Das DFB-Team: Chancen und Perspektiven
11. Juli 2010"Wir gehen jetzt nicht mit leeren Händen zurück nach Deutschland, sondern die Mannschaft hat sich diesen dritten Platz auch verdient", sagte Bundestrainer Joachim Löw nach dem 3:2-Erfolg gegen Uruguay in Port Elizabeth. Die deutsche Nationalmannschaft belegte damit bei der WM in Südafrika wie 2006 in Deutschland den dritten Rang. Damals sprach man von einem Sommermärchen, weil sich WM-Gastgeber Deutschland als freundliches und weltoffenes Land präsentierte. Jetzt sorgte die DFB-Auswahl mit herzerfrischendem Fußball für gesteigertes Ansehen. "Im Ausland wird diese Mannschaft als eine sehr sympathische wahrgenommen. Einige Afrikaner haben mir gesagt, diese Mannschaft sei eine Regenbogenmannschaft, bunt vielfältig und als Team überzeugend", betonte der neue Bundespräsident Christian Wulff nach dem Spiel um Platz drei. Ähnlich sieht das auch Deutschlands "Fußball-Kaiser" Franz Beckenbauer: "Was ich von der Stimmung in Südafrika mitbekommen habe, war euphorisch. Und fremde Leute haben mir gesagt, die deutsche Mannschaft sei die beste gewesen." Auch Teammanager Oliver Bierhoff zog ein sehr positives WM-Fazit: "Wir haben es geschafft, ein neues Bild von Deutschland zu schaffen, nicht nur sportlich, sondern auch gesellschaftlich". Wie Bundespräsident Wulff ankündigte, soll Bundestrainer Löw das Bundesverdienstkreuz erhalten, und die Nationalmannschaft mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet werden. "Die Mannschaft ist der beste Botschafter für Deutschland in der Welt", sagte Wulff.
Junge Elf glänzte ohne Ballack
Und tatsächlich: Innerhalb von vier Wochen haben Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und Co. die Wahrnehmung des Landes verändert. Vergleiche zwischen der deutschen Nationalmannschaft und Panzern gibt es kaum noch, stattdessen viel Respekt und Anerkennung. "Meiner Meinung nach ist das die beste Mannschaft, mit der größten Qualität von allen Nationalmannschaften, in denen ich bis jetzt gespielt habe", meinte auch Philipp Lahm, der die Kapitänsbinde vom verletzten Michael Ballack übernommen hatte. Der Ausfall des bis dato einzigen deutschen Superstars hatte vor der WM noch für große Aufregung gesorgt, doch der 33-Jährige wurde jetzt im zweitjüngsten deutschen Team, das jemals bei einer WM antrat, nicht vermisst. Und so musste der Neuzugang von Bayer Leverkusen nach dem 4:0 im Viertelfinale gegen Argentinien neidvoll zugeben: "Es ist teilweise schon unheimlich, dass eine so junge Mannschaft ein Klasseteam wie Argentinien schlägt."
Insgesamt zeigte die DFB-Auswahl gegen Australien, England, Argentinien und Uruguay schönen Fußball, gegen Serbien und Ghana waren die Leistungen durchwachsen. Und beim 0:1 im Halbfinale gegen Spanien wurden den deutschen Spielern wie vor zwei Jahren in Wien die Grenzen aufgezeigt. Die schwedische Zeitung "Aftonbladet" bemerkte treffend: "Das schöne, junge Deutschland benötigte zwei Jahre, um die eigene Variante des spektakulären spanischen Fußballs einzustudieren. Spanien benötigte 90 Minuten, um zu zeigen, dass die Deutschen noch nicht ganz am Ziel sind." Und so war Bastian Schweinsteiger trotz der gewonnenen Bronzemedaille auch ein wenig enttäuscht. "Ich wollte ins Finale kommen und Weltmeister werden. Das habe ich nicht erreicht. Deshalb habe ich ein leicht weinendes Auge."
Löws Mut zum Risiko
Vater des Erfolgs ist Joachim Löw, der die Mannschaft bereits 2008 ins verlorene EM-Finale gegen Spanien geführt hatte. Der Bundestrainer legt großen Wert auf seriöses Arbeiten und den Teamgedanken. Es gehe darum, nicht nur miteinander zu spielen, sondern füreinander, so Löw. "Wichtig sind auch der Mut zum Risiko und beherztes Auftreten." Löw steht für ein offensives Spielsystem, das keine andere Mannschaft bei dieser WM so zeigen konnte, auch nicht die kombinationssicheren Spanier. Und 16 WM-Tore für Löws "junge Wilde" sprechen eine klare Sprache: "Mit der Spielweise, mit der Offensive, mit dem Mut, den wir haben, dem Risiko, das wir gehen, muss man zufrieden sein. Ich denke, es macht den Fans auch Freude, wenn man nicht nur verwaltet, sondern auch offensiven Fußball spielt."
Die Multi-Kulti-Generation
Faszinierend am deutschen Team ist auch der Multi-Kulti-Faktor: Elf der 23 Spieler im Kader wie Mesut Özil, Sami Khedira oder Jerome Boateng haben ausländische Wurzeln. "Wir haben viele junge Spieler, die eine große Zukunft vor sich haben. Sie haben jetzt im ersten Turnier viele Erfahrungen gesammelt. Das ist gut für die folgenden Turniere", glaubt Bastian Schweinsteiger, der als heimlicher Kapitän eine überragende WM spielte. Neben ihm konnte Nachwuchsstar Thomas Müller als bester deutscher Torjäger glänzen. Der 20-jährige Bayern-Profi hat die Bodenhaftung noch nicht verloren. "Ich versuche, mir nicht einzubilden, dass ich jetzt schon der Größte bin - mit 1,86 Meter. Wir haben auch noch den Per Mertesacker, der ist viel größer als sich", sagte Müller schmunzelnd.
Bundesliga im Fokus
Mit ihren starken Auftritten in Südafrika haben die deutschen Akteure ihren Marktwert erhöht und die Gerüchteküche angeheizt. Kein WM-Tag verging, an dem nicht Nationalspieler mit europäischen Top-Clubs in Verbindung gebracht wurden. Den Vogel schoss dabei Mesut Özil ab. Gleich fünf Vereine - FC Barcelona, Manchester City, Manchester United, FC Valencia und Arsenal London - sollen Interesse an einer Verpflichtung des Mittelfeldspielers von Werder Bremen bekundet haben. Bastian Schweinsteiger hofft indes, dass die glanzvollen Auftritte der Bundesliga-Profis einen umgekehrten Effekt auslösen. "Wir haben in der Bundesliga an Qualität gewonnen. In Zukunft wird es auch so sein, dass die großen Spieler nach Deutschland kommen", mutmaßte der Mittelfeldspieler.
Löws Zukunft noch unsicher
Auch wenn es letztlich nicht für den vierten Titelgewinn reichte: Löw sammelte als Architekt des deutschen Fußball-Aufschwungs weltweit Pluspunkte. Und DFB-Chef Theo Zwanziger möchte den Bundestrainer gerne im Amt halten: "Sie können sich darauf verlassen, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dafür zu sorgen, dass dieses gute Team, der Trainerstab, auch weiterhin in die Zukunft gehen kann." Doch Löw hält sich noch bedeckt. Er knabbert immer noch daran, dass die Vertragsverhandlungen mit dem DFB vor der WM geplatzt waren. "Nach der WM brauche ich zwei, drei Tage, um meine Gedanken zu ordnen. Und dann werden mir sicherlich ein paar Ideen und Visionen kommen, wie das weitergehen kann." Doch das Ziel hat Löw sicherlich schon klar vor Augen: Bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine, spätestens aber bei der WM 2014 in Brasilien soll ein Titel her. Philipp Lahm gibt sich da ganz selbstbewusst. "Wie man bei den vergangenen Turnieren schon gesehen hat, können wir immer um den Titel mitspielen."
Autor: Arnulf Boettcher
Redaktion: Wolfgang van Kann