Joschka Fischer - Politstar der Extreme
21. Juli 2005
Joschka Fischer, Jahrgang 1948, kann in seiner politischen Biographie einige Premieren für sich beanspruchen: 1985 war er in Hessen der erste grüne Minister in der ersten rot-grünen Landesregierung. Bei seiner Vereidigung in weißen Tunschuhen, Jeans und Schlabber-Sakko demonstrierte Fischer den für ihn typischen Hang zur Selbstinszenierung, zu mutigen Auftritten, aber auch zur Provokation. Dass er einmal der erste grüne Bundesaußenminister werden würde, daran dachte zu diesem Zeitpunkt niemand. Zwar hatte Fischer von 1983 bis 1985 im Bundestag gesessen, dann aber ackerte der ehrgeizige "Realo" jahrelang auf Landesebene - teils in der Opposition, teils in der Regierung.
Sein Machtinstinkt war schon damals unverkennbar, und nicht selten schlug sein Selbstbewusstsein in autoritäres Gehabe um. Das Fachgebiet des früheren Taxifahrers, der nach der zehnten Klasse die Schule verlassen hatte, war die Umweltpolitik, sein bevorzugtes Schlachtfeld der Ausstieg aus der Atomenergie. Als Fischer 1994 nach Bonn in den Bundestag wechselte, wurden seine außenpolitischen Ambitionen erstmals sichtbar. Bis zur Bundestagswahl 1998 war er einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen - und bekannt für seine scharfzüngigen Reden. Unvergessen ist zum Beispiel sein verbaler Angriff auf den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl: "Sie sitzen auf Ihrem Stuhl, breit und selbstzufrieden wie ein Buddha, und nehmen gar nicht mehr wahr, was in diesem Land wirklich vor sich geht", sagte er einmal in einer Bundestagssitzung.
Zerreißprobe Kosovo
Als SPD und Grüne 1998 die Bundestagswahl gewannen, wurde Fischer Vize-Kanzler im Kabinett von Gerhard Schröder und erster grüner Außenminister der Bundesrepublik. Die Regierungszeit begann wegen des Kosovo-Kriegs turbulent. Schröder und Fischer entschieden sich für eine deutsche Beteiligung an den Luftangriffen der Nato gegen Jugoslawien. "Diese Koalition war noch nicht gewählt, da hatte sie zum ersten Mal seit Bildung der Bundesrepublik Deutschland über Krieg und Frieden zu entscheiden. Das waren Entscheidungen, die sind uns alles andere als einfach gefallen", erinnert sich Fischer.
Diese Entscheidung stellte die pazifistisch geprägten Grünen vor eine Zerreißprobe. Der Außenminister, der auf dem Sonderparteitag im Mai 1999 vom Farbbeutel eines Demonstranten getroffen wurde, konnte die Delegierten nur mit Mühe zur Unterstützung seiner Kosovo-Politik bewegen. Militärisches Eingreifen sei als letztes Mittel gerechtfertigt, um Schlimmeres zu verhindern, so Fischers feste Überzeugung. In einer engagierten Rede sagte er damals, dass er "eine unbefristete Einstellung der Bombenangriffe für das grundfalsche Signal" halte. "Milosevic würde dadurch gestärkt und nicht geschwächt. Ich werde das nicht umsetzen, wenn Ihr das beschließt, damit das klar ist!"
Der lange Lauf zum Lieblingsminister
In der Bevölkerung stand der Marathonläufer Fischer unangefochten auf Platz eins der Popularitätsliste - und das blieb auch so, als der zu Extremen neigende Lieblingspolitiker der Deutschen seinen eigenen Ansprüchen an Sportlichkeit und guter Figur nicht mehr gerecht wurde. Großes Geschick bewies er aber darin, im Ausland eine gute Figur zu machen und verschaffte der Bundesregierung damit viel Respekt und Anerkennung. Vergessen waren Jeans und Turnschuhe - dem Fischer im perfekten Anzug war kein diplomatisches Parkett zu glatt.
Lesen Sie im zweiten Teil, über das Erfolgsrezept von Joschka Fischer und worunter sein Image in letzter Zeit gelitten hat.
"Dear Joschka", wie er von vielen ausländischen Amtskollegen freundschaftlich angeredet wurde, konnte gleichzeitig verbindlich und hart in der Sache sein, etwa bei der konsequenten Ablehnung des Irak-Kriegs. Mit seinen sprachgewaltigen Analysen der weltpolitischen Lage holte er für Gerhard Schröder mehr als einmal die Kastanien aus dem Feuer - und kritisierte den Bundeskanzler niemals öffentlich, selbst wenn der sich wenig geschickt in die operative Außenpolitik eingeschaltet hatte.
Tadel als Motivation
Trotz dieser Erfolge geriet Fischer 2001 unter Druck - wegen fast 30 Jahre alter Fotos, die ihn als gewaltbereiten Aktivisten der Frankfurter Hausbesetzerszene zeigten. Im Bundestag setzte sich der Außenminister mit seiner Vergangenheit auseinander. "Ich war militant. Ich habe mit Steinen geworfen, ich war in Prügeleien mit Polizeibeamten verwickelt. Ich wurde geprügelt, aber ich habe auch Polizeibeamte geschlagen. Das habe ich nicht zum ersten Mal hier gesagt, und dazu stehe ich. Ich stehe zu meiner Verantwortung", sagte er.
Er habe schon in den siebziger Jahren erkannt, dass Gewalt der falsche Weg gewesen sei, argumentierte Fischer, der immer dann zur Höchstform aufläuft, wenn er unter Druck gerät. "Seit meiner Schulzeit, und sie endete ja nicht gerade glücklich, hatte der Schüler Joschka Fischer immer große Probleme, mit Lob umzugehen. Mit Tadel kam ich immer hervorragend zurecht, und ich stelle fest: Das ist bis auf den heutigen Tag so geblieben."
Image angeknackst
Im Wahlkampf 2002 schadete ihm die Affäre nicht, die Grünen gewannen fast zwei Prozentpunkte dazu. Bei der nächsten großen Auseinandersetzung um seine Person ging es erstmals um Fischers Amtsführung: In der Visa-Affäre habe er sein Haus nicht im Griff gehabt, kritisierte die Opposition und zitierte ihn vor den Untersuchungsausschuss.
Mit Verspätung gestand Fischer seine Fehler ein, auch wegen der massiven Kritik in Medien und Öffentlichkeit, die sein Verhalten als zunehmend arrogant empfanden. Fischers Image als Superstar der rot-grünen Koalition bekam einen Knacks. Für die Grünen bleibt der 57jährige trotzdem die unverzichtbare Galionsfigur: Ein weiteres Mal führt Joschka Fischer sie als Spitzenkandidat in den Wahlkampf.