Sancho, Borussia und die Börse
11. August 2020Gerade war sein Team ins Halbfinale der Europa League eingezogen, da wurde Ole Gunnar Solskjaer in der Pressekonferenz auf einmal äußerst schmallippig: "Ich kann mich nicht über Spieler anderer Mannschaften äußern, das wissen Sie, das mache ich nie", sagte der Trainer von Manchester United. Der Spieler nach dem er gefragt worden war, ist Jadon Sancho von Borussia Dortmund. Seit Wochen wirbt Manchester um den 20 Jahre alten englischen Nationalspieler, einem der gefährlichsten Angreifer der Bundesliga. Kolportierte Ablösesumme: 120 Millionen Euro.
Wenige Stunden zuvor hatte der BVB die Wechselspekulationen aus seiner Sicht jedoch beendet. Sportdirektor Michael Zorc sagte zum Auftakt des Trainingslagers in der Schweiz: "Wir planen mit Jadon. Er wird nächste Saison beim BVB spielen. Diese Entscheidung ist definitiv." Sie werde vom Spieler und dessen Agentur respektiert. Ein Kommentar, den der Verein extra noch einmal per Pressemitteilung verteilte. Darin lässt ein Detail aufhorchen: Schon vergangenen Sommer habe der BVB "den Vertrag mit Sancho um ein Jahr verlängert und das Gehalt an Jadons Leistungsentwicklung angepasst." Die Öffentlichkeit erfuhr davon allerdings nichts.
Heimlicher Deal regelkonform?
Dabei muss Borussia Dortmund als börsennotierter Klub besondere Regeln beachten. Verhandlungen oder Geschäftsvorgänge, die Einfluss auf den Kurs der BVB-Aktie haben, müssen per Ad-hoc-Mitteilung gemeldet werden, um Insidergeschäfte zu vermeiden. Zählt eine Vertragsverlängerung mit dem wertvollsten Spieler im Dortmunder Kader nicht dazu? "Vertragsverlängerungen mit Top-Spielern können den Kurs beeinflussen und eine Meldung auslösen", sagt Jasko Terzic, der als Analyst beim Bankhaus Lampe den Kurs der Dortmunder Aktie fortlaufend verfolgt, "aber es bleibt ein Graubereich, weil sich nicht immer ein fester Wert in der Bilanz niederschlägt."
Klarer ist die Sache bei einem anstehenden Verkauf eines Top-Spielers, allein die Verhandlungen sind schon mitteilungspflichtig - bei Christian Pulisic und Pierre Emerick Aubameyang machte der BVB sie in der Vergangenheit publik. "Sobald die Verantwortlichen davon ausgehen, dass die Chance auf einen erfolgreichen Abschluss über 50 Prozent liegt, ist eine Ad hoc-Mitteilung angezeigt", erklärt Dr. Tilman Weichert, Experte für Aktien- und Kapitalmarktrecht bei der Großkanzlei CMS Hasche Sigle, beschreibt jedoch gleichzeitig ein Hintertürchen: "Bei solch vertraulichen Verhandlungen kann der Vorstand einen Selbstbefreiungsbeschluss fällen. Das bedeutet, die Verhandlungen bleiben weiter geheim, wenn der Wechsel zustande kommt und veröffentlicht wird, muss aber die Finanzaufsicht Bafin über die Vorgänge informiert werden. Voraussetzung für einen solchen Aufschub der Veröffentlichung ist aber, dass die Verhandlungen tatsächlich geheim bleiben und nichts nach außen dringt."
Im Falle von Sancho lässt das zwei Interpretationen zu: Entweder die BVB-Bosse zogen sich hinter diese Vertraulichkeitsklausel zurück, oder sie glaubten nie ernsthaft an einen erfolgreichen Wechsel. Sportlich profitieren die Dortmunder vom Verbleib Sanchos, auch die BVB-Fans freuen sich. Analyst Terzic hat dagegen einen anderen Blickwinkel: "Aus finanzieller Perspektive wäre der Sancho-Transfer ein positives Signal", betont er. "Es wäre ein Anzeichen, das der Transfermarkt trotz der Corona-Turbulenzen stabil bleibt, außerdem könnte der BVB in diesen Krisenzeiten auf eine volle Kasse zurückgreifen."
Ende der Geschichte?
Laut BVB ist diese Option jedoch vom Tisch. Englische Medien sind sich dagegen sicher, dass das Werben von Manchester United um Sancho noch nicht beendet ist. "Das ist ein Bluff. Ich denke, er wird in Kürze ein ManUnited-Spieler. Es geht nur darum, mehr Geld rauszuholen. Sie wissen, dass er geht", sagte der ehemalige Bayern-Profi und heutige TV-Experte Owen Hargreaves beim Fernsehsender BT Sport. Gleiches berichtete auch der Sender ESPN mit Verweis auf nicht näher genannte Quellen. Die "Daily Mail" will dagegen erfahren haben, dass sich ManUnited nach Alternativen umsieht. Erster Kandidat: Ousmane Dembélé. Auch ihn kennt man in Dortmund. Er hatte sich seinen Wechsel zum FC Barcelona in Dortmund regelrecht erstreikt. Ein Verhalten, auf das Jadon Sancho bislang noch verzichtet hat.