"Eine Milliarde Euro für den Westbalkan"
12. Juli 2017Deutsche Welle: Herr Hahn, gibt es neue Impulse, haben Sie positive Erwartungen vor dem Gipfel in Triest? Die letzten Monate waren eher schwierig, als es um das Zusammenspiel der Westbalkan-Region mit der EU ging.
Johannes Hahn: Ich denke, der Gipfel hier in Triest ist hervorragend vorbereitet von den italienischen Gastgebern. Wir haben uns bemüht, hier konkrete Ergebnisse zu liefern. Zum Beispiel werden wir den Transport-Vertrag unterzeichnen. Der bedeutet, dass sich die Länder des westlichen Balkans mit der Transport-Gesetzgebung der Europäischen Union quasi verbinden, was starke wirtschaftliche Impulse haben wird für die Region. Wir werden eine Reihe von Projekten im Bereich Transport, bzw. Energie beschließen im Gegenwert von etwa 200 Millionen Euro, die letztlich Investitionen von etwa 540 Millionen Euro auslösen werden. Und wir werden, was ganz wichtig ist, auch die Grundlagen schaffen für einen regionalen Wirtschaftsraum der dazu dienen soll, den interregionalen Handel zu beschleunigen, der eigentlich im Argen liegt, wo viel Potenzial ist. Und wir gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren bis zu 80.000 Arbeitsplätze in der Region geschaffen werden können.
Das sind erfreuliche Nachrichten. Wo hakt es dennoch?
Ja, wie immer in der Region. Vor allem bei der zeitnahen Umsetzung. Es gibt viele Zusagen, viele Versprechungen, aber dann ist die Umsetzung immer etwas, da muss man hinterher sein. Da braucht man schon eine gewisse Hartnäckigkeit. Aber das ist unser tägliches Brot in der Region und daran sind wir gewöhnt. Letztlich geht es ja darum, für 20 Millionen Menschen eine wirtschaftliche Perspektive zu schaffen, die auch Stabilität sichert, und wenn Sie so wollen, Frieden in der Region garantiert.
Stabilität, Sicherheit, wirtschaftliche Prosperität haben Sie genannt. Demokratie aber nicht. Es wird ja oft darüber gesprochen dass die EU mit ihren Projekten zu stark die autokratischen Strukturen in der Region stärkt. Was setzen Sie dem entgegen?
Wenn ich von Stabilität spreche, dann ist klar, dass das eine demokratische Verfasstheit voraussetzt. Wenn sich die Menschen nicht frei ausdrücken können, wenn sie nicht frei agieren können, dann werden sie niemals diese Möglichkeiten entfalten, die Europa so einzigartig gemacht hat. Und das ist auch der Grund warum Europa so attraktiv ist - auch für die Länder des westlichen Balkans, Mitglieder der EU zu werden. Eine wirtschaftliche Entwicklung wird nur möglich sein mit einer Entwicklung im Bereich der Rechtsstaatlichkeit. Denn es wird keiner sein Geld in der Region investieren, weder aus der Region noch von anderen Ländern der EU, wenn man sich zum Beispiel nicht auf eine funktionierende Justiz verlassen kann.
Auf dem heutigen Gipfeltreffen werden Sie ganz konkrete Projekte präsentieren. Welche genau sind das?
Wir haben konkret sechs Verkehrsprojekte, sowohl im Bereich Straße, als auch im Bereich Schiene. Das Eisenbahnprojekt, der berühmte "Korridor 8", der eine Ost-West Verbindung ermöglicht von Bulgarien zur früheren jugoslawischen Republik Mazedonien. Der ist dann in der Folge ausbaufähig nach Albanien. Wir haben genauso die weitere Entwicklung des Wasserweges zwischen Bosnien-Herzegowina und Serbien im Blick. Hier geht es vor allem um den Ausbau von Häfen. Auch das ist etwas ganz wichtiges. Oder diverse Straßenbauprojekte, etwa zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien. Es sind entscheidende Investitionen, die aber auch umgesetzt werden müssen. Im Bereich des Transports stellen wir knapp 145 Millionen zur Verfügung, die letztlich Investitionen von 450 Millionen auslösen werden. Ein anderes Projekt im Bereich der Energie ist eben der "Interconnector", eine Gas-Pipeline zwischen Serbien und Bulgarien. Eine Investition von knapp 50 Millionen Euro.
Wirtschaftliche Entwicklung, Transport-Vereinbarungen - das wirkt fast anachronistisch wenn man sieht, dass viele offene Konflikte und ungeklärte zwischenstaatliche Beziehungen bestehen. Wie wollen Sie an diese dicken Bretter ran?
Das ist eigentlich der Charme dieses Prozesses, dass wir sagen: wir fassen alle sechs Länder des westlichen Balkans zusammen, unbeschadet wo sie in ihren Entwicklungen im Hinblick auf eine künftige Mitgliedschaft zur Union stehen. Wir verhandeln schon konkret mit Serbien und Montenegro, mit anderen sind wir davon noch weit entfernt. Aber, indem wir versuchen diese Länder, die alle von Ländern der EU umgeben sind, im Bereich der Transport-Infrastruktur, aber auch der Energie-Infrastruktur an die EU anzukoppeln, schaffen wir auch eine Grundlage, dass sie quasi schon eingebettet sind in diese Union, im guten Sinne umarmt sind. Und damit schaffen wir es auch mit allen Rückschlägen, den einen oder anderen bilateralen Konflikt zu lösen, oder zumindest eine Perspektive zu entwickeln, wie das in Zukunft funktionieren kann.
Was sind jetzt die nächsten Schritte nach dem Gipfel?
Das ist die konkrete Umsetzung dessen, was wir vereinbart haben. Ich habe in diesem Jahr schon teilnehmen können an zwei Spatenstichen für Brückenprojekte etwa, zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien, aber auch in Serbien. Auch im Energie-Bereich haben wir Umspannwerke finanziert, die Verbindungen einerseits von Montenegro nach Italien schaffen aber auch von Montenegro durch den Balkan weiter nach Rumänien. Hier in Triest passiert ganz konkret etwas. Es geht auch darum, die kleinen und mittelgroßen Betriebe zu fördern. Es wird im Rahmen dieses Gipfeltreffens auch eine Budget-Linie für 48 Millionen Euro unterschrieben werden, die letztlich über 6.000 SMEs (kleine und mittelgroße Betriebe) Zugang zu Krediten geben soll. Also es geht hier ganz konkret darum, die Wirtschaft zu pushen und letztlich werden wir auch für den nächsten Gipfel weitere Projekte vorbereiten. Denn in der Summe wollen wir ungefähr eine Milliarde Euro bis zum Ende des Jahrzehnts ausgeben, um hier in der Region etwas zu schaffen...
…und die Länder in die EU zu führen?
…und die Länder vorzubereiten, dass sie eben einen möglichst übergangslosen Übergang in die EU haben.
Johannes Hahn ist seit 2014 EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen. Zuvor war er EU-Kommissar für Regionalpolitik in der Kommission José Manuel Barrosos.
Das Gespräch führte Adelheid Feilcke