Spanischer Schriftsteller Juan Marsé ist tot
19. Juli 2020Juan Marsé war schon in den seinen Endzwanzigern, als er das Schreiben für sich entdeckte. Doch dann wurde er schnell zu einer der wichtigsten literarischen Stimmen seines Landes und erhielt 2008 als Krönung seines Werks den renommierten Cervantes-Preis, die wichtigste Auszeichnung für Autoren der spanischsprachigen Welt. "Er sei das "literarische Gedächtnis der Generation nach dem Bürgerkrieg" und "einer der charismatischsten Autoren der sogenannten Barcelona-Schule", würdigte die spanische Tageszeitung "El Pais" den Verstorbenen in einem Nachruf.
Der Katalane erblickt am 8. Januar 1933 als Juan Faneca Roca in Barcelona das Licht der Welt. Seine Mutter stirbt bei der Geburt, sein Vater, ein Taxifahrer, übergibt den Jungen dem Ehepaar Marsé Carbó, das ihn adpotiert. Juan wächst während der Franco-Diktatur auf, seine Bücher sind maßgeblich geprägt von den Erfahrungen dieser Zeit. Seine Kindheit ist geprägt von den tristen Seiten seiner Heimatstadt in heruntergekommenen Vierteln, wo die Abgehängten der Gesellschaft leben - fernab vom Vorzeige-Barcelona, das die Touristen heute so lieben. Marsés Bücher sind mehr als eine Reise durch Kindheit und Jugend im Abseits der tristen Jahre des Frankismus. Es sind sozialrealistische Chroniken in bildgewaltiger Sprache. Kaum einer beschreibt das hässliche Barcelona der Zeit nach dem spanischen Bürgerkrieg so gut und eingehend wie er, der als Autor "des kleinen Mannes" gilt. Marsés Helden sind gesellschaftliche Verlierer und Außenseiter: kleine Ganoven, Prostituierte, Herumtreiber oder auch dekadente Bourgeois.
Vom Juwelier- und Laborgehilfen zum gefeierten Schriftsteller
Marsé arbeitet eine Zeit lang in einem Juweliergeschäft, bevor er 1958 seine ersten Erzählungen in spanischen Zeitungen veöffentlicht. 1960 geht er nach Paris, wo er eine Arbeit als Laborgehilfe im Institut Pasteur findet. Dort lernt er den französischen Molekularbiologen und späteren Nobelpreisträger Jacques-Lucien Monod kennen, der ihn für die Ideen des Kommunismus begeistert. Es ist auch das Jahr, in dem sehr erster, hochgelobter Roman erscheint "Encerrados con un solo juguete".
Von nun an veröffentlicht er regelmäßig Romane, die von der Kritik gefeiert und mit vielen Preisen ausgezeichnet werden. Für "Stimmen in der Schlucht", das Barcelona zur Zeit Francos aus der Sicht eines Embryos schildert, erhält er 2001 er den Nationalpreis der Kritik und den für erzählende Literatur. "Es ist ein sprachgewaltiges Buch, das eine bedrohliche Realität heraufbeschwört, die uns nur aus Geschichtsbüchern geläufig ist", schreibt ein deutscher Rezensent. "Bei der Lektüre ertappt man sich immer wieder dabei, wie man panisch den Blick hebt, um erleichtert festzustellen, dass diese Realität nicht die unsere ist. Und liest dann gebannt weiter."
Marsé ist kritisch und legt in seinen Büchern den Finger tief in die Wunden der spanischen Gesellschaft. Von der Obrigkeit wird das nicht gern gesehen. Sein Roman "Wenn man Dir sagt, ich sei gefallen", darf nicht erscheinen, er wird in Mexiko verlegt - es ist nicht das einzige zensierte Werk.
Für den Literaturnobelpreis gehandelt
International bekannt wird Marsé schon mit dem 1966 erschienenen Roman "Letzte Tage mit Teresa", einem Klassiker der modernen spanischen Literatur. "Das Buch ist nicht nur gut - es ist auch das vielleicht kraftvollste und überzeugendste, das in den letzten Jahren geschrieben wurde", kommentierte der peruanische Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa. Auch Marsé wird immer wieder als Außenseiter-Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. Zahlreiche seiner Bücher werden verfilmt oder für das Theater adaptiert, sein Werk wird in unzählige Sprachen übersetzt.
Am 19. Juli 2020 stirbt er in seiner Heimatstadt Barcelona. Sein Tod versetzte ganz Spanien in tiefe Trauer. Ministerpräsident Pedro Sánchez, der gerade beim EU-Gipfel über den Wiederaufbau Europas verhandelt, sprach der Familie per Twitter sein Beileid aus. "Ich erhalte in Brüssel die traurige Nachricht, dass Juan Marsé von uns gegangen ist. Er war eine Schlüsselfigur der spanischen Literatur", schrieb er. "Ein Mann mit festen Überzeugungen, der uns die Realität Barceolonas nach dem Krieg gezeigt hat".
Erst vor einem Monat war bekannt geworden, dass Carlos Ruiz Zafón, Autor des Bestellers "Der Schatten des Windes", mit 55 Jahren seinem Krebsleiden erlag. Jetzt ist eine weitere große Stimme aus Barcelona verstummt.
suc/qu (el Pais, dpa)