Jemen: "Weitere Konflikte, mehr Chaos"
5. Dezember 2017DW: Frau Heinze, mit der Ermordung des Ex-Präsidenten Ali Abdullah Saleh gibt es einen wichtigen Akteur weniger im Jemen-Krieg. Wird die Lage dadurch stabiler?
Marie-Christine Heinze: Nein, das würde ich auf gar keinen Fall vermuten. Kurzfristig könnte jetzt erst einmal eine Pause in den Kämpfen eintreten - zumindest in den Kämpfen, die in den letzten Tagen in Sanaa stattgefunden haben. Denn jetzt müssen sich alle Seiten neu sortieren. Diejenigen, die bislang auf Seiten Ali Abdallah Salehs gekämpft haben, werden sich überlegen müssen, wie sie sich jetzt neu aufstellen. Da spielen vor allem die Stämme eine sehr wichtige Rolle. Ziehen sie sich zurück und sagen: Wir haben mit den weiteren Kämpfen nichts mehr zu tun? Schlagen sie sich auf die Seite der Huthi? Oder auf die Seite der saudisch geführten Koalition? Da muss man jetzt abwarten. Aber langfristig gesehen wird das auf gar keinen Fall zu einer friedlicheren Lage im Jemen führen, sondern vermutlich eher zu weiteren Konflikten, zu mehr Chaos. Denn die Fronten sind nicht mehr so leicht zu überblicken wie bisher.
Stehen die Huthi zunächst als Sieger da? Sie haben Saleh getötet, nur wenige Tage, nachdem er sich mit ihnen überworfen hatte.
Man hat lange spekuliert, wann die Allianz zwischen Ali Abdallah Saleh und den Huthis auseinander bricht. In den letzten Wochen haben sich die Anzeichen aus dem Jemen verdichtet, dass Ali Abdallah Salehs Position relativ geschwächt sei. Deswegen waren wir alle auch überrascht, dass er vor einigen Tagen die Huthis angegriffen und zur Revolution gegen die Huthis aufgerufen hat. Aber tatsächlich ist es so, dass die Huthi jetzt erst einmal als Sieger dastehen. Zumindest kurzfristig. Langfristig gesehen ist die Frage: können Sie sich halten? Sie sind unter großen Teilen der Bevölkerung im Norden des Landes sehr unbeliebt, da sie höchst brutal vorgehen und viele Menschen in der Zivilbevölkerung die Huthis nicht unterstützen.
Ändert sich durch Salehs Tod auch das Kräfteverhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien, den großen Rivalen in der Region?
Erst einmal haben die Saudis mit dem Tod von Saleh sicherlich eine Niederlage erlitten. Hätte er die Kämpfe gegen die Huthis eingeleitet und man wäre so zur Beendigung des gesamten Konfliktes gekommen, dann wäre das im Interesse der Saudis gewesen. Aber Ali Abdallah Saleh ist tot. Und damit ist dieses Bündnis, dieser Deal tot und die Huthis haben sich erst einmal durchgesetzt. Vielleicht wird es für den Iran jetzt noch leichter, die Huthis im Norden des Landes zu unterstützen. Es ist aber noch völlig unklar, wie sich der Konflikt jetzt entwickelt. Werden die Huthi-Gegner Sanaa angreifen, um zu versuchen die Hauptstadt von den Huthis zu befreien? Oder werden viele Stämme sich entscheiden, nicht auf der anderen Seite zu kämpfen, so dass man Sanaa nicht wird einnehmen können? Das muss sich zeigen.
Glauben Sie, dass Salehs Sohn Ahmed Ali Saleh versuchen wird, nun in diesem Konflikt eine größere Rolle zu spielen?
Ahmed Ali soll in der saudischen Hauptstadt Riad eingetroffen sein, um von dort auf der Seite des Bündnisses gegen die Huthis mit zu kämpfen. Er hat sicherlich zum Teil Rückhalt in Militärkreisen, aber auch diese sind inzwischen sehr geschwächt, zum Teil zu den Huthis übergelaufen. Ahmed Ali hat nicht das Standing seines Vaters, nicht das Charisma und auch nicht die Fähigkeit, Strippen zu ziehen wie sein Vater das konnte. Insofern wird er womöglich eine Rolle haben, vielleicht auch in einer zukünftigen Regierung, falls sich die Huthi-Gegner durchsetzen sollten. Aber er wird mit Sicherheit nicht die zentrale Rolle spielen, die Ali Abdallah Saleh in den letzten Jahrzehnten im Jemen gespielt hat.
Die Jemen-Expertin Marie-Christine Heinze ist Vorstandsvorsitzende des Bonner Orient-Instituts CARPO