Renzis ruchlose Ränkespiele
14. Januar 2021Der Volkszorn in Italien über die jüngste Regierungskrise macht sich auf Twitter Luft. Unter dem Hashtag "RenziVergogna" ("Schande über Renzi") erntet Matteo Renzi Spott und Wut, weil er die Regierung Conte grundlos in die Krise stürzte. "Renzi ist die größte Schlange" heißt es da, er sei verantwortungslos, "seine Partei wird im Mülleimer der Geschichte verschwinden". Und mit der Aussage "Renzi ist eine klare, gegenwärtige Gefahr für Italien" wird auf das Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump angespielt.
Der frühere Sozialistenführer und Chef der Splitterpartei "Italia Viva" zog am Mittwoch seine zwei Ministerinnen aus der Regierung von Premier Giuseppe Conte zurück. Und Italien wundert sich jetzt über Renzis Beweggründe. "Man kann doch in diesen gefährlichen Zeiten keine Regierung stürzen", echauffiert sich etwa der Mailänder Blumenverkäufer Claudio. Auch Cafe-Besitzer Japobo ist desillusioniert: "Was Renzi den Medien sagt und was er in der Regierung macht, sind zwei verschiedene Dinge. Er ist wie alle italienischen Politiker." Und die Passantin Martia Antonita, die gerade ihren Hund ausführt, ist geradezu erbost: "Es ist in dieser Epidemie unverantwortlich", sagt sie: "Total unnötig, es gibt keinen guten Grund dafür".
Der "Abrissmann"
"Ich sehe keinen anderen politischen Grund (für die Krise) als den persönlichen Ehrgeiz von Matteo Renzi für ein Comeback", sagt Ex-Premier Enrico Letta im US-Sender CNBC. 2014 war Letta selbst sozialistischer Premierminister, heute leitet er die politikwissenschaftliche Fakultät am Institut Science Po in Paris. Er hatte Renzis Rücksichtslosigkeit am eigenen Leibe erlebt. "Enrico, bleib ruhig", hatte ihm sein Parteichef damals öffentlich geraten, um dann Letta im Handstreich aus dem Amt und sich selbst an die Macht zu putschen. Der Satz wurde in Italien zum Synomym für politischen Verrat.
Seitdem sabotierte Renzi seine anfangs erfolgversprechende politische Karriere vor allem selbst. Seine persönliche Beliebtheit ist im Keller, seine neue Partei liegt in den Umfragen nur bei rund drei Prozent. Seine Neigung, um sich herum alles zu zerstören, verschaffte ihm den Spitznamen "der Abrissmann". Es gebe allen Grund zur Beunruhigung, sagt Enrico Letta jetzt: "Wir sind in einer Art 'blinder Krise', weil es keine Idee für eine Lösung gibt". Die Krise in Italien sei auch schlecht für Europa, weil die EU auf der richtigen Spur war und Italien jetzt drohe, viele europäische Probleme wieder aufzureißen.
Neuwahlen im Schatten der Pandemie?
Schon vor der Pandemie habe Matteo Renzi eine Rückkehr ins Herz der italienischen Politik versucht, erinnert Enrico Letta. Jetzt sei man, mitten in der Pandemie, wieder am Punkt Null angekommen: "Wir müssen die Pandemie bremsen, wir brauchen eine effektive Impfkampagne - es gibt viele wichtige Probleme und deshalb finde ich, dass diese (Regierungs-)Krise wirklich unverantwortlich ist."
Welche Lösungen gibt es? Conte werde in den nächsten Tagen versuchen, mit ein paar unabhängigen Abgeordneten eine neue Regierung zu bilden. Das wäre dann das Kabinett Conte III und der Anlauf auf die 67. italienische Regierung nach Kriegsende. Wenn das nicht klappt, könnte Präsident Matarella versuchen, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden - dafür kursiert der Name des früheren EU-Zentralbankchefs Mario Draghi.
Sogar eine Beteiligung von Ex-Präsident Silvio Berlusconi sei denkbar, der dann Teil einer Regierung aus Sozialisten, Populisten und Konservativen würde. Selbst für italienische Verhältnisse wäre das ein interessantes politisches Farbenspiel.
Und schließlich blieben Neuwahlen. "Das wäre das schlechteste Szenario", sagt Enrico Letta,"denn Wahlen in Italien kann man nicht in zwei Wochen abhalten. Eine lange Periode der Instabilität wäre die Folge". Nicht nur aus diesem Grund hält der Politikwissenschaftler Luigi Scazzieri vom Londoner Thinktank "Centre for European Reform" (CER) das für ziemlich ausgeschlossen: "Keine der größeren Parteien will Neuwahlen. Sogar Matteo Salvini würde sich überlegen, ob er in der Pandemie an die Regierung will oder nicht vielleicht lieber bis 2023 auf die regulären Wahlen wartet."
Nur eine neue Folge im italienischen Polittheater
"Renzi hat ein Riesen-Ego", sagt Scazzieri der DW. Er nutze jede Gelegenheit, um sein Profil zu schärfen, und sei bereit, enorme Risiken einzugehen. "Er pokert, um Conte loszuwerden, denn der ist ziemlich populär und zu einer eigenen politischen Macht geworden."
Renzi habe in der Regierung fünftes Rad am Wagen gespielt und das sei ihm nicht mehr genug. "Viele halten ihn für völlig verantwortungslos, denn die Leute können dieses politische Spiel zu Zeiten der Pandemie nicht verdauen." Wenn man seine Pressekonferenz von Mittwochabend höre, dann zeige Renzi allerdings, dass er vielleicht auch mit einem weiteren Ministeramt in der Regierung zufrieden sein könnte. Er setze also alles aufs Spiel für einen relativ geringen politischen Nutzen.
"Sogar für Italiener ist dieses politische Theater schwer zu verstehen", räumt Arturio Varvelli vom "Council on Foreign Relations" in Rom ein. Aber Matteo Renzi habe durchaus Gründe, Conte anzugreifen: "Er hat recht, denn die Regierung hat den Wiederaufbaufonds schlecht organisiert und die Pandemie schlecht gemanagt. Es wurden eine Menge Fehler gemacht." Giuseppe Conte sei ein guter Politiker im typisch italienischen Stil: "Er tut nichts außer weiterzumachen."
Es gibt gute Gründe zur Kritik
Trotz berechtigter Kritik an der Regierung aber sei Renzis Ego Auslöser der Krise. Auch Varvelli hält verschiedene Optionen für möglich: Conte könnte seine Koalition neu aufstellen oder Renzi das Spiel gewinnen, und die jetzige Koalition werde mit einem anderen Premierminister weitergeführt. Denn dem Chef von "Viva Italia" gehe es vor allem darum, Conte loszuwerden. Eine Regierung der nationalen Einheit unter einem Technokraten-Premier halte er zwar persönlich für die beste, politisch aber für die unwahrscheinlichste Lösung, sagt Arturo Varvelli. "Die Situation ist auch für Europa schwierig, denn Conte hat eine Menge Glaubwürdigkeit, er war eine feste Größe in der EU." Noch aber habe er ein Chance, seinen Hals zu retten, glaubt der Politikexperte. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Premier die Risse wieder kitten könnte.
In der EU zeigt man sich bislang eher ungerührt: Man beobachte die Lage und hoffe, dass sie sich in ein paar Tagen geklärt habe, heißt es aus deutschen Diplomatenkreisen. Und ein hoher EU-Vertreter erklärt in Brüssel: "Das Leben in demokratischen Gesellschaften kann kompliziert sein, und in Italien mehr als anderswo." Er ziehe Trost daraus, dass es dort meist Lösungen für solche Probleme gebe. "Die Lage ist vielleicht weniger dramatisch, als sie nach außen erscheint."