Japans Walfänger suchen Kundschaft
16. Juli 2019"Bei uns an der Schule wurde eigentlich gar nicht drüber gesprochen", sagt Chika Tsuda, 36-jährige Lehrerin aus Osaka, Japans zweitgrößter Metropole. Am Telefon erklärt sie: "Dass in allen Schulen Wal gegessen wird, ist schon seit Jahrzehnten Geschichte. Das Fleisch ist überhaupt eher ein Geheimtipp geworden." Auch nun, wo die Rückkehr des Walfleischs in die Geschäfte bevorstehen soll, scheint sich daran zunächst wenig zu ändern. "Außer ein paar wenigen Schulen weiß ich von keinen Kantinen, die wieder Wal in ihr Programm aufnehmen wollen." Den Schülern würde es wohl ohnehin nicht schmecken.
Trotzdem: Nach mehr als drei Jahrzehnten des Verbots kommt bald erstmals wieder kommerziell gefangenes Walfleisch in den Handel. Neben Supermärkten, Nahrungsmittelproduzenten und Restaurants soll es möglichst auch wieder an Schulen gelangen. Dort stand Walfleisch schließlich früher täglich auf dem Speiseplan.
"Wir müssen die Leute wieder auf den Geschmack bringen"
Endlich wieder gewerblich in See stechen zu dürfen, darauf haben Japans Walfänger und Regierungsvertreter lange gewartet. Ende vergangenen Jahres trat das ostasiatische Land aus der Internationalen Walfangkommission (IWC) aus, nachdem dort die Mehrheit der Staaten gegen Japans Antrag gestimmt hatte, das seit 1986 geltende Fangmoratorium zu beenden.
In der japanischen Hauptstadt laufen seitdem die Telefone heiß. Konomu Kubo, der für das Walfangunternehmen Kyodo Senpaku arbeitet und zugleich als Branchensprecher fungiert, führt täglich Gespräche mit potenziellen Abnehmern, die Walerzeugnisse kaufen könnten. Es geht um das Öl des Tieres, auch die Knochen, vor allem aber das Fleisch. In einem Besprechungszimmer im Tokioter Hafenviertel, dessen Wände mit Gemälden von Ozeanen voller Wale geschmückt sind, hält der ältere Herr zwei Konservendosen in der Hand. "Das ist gehacktes Walfleisch. Es schmeckt wirklich sehr gut."
Kubo glaubt, dass für ihn gute Zeiten bevorstehen könnten, auch wenn das seine Zeit brauche. "Wir waren ja drei Jahrzehnte aus dem Geschäft." Einige Jahre werde es wohl brauchen, bis man die besten Fangtechniken und Marketingstrategien gefunden habe. Am Ende aber sollen die Preise fallen und die Qualität steigen. "Wal ist etwas Exquisites. Das müssen wir den Leuten nur verständlich machen."
Billige Proteinquelle …
Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Armut weit verbreitet war, diente Wal als billige Proteinquelle in Schulen und Restaurants. In den 1960er Jahren erreichte der Verzehr mit rund 200.000 Tonnen pro Jahr seinen Höchstwert, damals machte Wal sogar knapp die Hälfte des gesamten Fleischkonsums im Land aus. Heute werden in Japan noch pro Jahr noch rund 5.000 Tonnen Wal verzehrt. Die meisten jungen Japaner von heute haben Walfleisch noch nicht einmal probiert. Sie verbinden es mit den Zeiten der Armut, die ihre Eltern oder Großeltern noch erleben mussten und von denen sie verschont geblieben sind.
… und Delikatesse
Sieben Kilometer weiter nördlich vom Hafenviertel, im "Hogeisan", einem der bekanntesten Walrestaurants von Tokios Altstadt Asakusa, drängeln sich die Gäste. Der kleine Laden wird seit Jahrzehnten gut besucht, die Wände sind vollgekritzelt mit Botschaften von Besuchern, die mit Lobeshymnen das Essen des Hauses beschreiben. "Saiko", steht da, also "das Beste", oder "oishii", "köstlich". Auf der Karte wird Wal in rohen Scheibchen als "Sashimi" angeboten, in frittierten Stückchen als "Karaage", als Eintopf mit Gemüse oder in diversen weiteren Zubereitungsformen.
Allerdings fällt auch auf: die zufriedenen Besucher hier sind vor allem höheren Alters. Seit einem halben Jahrhundert führt Michio Kono das Hogeisan. Die Kundschaft, das weiß er selbst, ist über die Jahre mit dem Restaurant gealtert. Dass sich junge Menschen kaum für das Fleisch interessieren, sei aber vor allem dem jahrzehntelangen Walfangmoratorium geschuldet, meint Kono. "Es ist eine Frage der Werbung!"
Ende des "wissenschaftlichen" Walfangs
Dabei war das Fleisch in Japan immer erhältlich, trotz Moratorium. Als das Land in den 1980er Jahren der IWC beitrat, wurde nämlich auch beschlossen, dass man zum Schutz des kulturellen Erbes ein wissenschaftliches Programm zur Erforschung der Wale aufnehmen sollte. So stachen weiterhin jedes Jahr Schiffe ins Meer, die offiziell Wissenschaft betrieben, zugleich aber mit Fängen an die Küste zurückkehrten, deren Fleisch, wenn auch zu erhöhten Preisen, auf den Tellern von Restaurants landete. Doch als im Jahr 2014 der Internationale Gerichtshof in Den Haag diese Praxis für illegal erklärte, hatte es die japanische Regierung plötzlich besonders eilig, das Walfangmoratorium entweder aufzuheben oder aus der Organisation auszusteigen. Letztes ist nun eingetreten.
Jetzt, da der Walfang auch offiziell keine Forschung mehr ist, sondern ein Geschäft, muss sich die Branche darauf einstellen, bald ohne staatliche Zuschüsse zu überleben. Die Subventionen galten nämlich offiziell immer nur wissenschaftlichen Zwecken, werden daher auslaufen. Doch können die noch verbleibenden Fangbetriebe wirklich überleben, wenn sie ein Produkt am freien Markt anbieten müssen, dem die Menschen immer weniger Interesse entgegenbringen?
"Gute Marketingstrategie gefordert"
Konomu Kubo und seine Kollegen im Hafenviertel stellen sich diese Frage seit Ende letzten Jahres, als Japan der IWC den Rücken kehrte. "Wir haben zum Glück erstmal noch drei Jahre Zeit. Solange wird uns der Staat noch weiterhin unterstützten", sagt er und blickt zu den Konservendosen mit Walhack, die er auf dem Tisch vor sich drapiert hat. "Wir brauchen jetzt eine gute Marketingstrategie. Wir müssen erklären, dass Walfleisch in Japan ein kulturelles Erbe hat mit jahrhundertealter Geschichte. Auch weil es sehr gesund ist."