"Jamaika": Die Zeit hat nicht gereicht
17. November 2017Die vier grauen Mikrofone im Jakob-Kaiser-Haus standen den ganzen Tag über bereit. Vier - für jede Partei eins. Irgendwann in den frühen Morgenstunden würden hier die Verhandlungsführer von CDU, CSU, FDP und Grünen erscheinen und das Ergebnis ihrer am 18. Oktober begonnenen Sondierungen verkünden. Das war der Zeitplan, den die potentiellen Partner einer Jamaika-Koalition in der vergangenen Woche aufgestellt hatten. Doch die seit dem Vormittag auf das Ende der Gespräche wartenden Journalisten müssen sich weiter gedulden. Und mit ihnen die Öffentlichkeit.
Kurz vor halb fünf morgens eilten die Presseleute nach draußen, denn die Politiker verließen den Altbau der benachbarten Parlamentarischen Gesellschaft durch eine andere Tür. Es dauerte dann noch ein paar Minuten bis das erste bekannte Gesicht zu sehen war: das von Winfried Kretschmann. Doch der Grünen-Ministerpräsident von Baden-Württemberg ignorierte die Medien-Meute und wollte wortlos verschwinden. Einige hefteten sich an seine Fersen, konnten ihm aber nur eine kurze Botschaft entlocken: "Wir verhandeln heute um 12 Uhr weiter."
FDP-Chef Christian Lindner gibt sich offen
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits herumgesprochen, dass die Sondierungsgespräche in die Verlängerung gehen würden. Wenig später postierte sich FDP-Chef Christian Lindner bereitwillig vor den TV-Kameras. Nur mit einem leichten Jackett bekleidet setzte er bei wenigen Grad über Null und leichtem Nieselregen zu einem ausführlichen Statement an: Man habe "intensive Gespräche" geführt und in vielen Bereichen Übereinstimmung festgestellt. Insbesondere würdige man, mit der Union gemeinsame Positionen in der Europa-Politik erreicht zu haben. "Allerdings gibt es noch unterschiedliche Auffassungen insbesondere in Fragen der Einwanderungs- und Finanzpolitik."
Die Trennlinie verläuft bei diesen Themen jedoch weniger zwischen Lindners Liberalen und Angela Merkels CDU als vielmehr zwischen Grünen und CSU. Größter Streitpunkt ist weiterhin die Frage, ob Angehörige von in Deutschland lebenden Flüchtlingen mit eingeschränkten Schutzstatus nachziehen dürfen. Die Grünen sind dafür, die CSU lehnt das kategorisch ab. Wegen der verhärteten Fronten will Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer ohne Zeitlimit weitersondieren. "Wir werden alles Menschenmögliche tun, um auszuloten, ob eine stabile Regierungsbildung möglich ist."
Cem Özdemir sagt "Schiedsrichter" und meint Angela Merkel
Wie lange die Gespräche noch dauern könnten, darüber wollte niemand spekulieren. "Ein solches historisches Projekt darf nicht an ein paar fehlenden Stunden scheitern", sagte der FDP-Vorsitzende Lindner. Die ursprünglich für diesen Freitag geplanten Sitzungen seiner Partei wurden kurzerhand abgesagt. Und trotz der stockenden Sondierungen will der 38-Jährige von einem möglichen Scheitern nichts wissen. "Wir haben wirklich den Optimismus, dass das gelingen kann." Eine Behauptung, die seinen Stellvertreter Wolfgang Kubicki überrascht haben dürfte. Der hatte kurz vorher gegenüber einigen Journalisten seinem Ärger Luft gemacht: "Mich frustriert das hier extrem."
Nachdem sich Lindner mit einem fröhlichen "Wir sehen uns wieder!" in die dunkle Nacht verabschiedet hatte, erschien CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Man glaube nach wie vor, "dass es sich lohnt, eine gute Lösung für das Land zu finden". Viel mehr war von ihm nicht zu hören. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir war kurz angebunden, sagte aber immerhin etwas mehr als sein Parteifreund Kretschmann. "Wir gehen in die Verlängerung", teilte er den Journalisten mit, die das schon längst wussten. Die Dauer hänge auch vom "Schiedsrichter" ab. Gemeint war die Bundeskanzlerin, die mit einem Jamaika-Bündnis ihre vierte Amtszeit seit 2005 anstrebt.
Der vorläufige Jamaika-Einigungstext ist schon geschrieben
Dass die meisten wortkarg blieben oder gar nichts sagen, fand Hessens Regierungschef Volker Bouffier (CDU) angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit völlig in Ordnung. "Das muss man einfach verstehen." Alle vier Parteien müssten die Gespräche jetzt erst einmal "nach innen kommunizieren" und nicht über die Medien. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass sich längst nicht alle daran halten.
Letztlich kann auch keine Rede davon sein, dass CDU, CSU, FDP und Grüne nach einem Monat Sondierungen mit leeren Händen dastünden. Schon am Vormittag kursierte im Regierungsviertel ein 61 Seiten dicker Text. Es handelte sich dabei um das Sondierungsergebnis, das allerdings mit zahlreichen in Klammern gesetzten alternativen Textstellen versehen ist. Die Passagen sind jedes Mal mit dem Namen einer der vier Parteien versehen.
Offenbar waren es zu viele Klammern. Denn jede einzelne ist gleichbedeutend mit Dissens. Unumstritten ist die Präambel des Papiers. Darin heißt es unter anderem: "Uns eint die Verantwortung für die Menschen und die Zukunft unseres Landes."