Japans verschleppte Krise
20. Februar 2016Das japanische Bruttoinlandsprodukt fiel von Oktober bis Dezember 2015 auf das Jahr hochgerechnet um 1,4 Prozent, wie die Regierung in Tokyo am Montag (15.02.2016) mitteilte. Die Zahlen waren damit etwas schlechter als befürchtet. Experten hatten mit einem Minus von 1,2 Prozent gerechnet. Hanns Günther Hilpert, Japanfachmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, sagt dazu im Gespräch mit der Deutschen Welle."Das dürfte die Menschen in Japan in ihrer Haltung bestätigt haben: Es wird einfach nicht besser."
Fragt man die Japaner selbst nach der wirtschaftlichen Zukunft ihres Landes, dann herrscht in weiten Teilen der Gesellschaft Resignation. Ab Ende der 1980er Jahre war in Japan eine gewaltige Immobilien- und Aktienblase entstanden, die durch eine Niedrigzinspolitik der Regierung in Tokio noch befeuert wurde. Als die Blase platzte, waren viele Haushalte enorm verschuldet. Auch Japans Banken wurden vom Abwärtssog erfasst. Hilpert resümiert: "Von dieser Krise hat sich Japan nie so richtig erholt."
Gegenmaßnahmen der Regierung
Seit der Krise ist der Binnenkonsum niedrig. Darum gehe es im Kern, so Hilpert: "Das Hauptproblem ist die mangelnde private Nachfrage." Die große Depression blieb allerdings aus, weil der Staat die wegfallende Nachfrage im eigenen Land mit Konjunkturprogrammen kompensierte.
Weitere Erschütterungen wie die Asienkrise 1997 oder die Weltfinanzkrise 2007 setzten der japanischen Wirtschaft weiter zu. Das Rezept war immer das gleiche: Mehr fiskalpolitische Maßnahmen des Staates. Das hat die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben. Sie lag 2015 bei astronomischen 245 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
2012 kam der jetzige Premierminister Shinzo Abe an die Macht. Seine Liberaldemokratische Partei beschloss 2013 umfassende Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft, die unter dem Schlagwort "Abenomics" weltweit bekannt wurden. Die Abenomics besitzen drei Stoßrichtungen: Eine geldpolitische, eine fiskalische und eine strukturelle. Seit 2013 erhöht die japanische Zentralbank massiv das Geldvolumen. Die von ihr erhoffte Steigerung der Inflationsrate, die zu mehr Konsum animieren soll, blieb allerdings bis heute aus. Fiskalpolitisch wurden Konjunkturprogramme aufgelegt, doch wegen der ohnehin hohen Staatsverschuldung mussten diese bald wieder zurückgefahren werden. Klaus-Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel urteilt: "Die Fiskalpolitik war nur eine temporäre Spritze."
Strukturreformen bleiben aus
Die dritte Säule der Abenomics setzt auf Strukturreformen. Diese allerdings kommen kaum voran. Darin sind sich die Experten Hilpert und Gern einig. Das lässt sich exemplarisch am Arbeitsmarkt zeigen: Japan hat offiziell einen deregulierten Arbeitsmarkt, tatsächlich aber trifft das nur teilweise zu. Auf der einen Seite gibt es gut bezahlte, feste Arbeitsplätze bei Großunternehmen, auf der anderen Seite prekäre Arbeitsverhältnisse vor allem in der klein- und mittelständischen Wirtschaft. Die Zahl der Menschen in unsicheren, schlecht bezahlten Jobs ist seit den 90er stetig gestiegen, insbesondere unter jungen Menschen. Das hat zur Folge, dass ein wachsender Teil der Gesellschaft mit Sorgen in die Zukunft blickt, was wiederum ihre Konsumbereitschaft hemmt. "Es müssten Reformen im Arbeitsmarkt durchgeführt werden, und zwar gegen den Willen der Großunternehmen und der Wirtschaft", sagt Hilpert und ist überzeugt: "Das würde die Konsumquote stabilisieren."
Allerdings ist genau das ausgeblieben, wie auch Gern vom Kieler Institut für Weltwirtschaft feststellt: "Bei der Strukturreform hat die Regierung es nicht geschafft, den Knoten zu durchschlagen." Sie scheitert am Widerstand aus der Wirtschaft, in der es traditionell stark geschützte Bereiche, etwa in der Landwirtschaft, aber auch bei Arbeitsverträgen in Großkonzernen gibt.
Gern sieht keine Anzeichen für Besserung: "Eine Änderung dieses Zustands ist nicht absehbar. In der Opposition gibt es keine starke Bewegung, die eine Alternative aufzeigen würde. Abe ist trotz allem sehr beliebt." Damit ist für Gern klar: "Das Potentialwachstum der japanischen Wirtschaft dürfte sich auf absehbare Zeit kaum über null bewegen."
Die Zeit läuft ab
Die beiden fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen der Abenomics haben der Regierung zwar Zeit verschafft, reichen aber nicht aus. Hilpert sagt: "Japan hat versucht, die Probleme mit Geld- und Fiskalpolitik zu übertünchen. Die schmerzhaften, aber doch notwendigen Reformen sind aber unausweichlich."
Die hohe Staatsverschuldung nimmt der japanischen Regierung immer mehr Spielraum. Sie ist nicht ganz so dramatisch wie etwa im Falle Griechenland, da es sich um eine Staatsverschuldung in Yen im Inland handelt. Die Zinsen für Staatsanleihen sind deswegen noch nicht in die Höhe geschnellt. Aber: "Es ist möglich, dass es zu einer Staatsschuldenkrise kommt, wenn die Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik leidet", sagt Hilpert. Dann könnten Japan die über viele Jahre angesammelten und ungelösten Probleme mit ganzer Wucht treffen.
Gefahr Abwertungswettlauf
Die gesamte Entwicklung birgt auch Risiken für den Rest der Welt. Japan ist nach wie vor die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Hilpert sagt: "Die Abenomics sind ja im Wesentlichen ein Abwertungsprojekt gewesen." Die Regierung hat den Yen geschwächt, um sich Vorteile auf dem Weltmarkt zu verschaffen und seine Leistungsbilanz zu aktivieren. Im Grunde ist das eine Strategie, um sich auf Kosten anderer Staaten zu sanieren. Doch bisher hat es Japan kaum etwas gebracht, denn zuletzt haben auch der Euro und der chinesische Yuan an Wert verloren. Im schlimmsten Fall könnte es zu einem verschärften Abwertungswettlauf kommen, ausgelöst durch Japan. "Wenn es einen Kontrollverlust gibt oder wenn die Verantwortlichen in Japan keine Lösung mehr sehen." Damit würde die ohnehin große Geldmenge weiter erhöht, was eine Korrektur, wie es sie in der Finanzkrise 2007 schon einmal gegeben hat, zur Folge haben könnte.