Japaner, Deutsche und die Zukunft der Industrie
19. Oktober 2016Die Provinz Iga ist ein Postkartenidyll. Hohe bewaldete Berge, Häuser mit traditionell geschwungenen japanischen Dächern. Bergkiefern erstrecken sich majestätisch. Doch so traditionell es hier auch aussieht, so modern und fast schon revolutionär wird hier, etwa anderthalb Stunden Autofahrt von der Millionenstadt Nagoya entfernt, gearbeitet.
Das japanische Unternehmen DMG Mori hat seinen Sitz mitten in der wunderschönen Umgebung und baut Werkzeugmaschinen. Das allein wäre noch nicht spannend. Doch die Japaner arbeiten an der Zukunft und die heißt "Industrie 4.0".
Maschinen entscheiden selber
Im großen Forschungs- und Entwicklungszentrum sitzen junge Ingenieure, die an japanischen Eliteuniversitäten ausgebildet wurden. Sie entwerfen Maschinen, die miteinander kommunizieren. Maschinen, die selbst entscheiden, was zu tun ist. Im riesigen, 3500 Quadratmeter großen, Ausstellungsraum stehen diese Maschinen, die ständig weiter entwickelt werden. Alles glänzt. Schnelle Roboterarme legen präzise die Werkzeugteile zur Bearbeitung in die Maschinen.
"Ehe" auf Augenhöhe
"Das Geschäft läuft gut", erzählt Takashi Okuda, verantwortlicher Manager für das Projektmanagement bei DMG Mori. "Die Kunden wollen mehr Automatisierung und bessere Auslastung der Maschinen. Weltweit!", betont er. Schon bald soll beispielsweise die japanische mit einer russischen Werkzeugmaschine kommunizieren und, wenn diese nicht ausgelastet ist, gewissermaßen die Arbeit delegieren.
Das sind keine Zukunftsvisionen, sondern handfeste Entwicklungen. Und wohl auch deshalb hat im Frühjahr Masahiko Mori, Präsident von Mori Seiki, seinen Mehrheitsanteil am deutschen Werkzeugmaschinenbauer DMG Mori auf 75 Prozent aufgestockt. Die Bielefelder waren einst unter dem Namen Gildemeister einer der bekanntesten deutschen Werkzeugmaschinenbauer. Im Hauptquartier von DMG Mori in der Provinz Iga sind regelmäßig deutsche Ingenieure und Manager zu Besuch. Umgekehrt kommen die Japaner häufig nach Bielefeld. Eine "Ehe" auf Augenhöhe soll es sein. Auch wenn der japanische Mehrheitsaktionär das Sagen hat.
Globalisierung der japanischen Wirtschaft
Der agile Mittfünziger Masahiko Mori kann sich für die High-Tech-Maschinen begeistern wie kaum ein anderer. Kein Detail ist ihm fremd. Ihm war klar, dass er sein Unternehmen international aufstellen muss. " Wenn wir nur ein gewöhnliches japanisches Unternehmen wären, könnten wir nicht überleben", sagt er im Interview mit der DW.
Von der "Globalisierung der japanischen Industrie" spricht Marcus Schürmann, Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan (AHK Japan). Größere japanische Mittelständler und multinationale Unternehmen investierten massiv in Wachstumsregionen, allen voran in Südostasien. Dadurch würden sich auch für deutsche Unternehmen neue Geschäftschancen ergeben. Denn die Zeiten, da japanische Unternehmen ausschließlich bei japanischen Zulieferern einkauften, seien endgültig vorbei. Auch deshalb sei das Interesse der deutschen Wirtschaft an Japan gestiegen.
Plötzlich wird zusammengearbeitet
"Japan investiert teilweise mehr im Ausland als China oder Korea", erzählt Schürmann und schaut aus seinem Büro auf die Skyline von Tokio. Große Chancen sieht Schürmann, der bereits seit 1989 in Japan lebt, durch "Industrie 4.0". In der intelligenten Fabrik soll sich die Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik vernetzen. Bereits im April dieses Jahres unterzeichneten Deutsche und Japaner auf Ministeriumsebene eine Absichtserklärung. Dieses sieht die Zusammenarbeit in vielen Kernbereichen von Industrie 4.0 vor. Der Konkurrenz soll der Kooperation weichen - zumindest teilweise.
Mensch oder Maschine
In der Provinz Iga ist die Zukunft schon Realität. Riesige Bildschirme zeigen an, welche Maschine, egal ob in Deutschland oder Japan, gerade weniger ausgelastet ist und was sie noch leisten könnte. Leise kontrollieren die Maschinenführer die nächsten Schritte. Eigentlich sind sie kaum noch nötig. Die Maschine macht ja alles selbst.
Doch in einer Ecke der Fertigung feilen geschickte Hände komplizierte Werkstücke. Auch für diese hochspezialisierte Tätigkeit könne man schon Maschinen einsetzen, erklären Mitarbeiter von DMG Mori. Die Menschen würden aber deutlich bessere Ergebnisse bei der Arbeit liefern als die Maschinen. Noch.