Italien entthront Spanien
27. Juni 2016Gleich mit dem Anpfiff flüchteten die Fans. Ein heftiger Regenfall sorgte für große Hektik und Betriebsamkeit auf der Tribüne auf der Suche nach einem trockenen Platz. Dabei verpasste so manch einer im Stade du France in Paris tollen Fußball - denn den boten die Italiener gleich von Beginn an. Die für ihren defensiven Fußball bekannten Italiener stürmten! Die Spanier waren so perplex, dass sie in der ersten Halbzeit vollkommen verwirrt hin und her trabten. Das Ergebnis: Italien entzauberte den Europameister von 2008 und 2012 und gewann mit 2:0 (1:0) durch Tore von Giorgio Chiellini (33. Minute) und Graziano Pellè (90.+1).
"Es war unsere Revanche nach vielen Jahren, in denen sie dominiert haben. Jetzt genießen wir den Sieg", so Chiellini. Spaniens Andrés Iniesta räumte ein, dass die Niederlage verdient war: "Wir müssen die Enttäuschung akzeptieren. Die Italiener waren in den entscheidenden Momenten effektiver."
Spanien perplex
Der Sieg ist zum großen Teil auch Coach Antonio Conte zuzuschreiben. Seine Strategie: den Gegner durch eine ungewöhnlich stark offensive Ausrichtung zu verwirren. Und sie ging voll auf. Den Spaniern stand das Fragezeichen in ihren Gesichtern geschrieben, sie vergaßen fast das Fußballspielen. Das nutzten die Italiener klug aus und erspielten sich eine gute Torchance nach der anderen. Beispielsweise in der 9. Minute, als sich Graziano Pellè nach einem Freistoß in einem Kopfballduell gegen Sergio Busquets durchsetzte, aber David De Gea noch blitzschnell reagierte und den Ball abfälschte.
Nur zwei Minuten später versuchte sich Emanuele Giaccherini an einem Fallrückzieher, den de Gea noch an den Pfosten lenken konnte. Die Aktion wurde aber wegen gefährlichen Spiels abgepfiffen (11. Minute). Und dann nötigte Mattia De Sciglio nach einer scharfen Hereingabe Sergio Ramos fast zu einem Eigentor - der Kapitän traf den Ball unglücklich mit dem Schienbein (29.).
Im hohen Tempo ins Eins-gegen-Eins
Die Spanier hatten zwar wie erwartet mehr Ballbesitz - wenn auch nicht erheblich, in den Zweikämpfen war aber der Weltmeister von 2006 bissiger und erfolgreicher. Das Tor in der 33. Minute war deshalb auch verdient: Ramos hatte den agilen Pellè an der Strafraumkante gelegt. Der Freistoß von Èder war flach und mittig und damit eigentlich harmlos. Aber de Gea ließ den Ball nach vorne abklatschen. Giaccherini stocherte den Ball zur Seite und Giorgio Chiellini staubte ab (33.). Für die Spanier war es das erste Gegentor in der K.o.-Runde eines großen Turniers seit zehn Jahren.
Auch nach dem Tor wussten Spielgrößen wie Andrés Iniesta oder ein enttäuschender Cesc Fàbregas nichts mit dem Spielstil der Italiener anzufangen. Die gingen überall im hohen Tempo ins Eins-gegen-Eins, machten erfolgreich schnell die Räume zu und ließen die Spanier nicht zu ihrem Spiel kommen. Das verunsicherte die Iberer so sehr, dass vielen Profis ungewöhnlich viele individuelle Fehler unterliefen.
Immer wieder de Gea
Was deren Erfolgs-Trainer Vicente Del Bosque wohl in der Halbzeitpause sagte? Zumindest kamen die Spanier zu Beginn der zweiten 45 Minuten öfter mal in den Strafraum der Italiener und trauten sich jetzt mehr zu. Richtig gefährlich waren die Torchancen zunächst jedoch nicht. Im Gegenzug hatte der Weltmeister von 2006 in Person von Èder das zweite Tor auf dem Fuß, nachdem Pellè mit der Hacke den Ball wunderschön auf seinen Teamkollegen weitergleitet hatte. Aber de Gea rettete erneut sehr gut (55.).
Jetzt endlich spielten die Spanier nun agiler, auch wenn die Italiener weiterhin nicht zurücksteckten und trotz der Führung und ganz entgegen ihrer sonstigen Spielweise weiter nach vorne spielten - ein attraktives Fußballspiel! Auch Coach Conte investierte viel und voller Leidenschaft: Er lief in der Coachingzone wild gestikulierend und schwitzend auf und ab. In der 75. Minute war er mit einer Aktion seiner Mannschaft so unzufrieden, dass er wütend den heran rollenden Ball wegdrosch - und daraufhin ermahnt wurde.
Pellè von der Pelle halten
In der letzten Viertelstunde spielte dann Spanien, so wie man es kennt: mit schnellem Kurzpassspiel. Und kam folglich auch zu guten Torchancen. Wie in der 76. Minute, als Iniesta aus 18 Metern abzog. Ein gefährlicher Ball, den Gianluigi Buffon noch so gerade eben parieren konnte. Oder nur eine Minute später, als die Torwartlegende gegen Busquets rettete. Oder in der 87. Minute, als Pedro einen abgefälschten Schuss von David Silva hauchdünn verpasste - das hätte der Ausgleich sein müssen.
Aber selbst in dieser Drucksituation behielten die Italiener Neven. In der Nachspielzeit besiegelte Pellè Spaniens Aus (90.+1). Ein Ball von Matteo Darmian fälschen die Spanier ab und Pellè war völlig frei und drückte den Ball an de Gea vorbei über die Linie. Überhaupt Pellè - den sollten sich die Deutschen im Viertelfinale am Samstag in Bordeaux (21:00 Uhr MESZ im DW-Liveticker) von der Pelle halten.
Überhaupt: Italien gilt als deutscher Angstgegner. Von acht Partien gegen den aktuellen Vize-Europameister bei Welt- oder Europameisterschaften konnte die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes in den vergangenen 54 Jahren keine einzige gewinnen.
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