems
29. Oktober 2017Am Ende überwogen die Sorgen. Die internationale Kritik, fürchteten die Mitglieder des Rechtsausschusses des israelischen Parlaments, würde wohl außergewöhnlich scharf ausfallen und könnte dem Land massiv schaden. So beschlossen die Parlamentarier, die für Sonntag geplante Abstimmung über die Ausweitung der Stadtgrenzen Jerusalems zu verschieben.
Das von dem Likud-Abgeordneten Joav Kisch vorangetriebene sogenannte "Groß-Jerusalem-Gesetz" sieht vor, 19 israelische Siedlungen in den Stadtraum Jerusalem einzugliedern. Dadurch wären rund 150.000 jüdische Siedler auf dem Gebiet des Westjordanlands zu Bewohnern Jerusalems geworden. Zwar würde dieses Gebiet formal nicht zu Israel gehören. Doch durch die Zugehörigkeit zu Jerusalem hätten die Siedler den jüdischen Anteil an der Bevölkerung der Stadt vergrößert. Derzeit leben knapp 860.000 Menschen im Großraum der Stadt. 65 Prozent von ihnen sind Juden, 33 Prozent Muslime. Der Anteil der Christen liegt bei zwei Prozent.
Druck aus Amerika
Den Ausschlag dafür, die Entscheidung zu vertagen, hatte offenbar eine Reaktion aus Washington gegeben. "Es gibt amerikanischen Druck", erläuterte David Biton von der regierenden Likud-Partei im israelischen Armee-Radio die Entscheidung. "Dort sagt man, die Entscheidung komme einer Annexion gleich." Aufgeben wolle man das Projekt allerdings nicht. "Wir nehmen uns Zeit, so dass wir den Amerikanern das Projekt erklären können. Darum wird es um eine Woche verschoben. Dadurch ist es weniger problematisch."
Der israelischen Tageszeitung Haaretz zufolge will der israelische Premier Benjamin Netanjahu persönlich für das Projekt werben. "Wir haben uns mit den Amerikanern abgesprochen und wollen das auch weiter tun", erklärte der Premier. "Wir arbeiten daran, das Siedlungsprojekt zu fördern und zu entwickeln."
Kritik der Palästinenser
Palästinensische Kritiker sehen in dem Plan einen Versuch, die Präsenz ihrer Landsleute in Jerusalem möglichst klein zu halten. "Das Projekt zielt darauf, die Palästinenser zu einer kleinen Minderheit mit einem Anteil von nicht mehr als 20 Prozent an der Gesamtbevölkerung Jerusalems zu machen ", heißt es in der in Ost-Jerusalem erscheinenden Zeitung Al-Quds.
Berücksichtige man zudem den weiteren Siedlungsbau, zeige sich, dass es letztlich darum gehe, Jerusalem von der übrigen Westbank zu isolieren. Es gehe der israelischen Regierung darum, einen künftigen palästinensischen Staat zu verhindern. "Das bedeutet, dass Israel keinen Frieden will und gegen den internationalen Willen handelt, einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 zu errichten", so Al-Quds. Im Jahr 1967 hatte Israel infolge des Sechstagekriegs das Westjordanland, die Golan-Höhen und Ost-Jerusalem annektiert.
Kritik an der Ausweitung des Stadtgebiets äußerten auch die der Parteienallianz Vereinigtes Thora-Judentum angehörenden ultra-orthodoxen Juden. Sie fürchten, durch die Einbeziehung der - oft säkular orientierten - Bewohner der Siedlungen werde der Anteil der religiös ausgerichteten Bewohner Jerusalems weiter zurückgehen.
Zurückgehender Glaube an Zwei-Staaten-Lösung
Auf diesem Gebiet hat Israel den Siedlungsbau bis zuletzt vorangetrieben. Derzeit gibt es im Westjordanland rund 130 israelische Siedlungen mit mehr als 400.000 Einwohnern. Weitere 200.000 Israelis leben in Siedlungen im annektierten Ost-Jerusalem. Hinzu kommen noch einmal mehrere Tausend Siedler in wild errichteten Siedlungen, die nach israelischem Gesetz illegal sind
Die Zustimmung zu der ursprünglich geplanten Zwei-Staaten-Lösung ist in den letzten Jahren stetig zurückgegangen. Vor allem unter Palästinensern nahm die Zustimmung zuletzt ab. Noch im Jahr 2014 sprach sich knapp über die Hälfte der Bevölkerung gegen eine solche Lösung aus. Diese Tendenz hielt auch in den folgenden Jahren weiter an. Viele der Befragten erklären zudem, angesichts der fortgeschrittenen Zersiedelung des Landes sei eine Zwei-Staaten-Lösung ohnehin nicht mehr umsetzbar. Umgekehrt bröckelte angesichts des palästinensischen Terrors auch in Israel die Zustimmung. 2015 sprach sich nur noch knapp die Hälfte der Israelis für eine solche Lösung aus.
Auch im Jahr 2017 wurde der Bau weiterer Siedlungen genehmigt. Das Vorhaben ist in der israelischen Gesellschaft umstritten. 50 Prozent der jüdischen Bevölkerung hielten eine Ausweitung der Siedlungen für politisch unklug, berichtet der Think Tank "The Israel Democracy Institute". Eine Annektierung halten gar 53 Prozent der Befragten für problematisch.
Schwieriges Verhältnis zu den Vereinten Nationen
Die Vereinten Nationen betrachten sämtliche Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten als illegal. International gilt der israelische Siedlungsbau als eines der größten Hindernisse für eine dauerhafte Friedenslösung im Nahost-Konflikt, weil die Wohnungen auf Land errichtet wurden, das die Palästinenser für ihren Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt beanspruchen. Für die Gegenseite ist Jerusalem dagegen "die ewige, ungeteilte Hauptstadt des jüdischen Staats".
Ganz anders sehen das die Vereinten Nationen. Im Oktober vergangenen Jahres hat die UNESCO eine Resolution angenommen, die den jüdischen Charakter des Jerusalemer Tempelberges komplett negiert. Darin wird der Ort lediglich als muslimische Stätte mit dem Namen "Al-Aksa Moschee/Al-Haram Al-Scharif und Umgebung" bezeichnet.
Wegen der kaum lösbar scheinenden Differenzen waren Israel und die USA Mitte Oktober aus der UNESCO ausgetreten.