Japans Traum vom Friedensvertrag
4. Mai 2016Die Begegnung zwischen Abe und Putin im russischen Sotschi am Schwarzen Meer am 6. Mai ist pikant, weil sie gegen den erklärten Wunsch von US-Präsident Barack Obama stattfindet. Eigentlich orientiert sich Japans Außenpolitik traditionell an den Interessen seines Sicherheitspartners USA. Aber für Abe ist der Abschluss eines formalen Friedensvertrages mit Russland und die Beilegung des 70 Jahre alten Territorialstreits so wichtig, dass er sich über die Bedenken der USA hinwegsetzte.
Anfang Februar soll Obama japanischen Medienberichten zufolge Abe telefonisch gebeten haben, seine Pläne für einen Russlandbesuch aufzugeben. Wegen der russischen Verwicklung in der Ukraine und Syrien wollen die USA jede Stärkung von Putin vermeiden. Doch Abe gab nicht nach. Zuerst schickte er Ende Februar den Generalsekretär des Sicherheitsrats, Shotaro Yachi, auf eine Werbetour nach Washington. Dann betonten die G7-Außenminister bei ihrem Treffen in Hiroshima im April die Bedeutung des Dialogs mit Russland. So sicherte Abe seine Begegnung mit Putin ab.
Gegenbesuch bis Jahresende
Die russische Nachrichtenagentur TASS spricht von einem "offiziellen Besuch" von Abe in Russland, die Japaner benutzen diesen Begriff des diplomatischen Protokolls jedoch nicht. Nach russischen Angaben geht es bei dem Gipfeltreffen um die "Weiterentwicklung der bilateralen Zusammenarbeit in Handel, Wirtschaft und auf dem humanitären Feld" sowie einen "tiefen Meinungsaustausch zu internationalen Fragen". Die japanische Seite erhofft sich jedoch materielle Fortschritte im Inselstreit, was einen Gegenbesuch von Putin in Japan vor Jahresende ermöglichen würde.
Allerdings deutet die Ausgangslage für das Gespräch auf keinen Durchbruch hin, weil die Positionen weit auseinanderliegen. Daran hat auch das Außenministertreffen von Sergej Lawrow und Fumio Kishida im April in Tokio nichts geändert. Russland will alle vier Inseln behalten und kann sich einen Friedensvertrag mit Japan auch vorstellen, ohne die Kurilenfrage zu lösen. Dagegen drängt Japan auf die Rückgabe aller vier "nördlichen Territorien" und will keinen Friedensvertrag ohne Einigung bei den Inseln. Beide Politiker verstehen sich als Nationalisten und haben bei einem Kompromiss ihren Ruf zu verlieren.
Komplizierter Streit um Kurilen-Inseln
Russland hatte die vier südlichen Inseln der Kurilen-Kette zwischen Hokkaido (Japan) und Kamtschatka (Russland) am Kriegsende 1945 annektiert. In der sowjetisch-japanischen Deklaration von 1956 verständigten sich beide Länder darauf, dass die Sowjetunion die japanischen Interessen berücksichtigt und Japan die Inseln Chabomai (auf Japanisch: Habomai) und Schikotan (Shikotan) nach einem Friedensvertrag überlassen könnte. Doch die Japaner verlangen auch die Anerkennung ihrer Souveränität über zwei weitere Inseln Kunashir (Kunashiri) und Iturup (Etorofu).
Der letzte Kompromissversuch scheiterte Ende der neunziger Jahre. Der japanische Premier Ryutaro Hashimoto und der russische Präsident Boris Jelzin kamen sich bei zwei inoffiziellen Treffen näher. Im November 1997 verständigten sich beide auf eine Lösung bis zum Jahr 2000. Im April 1998 schlug Hashimoto vor, die Grenzlinie nördlich der vier Inseln zu ziehen, sie aber vorläufig unter russische Verwaltung zu lassen. Jelzin stimmte angeblich zu, schied jedoch Ende 1999 aus dem Amt und wurde von Putin abgelöst. 2001 soll Putin laut Russlands Ex-Botschafter in Japan, Alexander Panow, die Deklaration von 1956 bekräftigt haben.
Zweiter Anlauf in 20 Jahren
Der neue Anlauf zu einer Einigung begann mit fünf Treffen von Abe und Putin ab März 2013, bei denen sich die Regierungschefs anfreundeten. Die Annäherung wurde durch die russische Annexion der Krim und die japanische Beteiligung an Sanktionen gegen Russland jäh gestoppt. Abe und Putin konnten sich jedoch im September bei der UN-Vollversammlung in New York und im November beim G20-Gipfel in Antalya (Türkei) wiedersehen. Das Treffen in Sotschi will Abe nutzen, um die Kompromissbereitschaft von Putin auszuloten. Der russische Präsident hatte den Inselstreit mit einem Unentschieden im Judo verglichen. Putin selbst ist ein begeisterter Judosportler und trägt den Schwarzen Gürtel.
Zusätzlich kompliziert wird das Streitthema durch die Anstrengungen von Abe, Japan zwecks Eindämmung von China näher an seinen Sicherheitspartner USA und an Europa zu rücken. Diesem Zweck diente auch seine Reise in dieser Woche, bei der er Italien, Frankreich, Belgien, Deutschland und Großbritannien besuchte. Japan soll nach Abes Vorstellung der Schlüsselstaat zur Verteidigung der Freiheit in Asien werden. Damit bewegt sich Japan jedoch genau in das Lager hinein, von dem sich Russland nach eigenen Angaben eingeengt und bedroht fühlt.
Nach unbestätigten Informationen der japanischen Zeitung "Yomiuri Shimbun" hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Japan-Besuch im März 2015 Abe die Mitgliedschaft von Japan in der NATO angeboten. Davon könne sie den britischen Premier David Cameron und den französischen Präsidenten Francois Hollande überzeugen. "Vielleicht in der Zukunft", soll Abe gesagt und hinzufügt haben: "Würde Japan der NATO beitreten, wären die Verhandlungen mit Russland zu Ende." Schon die vage Aussicht einer NATO-Mitgliedschaft Japans wäre wohl ein zusätzliches Hindernis für den Friedensvertrag zwischen Moskau und Tokio.