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Jazz im orientalischen Gewand

Suzanne Cords31. Juli 2013

Persische Lyrik aus 1001 Nacht prallt auf urbanen Jazz der modernen Welt, und beide vertragen sich ganz wunderbar. Das ist die Geheimwissenschaft der vierköpfigen Berliner Band Cyminology.

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Die Band Cyminology. Foto: Kai von Rabenau.
Bild: Kai von Rabenau/ECM Records

Angefangen hat alles, als die Musikstudentin Cymin Samawatie bei einer Tante eine CD mit mittelalterlichen Versen des persischen Dichters Omar Chajjam entdeckte und so begeistert war, dass sie zunächst ihrem Jazzprofessor und dann ihrer Band eine vertonte Variante vorlegte. Bis dahin hatten Cyminology englische Texte im Programm, doch nun war der Grundstein einer neuen Ära für das multikulturelle Berliner Ensemble gelegt.

Fortan verband das 2001 gegründete Quartett vokalen Kammerjazz mit persischer Lyrik. "In den Gedichten geht es um Sehnsüchte und philosophische Fragen: Woher komme ich, wohin gehe ich, warum bin ich überhaupt", erklärt Cymin Samawatie. Ein wenig traurig stimmt es sie, dass bei der Übersetzung so viel verloren geht. "Ich sage dann immer, die Leute sollen Persisch lernen", meint sie augenzwinkernd. "Goethe hat mit 60 noch Persisch gelernt; es ist also nie zu spät."

Kammermusik zum Eintauchen

Begleitet wird Cymin auf ihrer Reise zwischen Okzident und Orient von einer deutsch-französisch-indischen Band, die mühelos die Balance zwischen urbanem Jazz und arabesken Schnörkeln hält. Elegische Klaviermomente wechseln sich mit dynamischen Schlagzeugsequenzen und pulsierendem Bass ab, und über allem schwebt wie ein weiteres exotisches Instrument geheimnisvoll und samten Cymins Stimme. "Das ist gerade für Außenstehende, die den Text nicht verstehen, eher so etwas wie Instrumentalmusik – ähnlich wie klassische Musik", findet sie. "Man nimmt den Klang wahr und kann darin eintauchen."

Cymin Samawatie Foto: Kai von Rabenau.
Cymin Samawatie liebt die leisen TöneBild: Cymin Samawatie/Kai von Rabenau/ECM Records

Nach drei CDs, in denen sich das Quartett die Gedichte alter Meister vornahm, erschien 2011 mit "Saburi" erstmals ein Album mit eigenen Texten. "Saburi" heißt Geduld, und genau die braucht Sängerin Cymin Samawatie, wenn sie an die Zustände im Iran denkt. Sie selbst ist zwar in Braunschweig aufgewachsen, ihre Eltern aber stammen aus Persien, und so fühlt sie sich dem Land eng verbunden. In den Liedern ging es um die Lage in Persien und um die Hoffnung, dass sich doch irgendwann alles zum Guten wendet.

Liebhaber, "Phönix" und Entdeckungsreisen

Zwei Jahre später sind Cymin Samawatie und ihre drei Mitstreiter - der Pianist Benedikt Jahnel, Kontrabassist Ralf Schwarz und Percussionist Ketan Bhatti - längst auf neue Entdeckungsreisen gegangen. "Diesmal habe ich mir modernen persische Lyrik vorgenommen und mich zum ersten Mal auf Liebeslieder gestürzt", erzählt die Sängerin. Im Fokus ihres Interesses steht Forough Farrokhzād, die als eine der bedeutendsten Repräsentantinnen der iranischen Moderne gilt. Sie starb 1967 im Alter von 33 Jahren bei einem Autounfall, hinterließ in ihrem kurzen Leben aber tiefe Spuren in der persischen Kulturszene. Wie ermüdend es auf Dauer sei, von Liebhaber zu Liebhaber zu wandern, schreibt sie und über die Narben, die die Liebe hinterlässt. Für die einen galt die geschiedene Dichterin mit dem westlichen Lebensstil als Sinnbild für den Verlust alter Werte, für die anderen war sie der Inbegriff der Unabhängigkeit und des Aufbegehrens.

Forough Farrokhzād Quelle: wikipedia
An Forough Farrokhzād schieden sich im letzten Jahrhundert die GeisterBild: public domain

Ebenso fasziniert ist Cymin Samawatie von einem anderen großen Lyriker des 20 Jahrhunderts: Nimā Yushij. Von ihm hat sie unter anderem das Gedicht "Phönix" vertont. "Dieses Bild eines mystischen Vogels, der verbrennt und aus dessen Asche etwas Neues entsteht, passt gut zu Cyminology", betont sie. "Als Künstler sind wir ja immer auf der Suche nach etwas Neuem, nach etwas Schönem, und dafür muss man manchmal von lieb gewonnenen Dingen Abschied nehmen."

Weltorchester bei den "Nächten des Ramadan"

Nicht um Abschied, sondern um Symbiose geht es in dem ambitionierten Projekt "Diwan der Kontinente", das im August beim Berliner Kulturfest "Die Nächte des Ramadan" Premiere feiert. Cymin Samawatie und ihr Schlagzeuger Ketan Bhatti haben dafür ein Weltorchester gegründet, das insgesamt 14 Musiker  aus dem Libanon, China, Afghanistan, Sibirien, den USA  und Japan zusammenbringt. Ziel ist es, Themen um das islamische Fest "Ramadan" musikalisch umzusetzen. Extra dafür haben die beiden Initiatoren neue Kompositionsmethoden entwickelt. "Die meisten Projekte dieser Art bedienen die Klischees der Kulturen", erläutert Bhatti. "Wir hingegen versuchen, zu einer experimentellen Musik zu gelangen, die sich jenseits von einer Art Weltmusik bewegt." Das Bild des heutigen Deutschlands spiegele sich in diesem Projekt wider, so Bhatti weiter. Das Land  sei durch Migranten aus unterschiedlichsten Kulturen beeinflusst und bereichert. "So entsteht eine neue Identität." 

Cymin Samawatie Foto: Kai von Rabenau.
Der "Diwan der Kontinente" ist Cymins neuestes musikalisches KindBild: Kai von Rabenau/ECM Records

Vier Lebensgeschichten - vier Perspektiven

Im Grunde ist das "Diwan der Kontinente"-Orchester die Maxi-Version dessen, was Cyminology als Quartett schon lange zelebriert. Die Musiker wohnen alle in Berlin, haben aber Wurzeln von Neu-Delhi bis Frankreich und Iran. "Wir sind vier starke Charaktere, und jeder bringt seine eigene Lebensgeschichte mit in die Band,  die die Musik prägt", sagt Cymin Samawatie. Als Frontfrau ist es ihr wichtig, sich nicht zu sehr in den Vordergrund zu drängen, denn bei dem Quartett spielt musikalische Gleichberechtigung eine große Rolle. "Ich sage immer, wir versuchen 400 Prozent auf die Bühne zu bringen. Jeder soll 100 Prozent dort sein mit seinen Leidenschaften und mit seiner musikalischen Geschichte."

Band Cyminology Foto:@Doublemoon
Seit zehn Jahren ein eingeschweißtes Team: die Band CyminologyBild: Doublemoon

Nach zehn gemeinsamen Jahren, die die Musiker eng zusammen geschweißt haben, gibt es längst auch eine gemeinsame Geschichte. "Bei einer Tour im Libanon kamen zum Beispiel drei Frauen zu uns und sagten: "Eure Musik gibt uns Frieden", erzählt Cymin Samawatie. "Diese Aussage freute die Cyminologysts ganz besonders: "Wenn Menschen weder mit dem Jazz vertraut sind noch die persische Lyrik verstehen und doch die Musik fühlen, was kann man sich als Musiker dann noch mehr wünschen?"