Drei Leben, drei israelische Kammeropern
27. November 2016Vereinsamt und verarmt lebt eine alte Dichterin inmitten ihrer Fantasiebilder und ihrer Kunst. Ein Mädchen erfährt von der Verfolgung ihrer Eltern und versucht vergebens, mehr über ihre familiären Wurzeln zu erfahren. Zwei Generationen und zwei Kapitel der Kulturgeschichte Israels als Thema von zwei zeitgenössischen Kammeropern, am Freitag (25.11.2016) wurden beide in der Kölner Musikhochschule aufgeführt.
"Else", handelt von der expressionistischen Dichterin Else Lasker-Schüler (1869-1945), einer deutsch-israelischen Kultfigur. Die Vertonung von Josef Tal (1910-2008), der als Vater der israelischen Tonkunst gilt, ist scharf atonal, sperrig und beunruhigend. Die zweite Kammeroper "Gespräch mit einem Stein"der israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff (Jg. 1954) - steht im großen Kontrast dazu, und sprudelt nur so von charmanten Tango- und Bluesrhythmen und eingängigen Tonfolgen.
Zwei Opern, ein Werkstoff
Handlung und Musikstil der beiden Werke könnten kaum unterschiedlicher sein. Die alte Frau, die Wahrheit nur noch in ihrer Dichtkunst findet, und das junge Mädchen, das auf ihrer Wahrheitssuche keine Antworten bekommt, erzählen im Grunde von der gleichen Geschichte, erklärte Sängerin Shira Patchornik im Gespräch mit der DW. "Die ältere Generation hat große Not erlebt", sagte Patchornik, die beiden Hauptrollen verkörpert. "Andere, die danach kamen, setzen sich noch heute mit den Spätfolgen auseinander. Für Israelis gehören beide zur selben Erinnerungskultur. Ich darf sie hier miteinander verbinden; zusammen sprechen sie jedem Menschen an."
Auch in der Inszenierung des deutsch-polnischen Regisseurs Bruno Berger-Gorski verschmelzen beide Kammeropern in gut einer Stunde zu einem Gesamtkunstwerk. Die Szene ist schlicht: In "Else" schiebt die Protagonistin einen Einkaufswagen voller Gerümpel zwischen weißen Kleiderbergen durch, gibt schwer verständliche Worte von sich, wirkt etwas verrückt.
Lasker-Schüler war extrem in ihrem Künstlerdasein, eine große Dichterin der deutschen Moderne. In jüngeren Jahren vielleicht sowas wie eine Lady Gaga der Weimarer Republik: Kreativ und skandalös, malte, zeichnete und schrieb sie expressionistische und surrealistische Gedichte, spielte mit den Männern, hatte einen unehelichen Sohn, setzte sich gegen die Verfolgung von Homosexuellen in Deutschland ein - und für die Aussöhnung zwischen Juden und Arabern. Auch nach ihrer Emigration 1933 nach Jerusalem blieb Lasker-Schüler künstlerisch produktiv.
Bohrende Fragen nach der Familiengeschichte
Nach einer Überleitung, einem vertonten Gedicht von Else Lasker-Schüler, sieht man dann in der zweiten Kammeroper, "Gespräch mit einem Stein", die gleiche aufgetürmte weiße Wäsche, diesmal mit der Leinwand-Projektion einer Skulptur des Objektkünstlers Daniel Spoerri, samt ihrer beweglichen Entsprechung auf der Bühne: einen als Tod verkleideten Tänzer. Ein junges Mädchen will in einen Stein eindringen, von ihm Weisheit erfahren und durch ihn alles verstehen. Die Fragen des Mädchens, gesungen von Shira Patchornik gesungen) sind auf Hebräisch, die abweisenden Antworten - mit Uta C. Georg in der Rolle des Steins - auf Polnisch. Beide werden von zwei Frauenchören musikalisch ergänzt und sprachlich kommentiert.
Für die Komponistin hat die Oper einen ganz persönlichen Hintergrund: Ella Milch-Sheriffs Eltern überlebten den Holocaust und mussten Polen wegen des dortigen Antisemitismus 1946 verlassen. Darüber schwiegen jedoch wie ein Grab. Erst aus dem Tagebuch des Vaters erfährt Milch-Sheriff von dem Geheimnis dieser Flucht aus Polen. "Das ist das erste Mal, dass ich zur polnischen Sprache komponiere und mich mit meiner eigentlichen Muttersprache (Hebräisch) verbinde", schreibt die Komponistin in Bezug auf ihre Kammeroper.
Die Unmöglichkeit des Verstehens
Auch für den in Wien lebenden Regisseur Bruno Berger-Gorski hat die Inszenierung einen persönlichen Aspekt: Sein Vater kam aus Polen. Zusammen mit Texten der polnischen Literatur-Nobelpreisträgerin Wislawa Symborska - dankenswerte Weise auf Leinwand projiziert - hebt seine schlichte, symbolreiche Personenregie die Geschichte auf eine metaphysische Ebene. Es geht um die Unfähigkeit des Menschen, die Natur und das Universum zu begreifen. Das Versagen der Kommunikation ist auch zentrales Thema der Kammeroper "Else".
Für Hilary Griffiths, den Dirigenten der Aufführung, ist es nur folgerichtig, dass beide Rollen - die alte Dichterin und das junge Mädchen - von derselben jungen Sängerin gespielt und gesungen werden: "Else war vielleicht über 70 Jahre alt, fühlte sich jedoch noch wie 17. Wenn man selber in das Alter kommt, weiß man, dass die Gefühle dieselben sind." Universell sei daher die Kraft der Kunst, so Griffiths: "Sie ermöglicht uns, Erinnerungen und Erfahrungen anderer Leute selber zu erleben. Das ist eine sehr wichtige Sache."
Unter der Schirmherrschaft von Anna Azari, seit September 2014 israelische Botschafterin in Polen, werden am 1. Dezember 2016 beide Werke des israelischen Musiktheaters nochmal in der Alten Synagoge der europäischen Kulturhauptstadt Breslau aufgeführt.