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Janukowitsch könnte Protestwelle aussitzen

Roman Goncharenko2. Dezember 2013

Die Opposition in der Ukraine will den Rücktritt des Präsidenten Viktor Janukowitsch und Neuwahlen erzwingen. Hunderttausende gehen in Kiew auf die Straße. Doch der Staatschef spielt offenbar auf Zeit.

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Deminstranten in Kiew (Foto: Reuters)
Friedlicher Protest in der Kiewer Innenstadt am 1. DezemberBild: Reuters

Viktor Janukowitsch wartete ab. Erst am Montagabend (02.12.2013), und damit fast zwei Tage nach der Eskalation der Proteste in Kiew, meldete sich der ukrainische Präsident zu Wort. In einem Interview für das ukrainische Fernsehen rief er sowohl die Polizei als auch die Demonstranten dazu auf, sich an Gesetze zu halten: "Es ist sehr wichtig, dass Aktionen friedlich verlaufen."

Am Vortag waren rund eine halbe Million Menschen auf die Straßen in Kiew gegangen, um gegen Janukowitsch zu demonstrieren. Sie waren zum einen empört über den brutalen Einsatz der Polizei in der Nacht auf Samstag (30.11.2013). Sondereinheiten des Innenministeriums waren gegen einige hundert junge Demonstranten auf dem Platz der Unabhängigkeit vorgegangen. Zum anderen protestierten die Menschen gegen die Entscheidung der Regierung, das ausgehandelte Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union auszusetzen. Es kam wiederum zu Gewalt, als einige Randalierer versuchten, das Präsidialamt zu stürmen.

Janukowitsch versteht es zu taktieren

Beobachter halten das zweitägige Schweigen von Janukowitsch für ein Zeichen der Unentschlossenheit. "Es scheint mir, er hat seine Verhaltenslinie noch nicht festgelegt", sagt Serhij Rachmanin, Ressortleiter Politik bei der renommierten Kiewer Wochenzeitung "Dserkalo Tyschnja" im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Es gibt eine Pattsituation. Beide Seiten - Regierung und Demonstranten - sind zu weit gegangen".

Der Ukraine-Experte Gerhard Simon von der Kölner Universität hält das Verhalten von Janukowitsch hingegen für reine Taktik. Er sei "ein Mann, der versteht abzuwarten", so Simon gegenüber der DW. "Das Schweigen ist nicht unklug", meint der Politologe. "Was immer er tut, wird gegen ihn gewendet werden."

Janukowitsch auf einer Pressekonferenz (Foto: Reuters)
Janukowitsch denkt nicht an RücktrittBild: REUTERS/Andriy Mosienko/Presidential Press Service

Der 63-jährige Janukowitsch ist seit rund vier Jahren Präsident der Ukraine. Noch nie seit seinem Amtsantritt 2010 hat es so massenhafte Proteste gegen ihn gegeben wie am vergangenen Wochenende. Am Sonntag schien es, als würde seine Machtbasis bröckeln. Einige prominente Vertreter der regierenden Partei der Regionen verkündeten ihren Austritt aus der Parlamentsfraktion. Ein Misstrauensvotum der Oppositionspartei gegen die Regierung am Dienstag (03.12.2013) scheiterte dennoch deutlich. Nur 186 Abgeordnete stimmten für den Antrag, notwendig wären 226 Stimmen gewesen. Die Fraktion der regierenden "Partei der Regionen" hatte sich bei der Abstimmung enthalten.

"Ich würde nicht sagen, dass die Regierungsmehrheit demnächst zerfällt", meint der Kiewer Journalist Rachmanin. Auch an der Popularität von Janukowitsch in seinen Hochburgen im Osten und Süden der Ukraine dürfte sich nach den jüngsten Ereignissen wenig ändern, glaubt der Beobachter. Umfragen dazu gibt es noch nicht.

Werden sich die Proteste im Schnee verlaufen?

Rachmanin glaubt, dass Janukowitsch eine relativ große Chance habe, trotz der Proteste an der Macht zu bleiben. Die nächste Präsidentenwahl sei erst 2015 und die Opposition habe "keinen klaren Plan" für einen Machtwechsel, so seine Analyse. Außerdem hätten Zusammenstöße randalierender Protestler mit der Polizei einen Teil der Bevölkerung "zumindest nachdenklich" gemacht. Vor diesem Hintergrund wolle Janukowitsch die Krise aussitzen.

Eine weitere Eskalation der Gewalt seitens der Polizei sei im Moment durchaus möglich, doch die Reaktion des Westens könnte Janukowitsch davon abhalten, meint Rachmanin. "Ich glaube, er will sich eine Tür nach Europa offen halten", sagt der Journalist - schon allein, um Russlands Druck etwas entgegensetzen zu können.

Zusammenstöße am 1. Dezember 2013 (Foto: Reuters)
Gewaltsame Proteste könnten manche Demonstranten abschreckenBild: Reuters

Der Ukraine-Experte Simon glaubt, dass Janukowitsch nicht zurücktreten werde. Sollte jedoch die Opposition das Land wie angekündigt mit einem Generalstreik lahmlegen, sei "vieles möglich, was wir uns heute nicht vorstellen können", sagt Simon. Zunächst werde der Präsident wohl versuchen, den Demonstranten "Entgegenkommen zu signalisieren und einige Bauernopfer" bringen, so die Prognose des Experten. Das Kalkül: Es sei Winter und die Proteste würden "sich im Schnee verlaufen".

Janukowitsch auf Kutschmas Spuren

Sollte die Aussitz-Taktik erfolgreich sein, wäre Janukowitsch nicht der erste ukrainische Präsident, dem das politische Überleben unter Druck gelingt. Im Winter 2001 wurde Leonid Kutschma vorgeworfen, den Mord an einem kritischen Journalisten beauftragt zu haben. Tausende protestierten und forderten den Rücktritt des Präsidenten. Es kam zu brutalen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei in Kiew. Die Gesellschaft war erschrocken und die Protestbewegung verlor an Unterstützung. Kutschma blieb Präsident bis Anfang 2005.