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Frauen im Jazz: Wo sind die Instrumentalistinnen?

Max Hunger
12. Mai 2017

Beim Jazzfest Bonn 2017 sind wieder Musikerinnen und Sängerinnen zu Gast. Das ist nicht überall so: Der Jazz ist auch heute noch eine Männerdomäne. Vor allem Instrumentalistinnen sind rar. Warum eigentlich?

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Terri Lyne am Schlagzeug
Bild: picture-alliance/dpa/G. Licovski

"Zieh doch ein sexy Outfit an, dann haben die Männer was zu gucken!" oder "Wir haben eigentlich einen Mann erwartet." - Sätze wie diese hat Shannon Barnett in ihrer Karriere häufig gehört. Die Posaunistin der WDR Big Band tritt im Programm des Jazzfest Bonn in diesem Jahr neben Viktoria Tolstoy, Rebekka Bakken und etlichen weiteren Musikerinnen auf. Heute fühlt sie sich gut aufgehoben in der Jazz-Szene. Das war nicht immer so: Lange hat sie das Gefühl begleitet, stets gegen das Vorurteil der schwachen, naiven Frau kämpfen zu müssen. Die aus Australien stammende Musikerin bestätigt auch, was immer noch sichtbar ist: "Frauen sind im Jazz stark unterrepräsentiert - besonders als Instrumentalistinnen."

Peter Materna, Chef des Jazzfest Bonn 2017
Peter Materna, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Jazzfest BonnBild: DW/C. Paul

Eine Studie über Jazz-Musiker in Deutschland aus dem Jahr 2016 zeigt das schwarz auf weiß: Nur 20 Prozent der deutschen Jazzmusiker sind Frauen. Und das in einem Genre, das eigentlich als offen und tolerant gilt, so Peter Materna, Saxophonist und Geschäftsführer des Jazzfest Bonn: "Jazz ist eine Lebenseinstellung: Wir sind offen für alles!" Für Instrumente wie Schlagzeug oder E-Gitarre entscheiden sich jedoch immer noch hauptsächlich Männer. Das Klischee der singenden Jazz-Lady ist dabei weiterhin real: 86 Prozent der Befragten, die Gesang als Hauptinstrument angeben, sind Frauen. Warum eigentlich?

Jazz: schwarz und männlich?

Das Phänomen ist uralt - wie Jazzexpertin Annette Hauber in ihrem 1988 verfassten Artikel "Frauen im Jazz" beschreibt: Seit dem Mittelalter haben es Frauen schwer, Zugang zu den angesehenen Künsten, wie Malerei oder Musik, zu bekommen. Zwar lösen sie ab dem 17. Jahrhundert die Kastraten in Opern- und Konzertsälen ab, die wichtigen Posten an den Instrumenten bleiben ihnen aber weiterhin verwehrt. Gesang und Klavier gehören zur Allgemeinbildung für junge Frauen – abgesehen von der als feminin angesehenen Harfe gelten andere Instrumente wie Horn oder Pauke als nicht angemessen für das "schwache Geschlecht".

Als der Jazz Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entsteht, ist er zunächst vor allem zweierlei: schwarz und männlich. Er ist das Ausdrucksmedium für die schwarze Unterschicht der USA. Für Frauen ein doppeltes Dilemma: Sie leiden zum einen unter der generellen Diskriminierung der Frau. Zum anderen haben schwarze Musiker einen schweren Stand: Die Vermarktung von Musik liegt immer noch in den Händen weißer Männer. Geht es um gut bezahlte Jobs oder Plattenverträge, stehen schwarzen Musikerinnen am Ende der Liste.

Das Erbe der Geschichte: Ein Teufelskreis

Ausnahmen wie die Sängerinnen Ella Fitzgerald oder Billie Holiday prägen das Genre bis heute. Doch kennen Sie Lill Hardin, die Pianistin und Frau an der Seite von Star-Trompeter Louis Armstrong? Oder die Posaunistin Melba Liston, die sich mit Jazz-Größen wie John Coltrane und Duke Ellington die Bühne teilte? Das Problem: Die breite Öffentlichkeit erreichen nur wenige der weiblichen Protagonisten der Jazz-Geschichte.Wie lässt sich dieses ungleiche Bild heute erklären?

Jazz Shannon Barnett mit Zugposaune in der linken Hand
Shannon Barnett, Komponistin, Vokalistin und Posaunistin bei der WDR Big BandBild: Desmond White

"Menschen fangen oft während der Pubertät an, ein Instrument zu lernen und Jazz zu spielen", erklärt Shannon Barnett, die auch als Lehrerin für Posaune tätig war. "Für Mädchen kann das eine große Herausforderung sein: Improvisieren, ein Solo spielen, etwas riskieren - viele junge Mädchen wollen nicht aus der Menge herausstechen." Es fehle an Vorbildern, die junge Frauen animierten, zur Posaune oder zum Schlagzeug zu greifen.

Eine andere Ursache ist wirtschaftlicher Natur: Laut Jazz-Studie gehen Männer in einer Partnerschaft häufiger einem künstlerischen Beruf nach, als Frauen. "Manchmal betragen die Gagen für Jazz-Musiker 50 bis 100€. Ein weiterer Grund, warum Frauen im Jazz derart rar sind. Wenn sie Mütter werden, spüren die Verantwortung für ihre Familie oft mehr als die Männer. Sie können nicht nachts noch in Clubs spielen", bestätigt Peter Materna.

Die Jazz-Frauen kommen

Doch es gibt gute Nachrichten: Vor allem in den jüngeren Generationen steigt der Anteil der Jazz-Musikerinnen. "Heute gibt es viel mehr Frauen, die Instrumente unterrichten, Musik machen oder wichtige Positionen bei Plattenfirmen, Labels und Festivals besetzen. Mädchen sehen jetzt, dass es dort einen Platz für sie gibt", sagt Barnett.

Jasmin Tabatabai
Die Sängerin Jasmin Tabatabai tritt beim diesjährigen Jazz Fest Bonn aufBild: Felix Broede

Handlungsbedarf bestehe trotzdem, so die Posaunistin und Komponistin. Das gelte auch für die staatliche Förderung, sagt Peter Materna: "Frauen sind genauso gute Musiker wie Männer - in bestimmten Bereichen sind sie sogar interessanter. Gegen die ungleiche Verteilung kann man etwas tun, indem man eine breitere Finanzierung über die öffentliche Hand gewährleistet."

Die Zeichen stehen heute gut für die Frauen im Jazz. Es sind lediglich die Bilder in den Köpfen, die sich ändern müssen und werden: Die Frau im Jazz ist nicht nur die elegante Sängerin im Abendkleid, sondern eben auch die ekstatische Schlagzeugerin mit Schweißperlen auf der Stirn.

Das Jazzfest Bonn präsentiert in diesem Jahr gleich mehrere international angesehener Musikerinnen: Die Sängerin Jasmin Tabatabai feiert beim Eröffnungskonzert am 12. Mai ihr Jazz-Debüt zusammen mit dem David Klein Quartett. Auch auf China Moses, die Tochter von Jazz-Diva Dee Dee Bridgewater, die Pianistin Julia Kadel und viele weitere Musikerinnen dürfen sich die Besucher freuen.