Jagd auf Nordpol
29. Juni 2007Ein neuer Wettlauf um den Nordpol hat begonnen. Als "sensationell" bezeichneten russische Medien die Ergebnisse, mit denen ein Geologenteam aus St. Petersburg nach mehreren Wochen am vergangenen Montag (25.6.2007) aus dem ewigen Eis der Arktis zurückkehrte. Was hatten sie gefunden? Geologische Merkmale, die belegen sollen, dass das russische Festland direkt mit dem sogenannten Lomonosow-Rücken verbunden ist - einem Berggrat im arktischen Meer der sich von Ostsibirien direkt bis zum Nordpol erstreckt.
Öl-Bonanza am Pol
Am Nordpol könnte also bald die russische Fahne wehen. Denn die Ergebnisse, sollten sie bestätigt werden, machen die Region um den Nordpol zu einem Teil der russischen Kontinentalplatte. Nach der UN-Konvention zum Internationalen Seerecht, könnte dies Russland die Möglichkeit geben, das gesamte Dreieck zwischen Nordpol, Ostsibirien und dem östlichsten Teil des Landes an der Beringstraße wirtschaftlich zu nutzen. Unter dem Eis der Region - so groß wie Deutschland, Frankreich und Italien zusammen - schlummern schätzungsweise zehn Milliarden Tonnen an Öl- und Gasreserven. Normalerweise kann ein Land gemäß der Konvention lediglich einen 320 Kilometer breiten Meeresstreifen entlang seiner Küsten für die eigene wirtschaftliche Nutzung beanspruchen.
Aber selbst wenn die Forscher vom Russischen Institut für Meeresgeologie und Mineralogie Recht behalten sollten, sind territoriale Ansprüche damit noch lange nicht klar begründet, mahnen Kollegen. "Auf der anderen Seite des Nordpols geht der Lomonosow-Rücken nämlich weiter - bis nach Kanada und dem zu Dänemark gehörenden Grönland", sagt Sergey Priamikow vom Arktisch-Antarktischen Forschungsinstitut - ebenfalls in St. Petersburg. Kanadier und Dänen könnten also ganz ähnlich argumentieren. Und beide Länder planen oder unternehmen bereits eigene Expeditionen mit dem Ziel, den letztgültigen geologischen Nachweis zu erbringen.
Russland läuft die Zeit davon
Dafür haben Kanada und Dänemark noch rund sieben Jahre Zeit, weil sie die UN-Seerechtskonvention erst 2003 und 2004 ratifiziert haben. Denn nach der Ratifizierung können solche Forderungen vereinbarungsgemäß nur innerhalb von zehn Jahren angemeldet werden. Doch den Russen läuft die Zeit davon. Weil sie das Vertragswerk schon gegen Ende der 1990er Jahre ratifizierten, müssen sie sich die "erweiterte Kontinentalplatte" mitsamt den Rechten auf die wirtschaftliche Nutzung bis spätestens 2009 anerkennen lassen. Bereits 2001 hatte Russland einen ähnlichen Vorstoß unternommen. Das mit der Prüfung beauftragte UN-Panel registrierte den Claim zwar, entschied ihn aber nicht - weitere wissenschaftliche Nachweise waren nötig.
Selbst wenn sich die Arktis-Anrainerstaaten untereinander einigen sollten, ist das nicht das letzte Wort, sagt Hans Gießmann, Professor am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. "Auch andere Länder haben berechtigte Interessen", sagt Gießmann. Allen voran die USA, die durch Alaska ein direkter Arktis-Anrainer sind. Vor der UN einfordern können sie im Gegensatz zu den anderen Ländern jedoch nichts. Denn Washington hat die Seerechtskonvention bis heute nicht ratifiziert.
Erderwärmung hilft
Auch die Ölstaaten im Nahen Osten und Südamerika dürften wenig Interesse daran haben, dass Russen, Kanadier, Dänen oder Norweger am Nordpol ein großes Ölfass aufmachen. Wenn Russland Erfolg haben sollte, "ist dies ein Präzedenzfall mit weitreichenden Auswirkungen auf andere Länder", sagt Gießmann. Eine militärstrategische Nutzung des Nordpols durch die Anrainer scheint dagegen vorerst ausgeschlossen. Dafür sei die Gegend zu unwirtlich und zu schwer zu erreichen, so Gießmann.
Der neue Wettstreit um fossile Brennstoffe am Pol ist nicht ohne Ironie: Nicht nur die UN-Konvention drängt die Nachbarn im Norden, ihre Claims schnell abzustecken. Die Erderwärmung hat das ewige Eis mittlerweile um rund sechs Prozent abschmelzen lassen. In wenigen Jahrzehnten könnte die Eisschicht dünn genug sein, um Öl und Gas darunter großflächig zu erschließen.