Jugendliche bei der Europawahl: Auftrieb für die AfD?
29. Februar 2024Alkohol trinken, Motorroller fahren und selbständig ein Handy kaufen: Ab 16 Jahren ist vieles möglich. Wählen gehörte jenseits von einigen Kommunal- und Landtagswahlen noch nicht dazu. Das wird in diesem Jahr anders: Bei der nächsten Wahl des Europäischen Parlaments Anfang Juni dürfen erstmals auch 16- und 17-Jährige abstimmen. Deutschland hatte bereits im November 2022 nach langen Debatten beschlossen, das Mindestwahlalter für die Europawahl abzusenken. Auch in Belgien, Österreich, Griechenland und Malta dürfen Jugendliche dieses Jahr an die Urnen.
Bildungsträger und Stiftungen werben deshalb für Workshops und Infoveranstaltungen, um die Jugendlichen für die Europawahl "fit zu machen" , wie etwa die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung auf ihrer Webseite schreibt. Ein nachvollziehbares Ziel: Viele junge Menschen dürften unsicher sein, wen sie wählen können und welche Auswirkungen das Kreuzchen auf dem Stimmzettel auf ihr Leben haben wird.
AfD auf Stimmenfang bei TikTok
Für die meisten Jugendlichen ist allerdings eine gänzlich andere Informationsquelle wichtig: die soziale Videoplattform TikTok. Dort betreibt die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD aggressiven Wahlkampf für junge Leute.
Der Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, tritt nicht nur als Politiker auf, sondern gibt sich auch als Dating-Experte für junge Männer aus. "Echte Männer sind rechts, echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten, dann klappt es auch mit der Freundin", erzählt er in einem Video, das mittlerweile Millionen Klicks generiert hat. In anderen Videos warnt er davor, dass "deine Mutter im Alter arm" sein wird oder "die Bundesregierung dich hasst".
Die Botschaften kommen an. Eine Analyse des Politikberaters Johannes Hillje, die dem Sender ZDF vorlag, zeigt: TikToks der AfD-Bundestagsfraktion erreichten rund zehnmal mehr Views als die anderer Parteien. Dazu kommen die Accounts von AfD-Abgeordneten, Lokalpolitikern und rechten Influencern, die ähnliche Inhalte verbreiten.
Simple und emotionale Botschaften
"Es ist mir ein Rätsel, warum die anderen Parteien im Vergleich so wenig tun", sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann im Gespräch mit der DW. "Denn die junge Generation ist digital groß geworden, kommuniziert nur auf diesem Kanal und nimmt auch politische Informationen im Grunde genommen nur über digitale Kanäle wahr."
Dass die AfD bei TikTok so erfolgreich abschneidet, liegt auch an der Wirkweise von Algorithmen - je krasser die Inhalte, desto mehr Aufmerksamkeit. Ob andere Parteien noch aufholen können, ist ungewiss. Denn viele Plattformen "belohnen First Mover mit Reichweite", schreibt der socialmediawatchblog. Das heißt: Wer zuerst da war, wird vermutlich öfter als Inhalt vorgeschlagen als Accounts, die erst später dazu stoßen. "Ihre Botschaften sind mindestens simpel und emotional, häufig auch massiv verkürzt und irreführend. Anders ausgedrückt: Sie passen perfekt zur Funktionslogik sozialer Medien", heißt es bei socialmediawatchblog zur Wirkung der AfD-Videos.
Von der Pandemie zur Klimakrise
Für Hurrelmann ist das erfolgreiche Abschneiden der AfD bei jungen Menschen keine große Überraschung. Denn die jungen Erstwähler sind seiner Einschätzung nach vor allem eins: zutiefst verunsichert. Die Corona-Pandemie mit ihren Schulschließungen und Kontaktverboten stecke den Jugendlichen noch immer "atmosphärisch in den Knochen". "Das war ein tiefer Einschnitt für die Jugendlichen, unmittelbar nach der Pubertät mit 12, 13 Jahren zu erleben, dass man sein Leben nicht selbst steuern kann", sagt er.
Auch Klimakrise, Inflation, knapper Wohnraum und Altersarmut machen vielen jungen Leuten Angst. "Das ist für eine Partei wie die AfD wie gemacht", sagt Hurrelmann weiter. "Denn sie ist ja die Partei, die darauf hinweisen kann, dass die Regierungen es nicht geschafft haben, diese Verunsicherungen abzuwenden." Ein Ergebnis dieser Versprechen zeigte sich im Herbst bei der Landtagswahl im westdeutschen Bundesland Hessen. Die AfD landete bei jungen Wählern (18 bis 24 Jahre) auf Platz 2.
Eine Generation spaltet sich
Ein Ergebnis, das vermutlich vor allem von jungen Männern vorangetrieben wurde. "Schaut man auf die AfD, ist der Fall ganz klar. Das ist eine Partei, die von Männern dominiert wird, eher von Männern gewählt und unterstützt wird. Und das ist auch bei den jüngeren Männern so", sagt Jugendforscher Hurrelmann.
Die Anziehungskraft rechter Parteien auf junge Männer ist kein deutsches Phänomen. Untersuchungen zeigen, dass sich Männer und Frauen weltweit innerhalb der Generation Z politisch immer weiter voneinander entfernen. Das heißt, junge Männer bewegen sich politisch nicht oder werden konservativer, junge Frauen progressiver, so eine Auswertung der Financial Times.
Für die Europawahl Anfang Juni rechnet Hurrelmann der AfD gute Chancen aus: "Junge Leute sind Themenwähler. Auch hier hat eine Partei wie die AfD gute Chancen. Ob die Themen jetzt einen Europabezug haben, wird von den jungen Leuten nicht so intensiv betrachtet."