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"Journalist des Jahrhunderts"

Alexander Freund 7. November 2002

Rudolf Augstein hat die deutsche Nachkriegsgesellschaft geprägt wie kaum ein anderer Journalist. Als "Spiegel"-Herausgeber brachte er Politiker zu Fall und die Pressefreiheit Meilensteine voran.

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Verlust einer Persönlichkeit: Rudolf AugsteinBild: AP

Hamburg, am 26. Oktober 1962: Gegen 21 Uhr stürmt die Polizei die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Anlass: Ein kritischer Artikel über die Herbstübung der NATO mit dem Titel "Bedingt abwehrbereit". Rudolf Augstein und zwei Chefredakteure werden später festgenommen: Verdacht auf Landesverrat und Beamtenbestechung.

Bewährungsprobe der jungen Bundesrepublik

Vier Wochen lang legt die Staatsmacht den "Spiegel" lahm. Zentnerweise werden Unterlagen abtransportiert. In Spanien kidnappen die Behörden den Autor der Titelgeschichte, Conrad Ahlers. Der Rechtsstaat geriet in Verruf und die noch junge deutsche Demokratie stand vor einer ihrer ersten Bewährungsproben. Es ging um die Abwägung von Staatssicherheit und Pressefreiheit. Bundeskanzler Konrad Adenauer sah gar die Nation in Gefahr: "Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande!"

Angriff auf die Pressefreiheit

Rudolf Augstein verhaftet
Die "Spiegel-Affäre": Rudolf Augstein wird abgeführtBild: AP

Doch keineswegs nur politisch links orientierte Menschen protestierten gegen diesen Angriff auf die Pressefreiheit und solidarisierten sich mit den Betroffenen, was Augstein voller Genugtuung mitverfolgte. "Es war eine der wenigen Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte, die Demonstrationen schallten so laut durch diese dicken Gefängnismauern, dass es mir absolut unmöglich war, einzuschlafen", so beschrieb Augstein damals die Situation.

Längst stand ein Mann im Zentrum der Kritik, den die Aktion das Ministeramt kosten sollte: Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, der Bayer, der immer im journalistischen Visier von Rudolf Augstein stand. Vor dem Bundestag hatte Strauß noch behauptet, er habe "mit der Sache nichts zu tun", doch in einer turbulenten Fragestunde musste Strauß dann im Bundestag zugeben, die Festnahme Ahlers initiiert zu haben.

Augsteins "Spiegel"

Die "Spiegel"-Affäre hat das politische Klima in der Bundesrepublik verändert und sie löste eine Regierungskrise aus, die das Schicksal der christlich-liberalen Koalition besiegelte: Augstein brachte sie 103 Tage Haft, den Verteidigungsminister Franz Josef Strauß um sein Amt, und die Republik bekam einen neuen Begriff von Pressefreiheit. Mit seinem investigativen Journalismus deckte der "Spiegel" zahlreiche Skandale und Fehlentwicklungen in Demokratie und Gesellschaft auf. Ob die "Abhör-Affäre Traube", "Die dunklen Geschäfte der Neuen Heimat", den "Flick-Bestechungs-Skandal" oder "Barschels Waterkant-Gate" - die Geschichte des "Spiegels" ist auch die Biografie von Rudolf Augstein. Am 5. November dieses Jahres wurde er 79 Jahre alt.

Ein Jahr nach dem Krieg gründete der damals 23-jährige Kaufmannssohn unter der Aufsicht der Alliierten das erste deutsche Nachrichtenmagazin namens "Diese Woche", das seit 1947 unter dem Titel "Der Spiegel" erscheint. Augstein wurde dessen Chefredakteur und Teilhaber und blieb bis zu seinem Tod dessen Herausgeber. Mit teils bissigen Kommentaren kritisierte Augstein den politischen Kurs Adenauers als eine Politik der verpassten Chancen, er unterstützte die Ostpolitik von Willy Brandt und trat ab 1989 verstärkt für die deutsche Wiedervereinigung ein. Sein eigener Ausflug in die Politik - 1972 zog Augstein für die nordrhein-westfälische FDP in den Bundestag ein - endete bereits nach nur drei Monaten.

Ehr' und Preis

Der Publizist, Autor und Essayist Rudolf Augstein wurde mit dem großen Bundesverdienstkreuz geehrt, bekam mehrere Ehrendoktorwürden, erhielt im Jahr 2000 den Ludwig-Börne-Preis für sein Lebenswerk und wurde im gleichen Jahr von International Press Institute als ein "Journalist des Jahrhunderts" gekürt. Spöttisch genoss Augstein die gesellschaftliche Anerkennung des vermeintlichen Landesverräters, so auch, als ihm 1994 die Hamburger Ehrenbürgerschaft verliehen wurde. Augstein kommentierte das damals: "Ich bin wohl der einzige Ehrenbürger dieser Stadt, der echte Handschellen getragen hat. "