Ist der Klimawandel schuld an der Hitzewelle?
31. Juli 2018Rekordtemperaturen von bis zu 39 Grad Celsius in Deutschland, unkontrollierbare Waldbrände in Schweden und anderen nördlichen Ländern sowie eine giftige Algenplage in der ungewöhnlich warmen Ostsee vor Polen - Europa ächzt unter der momentanen Hitzewelle. Während die hohen Temperaturen in großen Teilen Europas anhalten, stellt sich die Frage: Ist der Klimawandel dafür verantwortlich?
Wissenschaftler sagen ja. "Der Klimawandel hat die Wahrscheinlichkeit der aktuellen Hitzewelle mehr als verdoppelt", sagt Geert Jan van Oldenborgh, Forscher am Royal Netherlands Meteorological Institute. Er ist Mitglied des Netzwerkes World Weather Attribution (WWA), in dem Wissenschaftler von sechs Forschungseinrichtungen fast in Echtzeit einen möglichen Zusammenhang zwischen Klimawandel und aktuellen Extremwetterereignissen untersuchen. Ein WWA-Team hat die Hitzewelle in Europa analysiert und ihre vorläufigen Ergebnisse letzte Woche vorgestellt.
Wie können Wissenschaftler einzelne Wetterereignisse auf den Klimawandel zurückführen?
In der Vergangenheit war es nicht einfach, den genauen Grund für ein Wetterereignis auszumachen. Viele komplexe Faktoren spielen in der Entstehung von Hitzewellen, Stürmen oder Starkregen mit. Doch dank Supercomputern und neuester Klimamodelle können Wissenschaftler mittlerweile die Wahrscheinlichkeit ausrechnen, mit der ein einzelnes Wetterereignis durch den Klimawandel verursacht wurde. Sie gehen dabei ähnlich vor, wie Mediziner, die einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs hergestellt haben. "Rauchen ist nie der einzige Grund, aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen", sagt Friederike Otto, Forscherin am Environmental Change Institute an der University of Oxford.
Um die Wahrscheinlichkeit auszurechnen, mit der ein Wetterereignis mit dem Klimawandel zusammenhängt, erstellen Forscher zwei Modelle: eins für das Klima, in dem wir leben und eins für ein Klima ohne menschengemachte Treibhausgase in der Atmosphäre. Alle Daten, die in beide Modelle eingegeben werden, sind gleich. Der einzige Unterschied ist der Klimawandel.
Wenn sie die Ergebnisse der zwei Modelle vergleichen, können sie die Unterschiede dementsprechend dem Klimawandel zuordnen. Mit dieser Methode konnten die Forscher des WWA-Netzwerkes bereits zeigen, dass der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für Hurrikan Harvey um das dreifache und die Hitzewelle in Südeuropa im letzten Jahr um das vierfache erhöht hatte.
Aber es gibt auch Fälle, wo kein Zusammenhang nachweisbar ist. So hatte der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für die Dürre in Sao Paolo im Jahr 2014 nicht beeinflusst.
Wie haben die Forscher den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der aktuellen Hitzewelle in Europa nachgewiesen?
Das WWA-Team nahm für seine Analyse aktuelle und historische Temperaturmessungen von sieben Wetterstationen in Nordeuropa als Grundlage. Die Stationen in Finnland, Dänemark, Irland, in den Niederlanden, Norwegen und Schweden wurden aus praktischen Gründen ausgewählt - die Aufzeichnungen waren digital sofort verfügbar und reichten bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Mit den Daten haben die Forscher dann die beiden unterschiedlichen Klimamodelle gefüllt und die Ergebnisse verglichen.
Für Kopenhagen kam heraus, dass bei unserem derzeitigen Klima eine Hitzewelle wie jetzt etwa alle sieben Jahre stattfindet. In einem Klima ohne menschlichen Einfluß, hingegen, käme so eine Hitzewelle nur alle 35 Jahre vor. "Wir können also sagen, dass der Klimawandel [im Fall von Kopenhagen] die Wahrscheinlichkeit für so ein Wetterereignis um das zehnfache erhöht hat", sagt Forscherin Otto gegenüber der DW. Aber nicht überall war der Unterschied so dramatisch. Die Analyse aller sieben Wetterstationen ergab, dass der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für Hitzewellen, wie wir sie gerade in Europa erleben, im Durchschnitt mehr als verdoppelt hat.
Die Ergebnisse beruhen auf bewährten Klimamodellen, sind aber noch nicht in einem wissenschaftlichen Journal publiziert. Das liegt daran, dass die Forscher ihre Analyse schnell veröffentlichen wollen, während das öffentliche Interesse an den Ursachen der Hitzewelle hoch ist. Das WWA-Team plant, die Ergebnisse formell zu veröffentlichen. So haben es die Forscher auch bei früheren Untersuchungen getan.
Warum ist es wichtig zu wissen, ob der Klimawandel bestimmte Wetterereignisse verursacht?
Der Klimawandel ist ein abstraktes Zahlen-Thema. Die wichtigste Orientierungswert für dessen Fortschreiten ist der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur. Menschen fühlen allerdings nicht die globale Durchschnittstemperatur. Sie fühlen die Auswirkungen von schweren Regenfällen, Hitzewellen, Stürmen und Dürren, sagen Forscher.
"Es ist sehr wichtig, Beispiele für die Auswirkungen des Klimawandels aufzuzeigen", sagt Robert Vautard, Klimawissenschaftler am französischen Laboratory for Climate and Environment Sciences, der DW. Nur wenn wir wissen, wie der Klimawandel aussieht, können wir uns entsprechend darauf vorbereiten.
Nach der tödlichen Hitzewelle im Jahr 2003, bei der allein in Frankreich 15.000 Menschen gestorben sind, hat die französische Regierung einen Notfallplan entwickelt, um für zukünftige Hitzeperioden und damit verbundene gesundheitliche Gefahren vorbereitet zu sein. Aber Experten fürchten, dass diese Pläne schon wieder veraltet sind. "Unsere Infrastruktur und Gesundheitsvorsorgepläne basieren auf Hitzewellen und Regenfällen, die wir erlebt haben. Aber uns muss klar werden, dass das Klima von heute nicht das gleiche ist, was es mal war und das es in der Zukunft auch ein ganz anderes sein wird", sagt Vautard.
Bei einigen Politikern kommt dieses Denken bereits an. Abgeordnete in Großbritannien, wo letzte Woche das Thermometer auf 30 Grad und höher kletterte, haben die Regierung aufgerufen, eine Strategie zu entwickeln, um Menschen, vor allem ältere, während Hitzewellen zu schützen. Sie fürchten, dass sich die Zahl der Hitzetoten bis 2050 verdreifachen könnte.
Wird es mehr Extremwetterereignisse in der Zukunft geben?
Wissenschaftler sind sich einig: ja. "Hitzewellen wie diese werden häufiger und heftiger werden", sagt Andrew King, Klimaforscher an der University of Melbourne, der DW. "Wir wissen, dass Hitzewellen und heiße Sommer, wie der berüchtigte Sommer von 2003 in Europa, sehr wahrscheinlich in den meisten Jahren vorkommen werden, auch wenn wir die globale Erwärmung unter zwei Grad halten." 197 Nationen haben das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet mit dem Ziel, die Erderwärmung zwischen 1,5 und 2 Grad zu halten. Doch noch fehlen Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Momentan bewegen wir uns weit über die 2 Grad hinaus.
Das Wetter wird allgemein unbeständiger werden - und unberechenbarer, warnen Forscher. Dürren und Überschwemmungen können sich abwechseln und örtlich wird es große Unterschiede geben. Das wird es schwierig machen, sich auf den Klimawandel vorzubereiten, sagt Wissenschaftlerin Otto: "Das Gefährliche am Klimawandel ist, dass wir nicht gewohnt sind, uns an Veränderungen anzupassen und es wird schwierig sein, das zu tun."