Italien: Populisten obenauf
5. Dezember 2016"Das Leben wird weitergehen", sagt ein Gast in der Bar zur "Goldenen Tasse" unweit des Pantheons in Rom. Er genießt wie jeden Tag seinen Cappuccino am Tresen zur Frühstückspause. Wie 59 Prozent der Italiener hat er gegen das Verfassungsreferendum gestimmt. Giovanni Riposati, der um die Ecke einen Lebensmittelladen betreibt, hat auch mit Nein gestimmt. Er will Neuwahlen, "weil Premier Renzi nicht durch Wahlen an die Macht kam." Seiner Meinung nach können nur "die Leute von der Bewegung '5 Sterne'" etwas ändern, "weil sie anders sind. Wir brauchen keine neue Verfassung, sondern neue Politiker". Dass Premierminister Matteo Renzi zurücktritt, findet Giovanni Riposati nur folgerichtig.
Alma Maestrucci widerspricht. Es sei ein riesiger Fehler von Renzi gewesen, das Referendum mit einer Vertrauensfrage über seine Reformpolitik zu koppeln. "Jetzt wird es Instabilität geben. Die '5 Sterne' und die Rechten um Matteo Salvini machen mir Angst", bekennt die Büroangestellte. Sie sagt, dass man weder die linken noch die rechten Populisten einschätzen kann. Neuwahlen hält sie deshalb für falsch.
"Wir schreiben ein Parteiprogramm"
In Rom beginnt jetzt das politische Großreinemachen. Die Opposition aus linken und rechten Populisten sowie den bürgerlichen Konservativen triumphiert und läuft sich warm. Beppe Grillo, der Anführer der links-populistischen Bewegung "5 Sterne" kündigte an, man werde jetzt ein Parteiprogramm schreiben und eine Regierungsmannschaft zusammenstellen. "Das Volk wird regieren, keine Alleinherrschaft mehr", heißt es von führenden "5-Sterne"-Politikern. Bislang hatten die "Grillini", die die stärkste Oppositionsfraktion im Parlament stellen, nie Anstalten gemacht, auch regieren zu wollen. Jetzt setzen Grillo und auch der rechtsradikale Lega Nord-Chef Matteo Salvini auf schnelle Neuwahlen. Salvini, der ein Fan von US-Präsident Trump, Russlands Präsident Putin und Frankreichs rechter Frontfrau Marine Le Pen ist, hält seine separatistische Lega Nord nach dem unerwartet hohen Sieg über Matteo Renzi für eine "glaubwürdige Alternative".
Frischer Wind für Italien?
Die Regierungskrise und die Unsicherheit, die Italien jetzt wohl erst einmal für einige Wochen und Monate im Griff haben werden, bringt die Kunden in der Bar zur "Goldenen Tasse" offenbar nicht aus der Ruhe, an solche Zustände sind sie bereits gewöhnt. Sie wollen, dass die Wirtschaftslage sich bessert. Nur wie, das wissen sie auch nicht. Italien hat seit der Finanzkrise eine konservative und eine technokratische Übergangsregierung sowie zwei sozialdemokratisch geführte Koalitionen zerschlissen, ohne durchschlagenden Erfolg.
Matteo Renzi räumt inzwischen seine Dienstwohnung im Palazzo Chigi. Am frühen Morgen standen am Sitz des Premier die Fenster sperrangelweit auf, als wolle man frischen Wind hineinlassen. Auf dem Platz gegenüber sammelt sich ein kleines Grüppchen "Nationalisten", die die italienische Fahne schwenken und die EU zum Teufel wünschen.
Muss die EU demnächst Banken oder den Staat retten?
Welche Folgen der Sturz Renzis und das Ende seines Reformprogramms für die Wirtschaft und die Europäische Union haben wird, darüber streiten die Kommentatoren und Gäste in den italienischen Fernsehshows lebhaft. Klar wird im Laufe des Vormittags, dass die europäischen Börsen nicht so stark ins Minus rutschen wie befürchtet. Nur einige Banktitel leiden. Die italienische Krisenbank "Monte dei Paschi di Siena" hat den Handel mir ihren Aktien vorsichtshalber aussetzen lassen. Die Bank könnte bald zum Sanierungsfall werden, sollten Investoren wegen der unsicheren Lage jetzt das Kapital der maroden Bank nicht erhöhen wollen.
Die Euro-Finanzminister tagen an diesem Montag turnusgemäß in Brüssel und beobachten die Entwicklung mit Sorge. Vor allem die Zinsen, die Italien zur Refinanzierung seiner überbordenden Staatsschulden (132% der Wirtschaftsleistung) zahlen muss, dürfen nicht zu hoch steigen. Sollte die Wirtschaft in Italien wieder stagnieren und der Staatshaushalt kollabieren, müsste die EU wohl mit ihren Rettungsschirmen zur Tat schreiten. Doch bislang galt bei EU-Diplomaten die Ansicht, Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft in der Eurozone, sei zu groß, um tatsächlich von Deutschland, Frankreich und einigen anderen rausgepaukt zu werden. Ohne eine funktionierende Regierung in Rom sind Entscheidungen in der EU nur schwer herbeizuführen.
Brüssel verliert einen Partner
Sollte irgendwann eine populistische Partei die Führung in Italien übernehmen, wäre der Ofen wohl aus. Beppe Grillo will den Euro-Raum verlassen. Die Lega-Nord will aus der EU raus und am liebsten auch noch das arme Süditalien absprengen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier fasst es so zusammen: "Der Ausgang des Referendums ist kein positiver Beitrag mitten in der Krise der EU." Aber er sei auch nicht der Untergang des Abendlandes, so Steinmeier. Bislang hatte man in Brüssel Matteo Renzi als Hoffnungsträger angesehen, der einen europapolitisch klaren Kurs hat. Die EU-Kommission hatte Italien als Belohnung sogar große "Flexibilität" bei der Gestaltung seines Staatshaushaltes, sprich mehr Schulden, zugestanden. Doch das könnte jetzt vorbei sein. Mit Schrecken sehen EU-Diplomaten, dass nach dem britischen Premier Cameron ein zweiter Regierungschef an populistischer Wut-Opposition gescheitert ist. Wer ist der nächste? Marc Rutte in den Niederlanden, wo im Frühjahr gewählt wird?
Den römischen Ladenbesitzer Giovanni Riposti sorgt das nicht, die EU sei sowieso überflüssig und wolle die Durchmesser der Pizza regulieren. "Die wollen mir sagen, wie viel Milch die Kühe in meinem Dorf geben sollen. Das ist doch lächerlich. So viele unterschiedliche Länder passen einfach nicht zusammen." Die Angestellte Alma Maestrucci ist ganz anderer Meinung: "Wir brauchen die EU und den Euro, weil wir sonst große Probleme bekommen. Die Europäische Union muss uns jetzt helfen, gerade nach diesen Erdbeben!" Damit meint sie nicht nur die wirklichen Erdbeben in den Abruzzen im Sommer, sondern auch das politische Erdbeben, das Italien nach dem Referendum derzeit erschüttert.