Ist die Wall Street bald nicht mehr der Nabel der Börsenwelt?
10. Juli 2006Vor fast genau acht Jahren wagte das Softwareunternehmen SAP den Gang an die New York Stock Exchange. Und wie so viele Unternehmen hat in den vergangenen zwei bis drei Jahren auch SAP den Sarbanes Oxley Act zu spüren bekommen. Nach spektakulären, milliardenschweren Skandalfällen wie bei Enron oder Worldcom wurden in den USA die Buchhaltungsrichtlinien geändert. Es war die schärfste Reform der Finanzaufsicht seit Ende der 1920-er Jahre - und Unternehmen, die an den US-Börsen notiert sind, entstehen je nach Firmengröße jährlich Kosten in Millionenhöhe. "Es ist natürlich eine zusätzliche Belastung. Ich kann jetzt keine genauen Zahlen nennen, aber das ist schon ein Millionenbetrag, der als zusätzlicher Aufwand durch Sarbanes Oxley entsteht", sagt Stefan Gruber, der bei SAP für Investor Relations zuständig ist.
Immer mobiler
Mit den höheren Kosten wurde bei anderen deutschen Unternehmen, etwa bei Allianz oder Siemens, der Ruf lauter, sich ganz von den US-Börsen zurück zu ziehen. Und selbst amerikanische, vor allem kleinere Unternehmen, scheuen wegen der Zusatzkosten den Börsengang. "Die NYSE ist immer noch bei weitem der größte Aktienmarkt der Welt. Doch bereits seit Jahren ziehen sich sogar immer mehr amerikanische Unternehmen zurück", erklärt Jay Ritter, Finanzprofessor an der University of Florida. Seit Monaten tobt die Übernahmeschlacht um die Euronext und die Londoner Börse: Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die erste transatlantische Börse kreiert wird (NYSE-Euronext und LSE-Nasdaq).
Könnte sich mit einer möglichen Fusion der US-Technologiebörse Nasdaq mit der London Stock Exchange oder dem Zusammenschluss der New York Stock Exchange mit der Vierländerbörse Euronext nun europäischen Unternehmen die Möglichkeit bieten, den US-Märkten den Rücken zu kehren und ihre Aktien in Europa zu platzieren? Laut Professor Ritter werden Investoren zumindest immer mobiler und internationaler. Da spiele es keine so große Rolle mehr, ob ein Unternehmen in New York, Frankfurt, Paris oder London gelistet sei: "Die Technologie hat sich vor allem verändert, und damit wird es für institutionelle Anleger einfacher, in anderen Ländern zu investieren."
Positive Effekte
Kommen jetzt also SAP, Qiagen und Co demnächst zurück an die heimischen Börsen? "Wir sehen die Sache eigentlich sehr positiv", sagt der Qiagen-Finanzchef Roland Sackers. "Ich glaube, dass auch für Investoren der Sarbanes Oxley Code insgesamt eine positive Einrichtung ist, weil er zusätzliche Informationen bringt." Zudem ist laut Sackers der US-Markt entscheidend für Qiagen, und dementsprechend sei die Präsenz in den USA wichtig. "Auf der anderen Seite muss man klar sehen, dass Quiagen ein sehr internationales Unternehmen ist, 50 Prozent unseres Umsatzes machen wir in Amerika, 40 Prozent unserer Anteilseigner sitzen hier in den USA."
Stefan Gruber von SAP sieht ebenfalls keinen Grund, den US-Börsen Lebewohl zu sagen: "Auch die europäischen Investoren haben ein Interesse daran, dass die SAP eine internationale Aktionärsstruktur hat. Insofern wurde das Listing in den USA eigentlich nie in Frage gestellt." Jüngsten Spekulationen zufolge plant Qimonda, die Speicherchiptochter von Infineon, in den nächsten Monaten, eventuell bereits im August, den Börsengang an der New York Stock Exchange. Trotz hoher Kosten und transatlantischer Bündnisse ist es offenbar nicht so leicht, der Wall Street bye bye zu sagen - und im Hinblick auf den amerikanischen Absatzmarkt ist das eventuell auch nicht ratsam.