Rassistisch oder nicht? "Jim Knopf" wird 60
9. August 2020Es ist die Geschichte von Jim Knopf, der als Baby in einem Postpaket auf der Insel Lummerland ankommt. Weil der König findet, dass die Insel zu klein ist für alle Bewohnerinnen und Bewohner, sucht Jim als Heranwachsender mit seinem Freund Lukas dem Lokomotivführer das Abenteuer. Mit der Lok Emma machen sich die beiden auf den Weg in das fiktive Land Mandala, dessen Prinzessin sie am Ende retten.
Ein fantastisches Märchen für Kinder, aber auch für Erwachsene. Nach dem ersten Band von 1960, "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", erschien 1962 "Jim Knopf und die Wilde 13". Ob auf Arabisch, Estnisch, Japanisch, Hebräisch oder Chinesisch, die beiden Bände wurden insgesamt in 33 Sprachen übersetzt und haben mittlerweile weltweit eine Auflage von 5,5 Millionen Exemplaren erreicht.
Jim Knopf, ein schwarzer Held
Was bei dieser Kindergeschichte der 1960er Jahre ungewöhnlich war: Der Held der Geschichte, Jim Knopf, ist ein Schwarzer. "Ich habe Jim Knopf geliebt als Kind. Der Junge, der aussah wie ich und der der Held der Geschichte war", schreibt die Anti-Rassismustrainerin und Aktivistin Tupoka Ogette auf einer Internetseite der Heinrich Böll Stiftung zum Thema "Wanted: Schwarze Held_innen in deutschen Kinderbüchern". Die Vorstellung, dass Jim in einem Postpaket verschickt wurde, fand sie als Kind allerdings gruselig. Auch über das "N-Wort" hat sie sich geärgert und es im Buch übermalt, denn unter dieser Bezeichnung habe sie als Kind immer wieder gelitten, schreibt sie.
Tupoka Ogette bezieht sich auf eine Stelle am Anfang der Geschichte, als einer der Lummerland-Bewohner das rassistische N-Wort benutzt, um den kleinen Jim in der Paketsendung zu beschreiben. Rund um das N-Wort gab es in Deutschland in den letzten Jahren viele Diskussionen zu offensichtlichem oder unterschwelligem Rassismus und zu Stereotypen in Kinderbüchern. Das trifft auf Klassiker wie "Die kleine Hexe" von Otfried Preußler ebenso zu wie auf "Pippi Langstrumpf" von Astrid Lindgren. Neue Ausgaben wurden sprachlich korrigiert. Pippis Vater, der "N-König" aus Taka-Tuka-Land, ist in der neuen Fassung ein "Südseekönig".
Rassismusdebatte um Jim Knopf
In einem Interview der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" spricht sich die Hamburger Pädagogin Christiane Kassama anlässlich des 60. Geburtstags von Jim Knopf ganz klar gegen das Buch als Kinderlektüre aus: "Jim Knopf reproduziert viele Klischees zum angeblich typischen Wesen und Äußeren von Schwarzen", sagt sie im Interview. Jim Knopf sei so, "wie sich Weiße ein lustiges, freches, schwarzes Kind" vorstellten.
Nach den Illustrationen von Franz Josef Tripp wird Jim Knopf in der Erstausgabe mit einem breiten Grinsen und wülstigen rosa Lippen dargestellt. Ein Klischee, das heute auf Ablehnung stößt. Der Stuttgarter Thienemann-Verlag, der "Jim Knopf" am 9. August 1960 veröffentlichte, hält allerdings bis zum heutigen Zeitpunkt an der Sprache von Michael Ende fest. Es seien eben Romanfiguren aus der damaligen Zeit, so die Begründung. Außerdem wolle man das Urheberrecht nicht verletzten.
Für die britische Sopranistin Georgina Melville aus Barbados ist Jim Knopf ein Energiebündel. Entsprechend lebhaft hat sie die Rolle in der Uraufführung von Elena Kats-Chernins "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" an der Komischen Oper Berlin gesungen und gespielt. "Jim ist immer bereit für Abenteuer, neue Dinge zu lernen und offen, neuen Menschen zu begegnen", sagt sie gegenüber der Deutschen Welle. Jim Knopf sei eine positive Figur für jedes Kind. "Seine Reise lehrt ihn Geduld, Verständnis, Mut und sie konfrontiert ihn mit seinen eigenen Schwächen."
Geschichten aus dem Moment heraus
Michael Ende, 1929 im süddeutschen Garmisch-Partenkirchen geboren, erlebte seine Schulzeit während der Diktatur der Nationalsozialisten. Später besuchte er die Schauspielschule und schrieb nebenbei Gedichte und Erzählungen, was er mit der Zeit professionalisierte.
Ende hat seine Geschichten und Figuren gern aus dem Moment heraus entwickelt. 1990 erzählte er in einer TV-Talkshow, dass er sich am Anfang von "Jim Knopf" gar nicht darüber im Klaren war, wie die Geschichte weitergeht. "Es hört sich wie ein Gag an, aber es ist wirklich wahr. Ich wusste nicht, was drin ist in diesem Paket." Letztendlich war es das schwarze Baby Jim Knopf. Das Schreiben an sich war für Michael Ende ein nie vorhersehbares Abenteuer. "Es gibt einen Moment, wo die Figuren eine Art Eigenleben bekommen und man eigentlich nur noch hinter ihnen herschreibt", erzählte er damals den Fernsehzuschauern.
So war es auch bei Jim Knopf. Auf der Suche nach der Prinzessin Li Si, die in den ersten Ausgaben von "Jim Knopf" noch aus China stammte und nicht aus dem fiktiven Mandala, kämpft er gegen Scheinriesen und Drachen. In Kummerland besiegt er die autoritäre Drachenlehrerin Frau Mahlzahn, die Kinder aus der ganzen Welt gefangen hält und mit Mathematik quält.
Nach "Jim Knopf" folgten von Michael Ende Bestseller wie "Momo" oder "Die unendliche Geschichte". "Jim Knopf" wurde mit dem Marionettentheater"Augsburger Puppenkiste" auch über das deutsche Fernsehen bekannt.
Jim Knopf, eine Geschichte gegen den Rassismus der Nazis
Michael Ende starb 1995. In seinem Nachlass tauchten Skripte und Notizen auf, die zeigen, dass sich der Anthroposoph und Antirassist kritisch mit Darwins Theorien und der damit verbundenen Rassenideologie der Nationalsozialisten auseinandergesetzt hat. In Endes Geschichten sind es die Schwächeren, die siegen. Jim und sein Freund Lukas begegnen und helfen auf ihrer Heldenreise Außenseitern.
Als sie etwa in die Drachenstadt Kummerland kommen, um Prinzessin Li Si zu befreien, empfängt sie folgender Schriftzug über dem Stadttor: "Achtung! Der Eintritt ist nicht reinrassigen Drachen bei Todesstrafe verboten." Die beiden besiegen nicht nur die grausame Drachenlehrerin Frau Mahlzahn, sondern bekommen auch Hilfe von dem Halbdrachen Nepomuk, der sich dafür schämt, dass seine Mutter ein Nilpferd und kein Drache ist.
Das konterkariere den "Nazi-Rassenwahn", sagt der Vorsitzende des Arbeitskreises für Jugendliteratur, Ralf Schweikart, gegenüber der Nachrichtenagentur EPD. Schweikart hebt den integrativen und pazifistischen Charakter des Märchens hervor: "Der schwarze Held und die chinesische Prinzessin finden zusammen, ohne dass Herkunft und Hautfarbe eine Rolle spielen."
Die Hautfarbe von Jim Knopf spielt auch bei der Umsetzung der Geschichte an der Kompischen Oper Berlin keine Rolle. "Manche Worte und Formulierungen lösen in der heutigen Zeit natürlich Unwohlsein aus und bilden damit gewissermaßen die Achillesferse des Buchs", sagt die Sopranistin Georgina Melville. Die Inszenierung spiegele aber eine modernere Geisteshaltung wider.
Anspielungen auf Jims Hautfarbe aus der Romanvorlage ließ auch der Regisseur Dennis Gansel bewusst außen vor, als er Michael Endes "Jim Knopf" 2018 in einem aufwendigen Kinospektakel verfilmte. Im Oktober soll nun der zweite Teil "Jim Knopf und die wilde 13" in die Kinos kommen.