1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sicherheitslage im Jemen

Cornelia Wegerhoff5. Oktober 2013

Nach erneuten Attacken auf die Armee im Süden des Landes ist die Sicherheitslage im Jemen angespannt. Doch auf den Straßen der Hauptstadt Sanaa herrscht aus ganz anderen Gründen finstere Stimmung.

https://p.dw.com/p/19ssX
Blick auf einen Platz in der Altstadt von Sanaa im Jemen (Foto: AFP)
Bild: Ahmad Gharabli/AFP/Getty Images

Vor dem Eingang des Armee-Hauptquartiers in Mukalla explodierte zuerst ein mit Sprengstoff präpariertes Auto. Danach stürmten nach Berichten von Augenzeugen rund 20 Angreifer das Gebäude und nahmen mehrere Geiseln. Erst nach Stunden konnten die Streitkräfte die Gefangenen befreien und ihr Hauptquartier in der Provinz-Stadt im Südosten Jemens zurückerobern. Vier Soldaten sollen bei der Aktion Ende September getötet worden sein.

Zweiter schwerer Al-Kaida Angriff in Folge

Der schwere Angriff auf die Armee in der jemenitischen Provinz Hadramut war der zweite binnen zehn Tagen. Die Bewaffneten seien Mitglieder der Ansar al-Scharia, einer mit Al-Kaida verbundenen Gruppe, verlautete aus einer Militärquelle. Bereits am 20. September hatten andere Al-Kaida-Kämpfer in der Provinz Shabwa die Armee attackiert. Dabei kamen mindestens 56 Sicherheitskräfte ums Leben.

Porträt von Mareike Transfeld (Foto: privat)
Die Politologin Mareike Transfeld arbeitet in Jemens Hauptstadt SanaaBild: privat

Die Sicherheitslage im Jemen ist erneut angespannt. Während der politischen Proteste im Frühjahr 2011 hatte die AQAP, die Gruppe der Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel, die Schwäche des jemenitischen Militärs genutzt, um weite Teile des Südens unter ihre Kontrolle zu bringen. 2012 vertrieb die Armee mit Unterstützung von US-Drohnenangriffen die Extremisten in einer mehrwöchigen Offensive aus den Städten. Die radikal-islamistischen Kämpfer scheinen nun mit Gewalt zurückkehren zu wollen.

Anschläge für Jemeniten nicht überraschend

"Überrascht ist eigentlich keiner von solchen Anschlägen", sagt Mareike Transfeld. Die deutsche Politikwissenschaftlerin arbeitet in Jemens Hauptstadt Sanaa für die Nichtregierungsorganisation Yemen Polling, die vor allem Meinungsumfragen erstellt. Die Mehrheit der Jemeniten sei der Meinung: "Wir haben einen schwachen Staat. Wir haben ein schwaches Militär und wir haben viele andere bewaffnete Gruppen. Es ist nicht so, dass Anschläge als etwas Positives gesehen werden, aber sie sind doch Normalität geworden."

Auch in Sanaa sei die angespannte Sicherheitslage aber inzwischen spürbar, so die 27-Jährige. Anders als im Süden Jemens ist es in der Hauptstadt zwar ruhig. Man fühle sich aber wie "auf einem Pulverfass", erklärt Transfeld. "Weil niemand weiß, wie es mit dem Land weitergeht. Weil auch jederzeit die Frustrationen der einzelnen, politischen Gruppen explodieren könnten."

Stromausfälle durch Anschläge

Die finstere Stimmung der einfachen Jemeniten auf der Straße habe jedoch noch einen ganz anderen Grund: Seit Wochen kommt es in Sanaa immer wieder zu Stromausfällen. Kein technisches Problem, sondern ebenfalls eine Folge der politischen Konflikte: Vor allem Stämme in Mareb, einer Stadt etwa 100 Kilometer östlich von Sanaa, greifen die Stromleitungen an.

Der jemenitische Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi auf einem Podium bei der Eröffnung des Nationalen Dialogs (Foto: REUTERS/Mohammed Hamoud)
Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi eröffnete den Nationalen DialogBild: Reuters

In diesem Fall handele es sich bei den Tätern jedoch nicht um Al-Kaida-Anhänger, sondern um Sympathisanten des alten Regimes, sagt der Politologe Jens Heibach. Er beobachtet von Marburg aus die Lage auf der Arabischen Halbinsel, denn er arbeitet am Zentrum für Nah- und Mitteloststudien der dortigen Universität. "Das alte Regime, vor allem die Clique um den ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh, versuchen jeden Fortschritt zu hintertreiben", so Heibach. Das fange damit an, dass man die alten Verbindungen zur Al-Kaida aufwärme und ende bei der Torpedierung der Stromversorgung. "Und dadurch, dass es immer wieder passiert, nimmt man die Regierung auch tatsächlich nicht ernst", bestätigt Mareike Transfeld.

Nationaler Dialog statt Bürgerkrieg

Die Regierung der nationalen Einheit wurde 2012 nach der Gewalteskalation im Jahr zuvor entsprechend eines Abkommens mit dem Golfkooperationsrat installiert. Abed Rabbo Mansur Hadi wurde zum neuen Präsidenten gewählt. In der zweiten Phase der Umsetzung dieses Abkommens, an dem die Vereinten Nationen und die Europäische Union mitwirkten, wurde der sogenannte Nationale Dialog eingeleitet. 565 Delegierte aller politisch und gesellschaftlich relevanten Gruppen sollen dort seither in acht Arbeitsgruppen die Weichen für eine friedliche Zukunft Jemens stellen.

Keine einfache Aufgabe, gibt Jens Heibach zu. Aber: "Der Nationale Dialog hat allein schon dadurch gewisse Erfolge erreicht, dass das Land eben nicht in den Bürgerkrieg abgedriftet ist." Aber ausgerechnet bei der Arbeitsgruppe, die die Probleme im konfliktreichen Süden Jemens lösen soll, seien die Fronten verhärtet und eine Einigung sei nicht in Sicht.

Während die Hauptstadtbewohner abends im Dunklen hocken und wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise auch sonst in eine düstere Zukunft blicken, sitzen die Teilnehmer des Nationalen Dialogs also weiterhin im besten Hotel der Hauptstadt, ausgestattet mit Strom-Generatoren. Die Jemeniten auf der Straße reagierten darauf mit Spott, berichtet Mareike Transfeld aus Sanaa. Für sie sei das Gremium etwas "Fernes", von dem auch keine Ergebnisse zu hören seien. Aus dem Arabischen Begriff für den Nationalen Dialog "Al Hawar el Watani" machen die Leute deshalb spöttisch "Al Hemar al Watani", übersetzt "Nationale Esel".