Jamala: "Keine Politik"
24. Februar 2016DW: Mit ihrem Lied "1944" werden Sie am 14. Mai für die Ukraine beim Eurovision Song Contest in Stockholm auf der Bühne stehen. Darin geht es um die Zwangsumsiedlung der Krimtataren nach Zentralasien in der Sowjetunion unter Stalin. Warum haben Sie sich für dieses Lied entschieden?
Jamala: Ich habe vor kurzem ein neues Album herausgebracht, das heiß "Atem". Und ich wollte, dass auch das Lied "1944" darauf ist. Doch es hat irgendwie nicht dazu gepasst. Als ich erfahren habe, dass in der Ukraine Lieder für den ESC gesucht werden, dachte ich: Die Zeit für dieses Lied ist wohl gekommen. Ich wusste, worauf ich mich einlasse, wenn ich in meinem Lied so offen über meine Familie und diese Tragödie erzähle. Aber ich dachte nicht, dass daraus eine große Geschichte gemacht wird. Ich war ein bisschen skeptisch, als ich an dem ukrainischen Auswahlwettbewerb teilgenommen habe, denn ich hatte es bereits früher einmal (2011) versucht. Alles schien zunächst gut, aber damals gab es eine andere Entscheidung. Und doch wollte ich diesmal diese Geschichte erzählen.
Wie haben Sie über die Zwangsumsiedlung der Krimtataren erfahren?
Diese Geschichte hat mir zunächst meine Urgroßmutter erzählt, dann meine Großmutter, mein Großvater und Vater. Als Kind machten mich solche traurigen Geschichten nervös. Mit dem Alter habe ich verstanden, worum es geht, habe selbst gespürt, wie Menschen nach ihrer Herkunft beurteilt werden. Ich habe entschieden, ein Lied darüber zu schreiben, weil es ein großes, wichtiges und delikates Thema ist. Deshalb habe ich im Text die Wahrheit erzählt, die Geschichte meiner Urgroßmutter. Ich habe das Lied "1944" genannt, denn in diesem Jahr fing alles an: Das Leben meiner Verwandten nahm eine dramatische Wende - aber auch mein Leben, das Leben aller Krimtataren. Seitdem gibt es unendliche Lügengeschichten (über die angebliche Kollaboration der Krimtataren mit den Nazis – Anmerkung der Redaktion). Dabei starben mein Großvater Jamadin - sowie alle Männer großmütterlicherseits - im Zweiten Weltkrieg. Doch diese Lüge verfolgt die Krimtartaren bis heute.
Wenn man Sie einladen würde, auf der Krim aufzutreten, würden Sie das tun?
Das ist momentan leider unmöglich. Ich würde sehr gerne meinen Opa sehen, der ist jetzt 87. Ich habe sogar meinen Vater gebeten, ihm nichts zu erzählen, sonst würde Opa nämlich weinen und sich Sorgen machen. Das tut weh. Ich mache mir Sorgen um meine Verwandtschaft. Ich würde gern auf die Krim fahren, sehe dafür aber jetzt keine Möglichkeit.
In der russischen Staatsduma hält man Ihr Lied für politisch und fordert von den ESC-Veranstaltern, den Text sorgfältig zu prüfen.
Das ist einfach lächerlich, denn es gibt in diesem Lied keine Politik. Wenn man im Text etwas Konkretes finden würde, Drohungen oder Forderungen, dann kann ich ihn ändern. Aber ich bin mir sicher, dass es dort so etwas nicht gibt. Ich sage das ganz ruhig, weil ich es weiß: Es ist alles korrekt geschrieben und man muss nichts ändern.
Womit wollen Sie die Zuschauer beim ESC überraschen?
Ich möchte sehr, dass mein Auftritt Europa gefällt. Ich denke schon über das Kleid nach, es wird ein anderes Kleid sein als beim ukrainischen Wettbewerb. Es wird eine einmalige Show sein. Bei uns denkt man, eine Show seien helle Lichter und glitzernde Kugeln. Aber das würde zu meinem Lied nicht passen.
Jamala (bürgerlich: Susana Jamaladinowa) ist eine ukrainische Sängerin und Krimtatarin. Sie wird die Ukraine beim Eurovision Song Contest 2016 in Stockholm vertreten.
Das Interview führte Xenia Safronova.